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Zeitschrift für christliche Kunst — 26.1913

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Heft 3
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Witte, Fritz: Kirche und Landschaftsbild
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https://doi.org/10.11588/diglit.4358#0045

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Abhandlung-en.

Kirche und Landschaftsbild.*)

(Mit Tafel II und 7 Abbildungen.)

or mehreren Jahren bot sich mir
die Gelegenheit, einen biederen
und intelligenten siebzigjährigen
Pfarrherrn kennen zu lernen in
einer der unwirtlichsten Gegenden Süditaliens.
Roccanera = Schwarzfels nannte sich das
kaum 400 Einwohner zählende Bergnest ohne
Logierhaus und ohne sonstige Zeichen von
Kultur. An einem wundersamen Sonntag-
nachmittage in brennender Julihitze wan-
derten wir gemeinsam um den steilen Berg-
kegel, auf dem wie Schwalbennester die
malerischen Häuser mit den primitiven
Loggien und das Kirchlein mit seinem
Kampanile an den Felswänden klebten, eine
terrassenförmige Silhouette bildend, die vom
Bergrande aufstieg und im Kampanile schloß,
der in die blauende Luft ragte. „Meine Kirche
hat die schönste Lage von allen in ganz
Italien", meinte stolz der alte Pfarrer; ,,es
ist die Henne, die ihre Jungen um sich sam-
melt, und diese Jungen haben alle dasselbe
Aussehen wie die Mutter, grau mit roten
Tupfen, sie sind nur kleiner: die Wohnung
Gottes unter den Menschen". Treffender
konnte man den Eindruck des Bildes nicht
wiedergeben: Um die Kirche sammeln und
drängen sich die Häuschen, sie schmiegen
sich wie Junge eng an die Mutter Kirche
an, erscheinen mit ihr verwachsen und ganz
eins, graugrün im verwitterten und ver-
brannten Gestein, mit den roten Sprenkeln
der Dachziegel auf dem Rücken. Das Ur-
bild eines Dorfes, die Idealstellung einer
Dorfkirche. Da hat's seit Jahrzehnten viel-
fach gehapert bei uns und noch heute wird
hier schwer gesündigt. Pfarrer und Bau-
meister lassen sich von falschem Ehrgeize
leiten und streben in erster Linie darnach,
eine Kirche zu bauen, deren Turmhahn

*) Die Klischees zu Taf. I, und zu Abb. 1 —4 wurden
in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt vom
Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin; sie
sind entnommen der trefflichen Serie „Im Fluge durch
Deutschland", Kunst und Landschaft in Bildern. Jeder
Band M. 3. Bisher erschienen: Elsaß, Aus stillen
Städten Brandenburgs, Potsdam, Nürnberg.

einen um mindestens einige Meter höheren
Sitzplatz hat, wie der des Nachbarn, die in
den Schiffen breiter und höher, die in der
Ausstattung reicher, prunkvoller ist, als alle
bislang in der Umgegend gebauten Gottes-
häuser. Kluge Pfarrer dagegen haben an-
dere Möglichkeiten der Auszeichnung und
Betonung mit viel Geschick ausgenutzt, in-
dem sie der Kirche eine Gestalt gaben, die
einmal durch Originalität, ein andermal
durch absoluteste Anpassung an die gege-
benen Verhältnisse und die dadurch erzielten
Vorzüge der Schönheit und Stimmung eine
Vorzugsstellung eroberte. Es ist nicht un-
interessant und auch nicht überflüssig, einige
Gesichtspunkte aphoristisch herauszugreifen,
welche Schönheit und Wirkung einer Kirche
in ihrem Zusammenklingen mit der Um-
gebung bedingen. Jede neue Aufgabe ver-
langt allerdings eine neue Lösung; immer-
hin weckt die Vorführung einiger Beispiele
Interesse und Blick für das Notwendige
und Zulässige.

Von primärer Bedeutung ist die Einord-
nung des Kirchenbildes in das der Land-
schaft, in welcher es steht. Ob Stadt- oder
Dorfkirche, sie darf nicht als ein Fremd-
körper erscheinen. Der fürs platte Land ge-
eignete Bau ist nicht zugleich auch für die
Gebirgsgegend annehmbar. Sogar geolo-
gische Landeseigenarten sind dabei gebüh-
rend in Rücksicht zu ziehen, indem man
dem etwa vorhandenen gewachsenen Gestein
den Vorzug gibt. Das Vorhandensein er-
giebiger Steinbrüche bringt es von selbst
mit sich, daß die Architektur überhaupt,
auch die profane, dieses soliden und ver-
hältnismäßig billig zu beschaffenden Ma-
teriales sich bedient, wodurch in das ge-
samte Architekturbild ein gewisser Lokalton
als Maluntergrund für künstlerische Zutaten
hineingetragen wird. Hier wäre nichts un-
ökonomischer, aber zugleich auch nichts un-
künstlerischer, als mit einem Materiale, das
in Struktur und Bearbeitungsmöglichkeiten,
wie in der Farbe als Fremdling und Ein-
dringling erscheint, einen Mißton in die far-
bige und formale Stimmung hineinzutragen.
Wenn irgendwo, dann ist hier das etwas
 
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