325
1913. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.
326
vgl. morbus melancolicae passionis, cons. 7).
Gerson verlangt ein geordnetes Vorgehen
bei der meditatio; wer sich „vagis cogita-
tionibus" hingibt, wird „tristis" (cons. 10).
Als Ursache der Melancholie wird die „fixa
nimis et radicata atque profundata in rebus
corporalibus imaginatio" genannt (cons. 18).
Sollte Dürer etwa beabsichtigt haben, in
dem Stiche „Hieronymus" die rechte Me-
ditation und in drei weiteren Stichen die
von Gerson genannten Abirrungen darzu-
stellen ? Gerson war den Nürnberger Hu-
manisten bekannt. Charitas Pirckheimer
erwähnt ihn in einem Briefe an Celtes.8)
Daß Hieronymus als Vertreter der echten
Meditation erscheint, ist nicht verwunder-
lich. Er asm us von Roterdam bereitete
damals gerade eine Hieronymusausgabe vor
(erschienen Basel 1516), an der Willibald
Pirckheimer, wie aus seinem Briefwechsel
mit Erasmus hervorgeht, regen Anteil nahm.
Diese neue Auffassung ließe sich un-
schwer als Synthese der früheren ausbauen.
8)W.Pirckheimer, Opera, Francof. 1610, p. 342.
In dem gleichen Briefe ermahnt sie den Adressaten,
nicht so sehr auf die irdische Philosophie als vielmehr
auf die ,,theologia mystica" Gewicht zu legen. Gerson
schrieb einen tractatus de mystica theologia! Die Schrift
de meditatione erschien u. a. als Anhang zum Tractatus
de imitatione Christi des Thomas a Kempis, Argentinae
(Flach) 1487.
Die Melancholie entsteht als Folge einer
falschen Meditation9) durch ungeordnete
Beschäftigung mit den Wissenschaften oder
mit irdischen Gütern. Für Dürer mag
dieser erworbene „morbus" mit der ange-
borenen Gemütsart „Melancholie" zusammen-
geflossen sein10); denn angesichts der Auf-
schrift des Stiches geht es wohl nicht an,
die Betrachtungen jener Zeit über die vier
Temperamente ganz außer acht zu lassen,
zumal da Giehlow11) nachgewiesen hat,
daß Dürer jene Anschauungen kannte und
verwertete.12)
Bonn. Martin Honecker.
9) Vielleicht darf man daran denken, daß Domenico
Fetis Bild im Louvre, welches mit Dürers „Melancholie"
große Ähnlichkeit hat, die Bezeichnung „la meditazione"
trägt.
10) Auch Gerson kennt die Melancholie als Tempe-
rament; vgl. de passionibus animae, cons. 18.
U) Vgl. die gen. Mitteilungen. Man braucht frei-
lich Giehlow nicht in allen Punkten zu folgen; nament-
lich muß die hieroglyphische Deutung der Einzelheiten
noch fragwürdig erscheinen.
12) Es liegt kein zwingender Grund vor, anzunehmen,
daß Dürer bei seiner Darstellung an Trithemius gedacht
habe, wie F. F. Leitschuh will [Quellen u. Studien
z. Gesch. d. Kunst- u. Geisteslebens in Franken. I. Tri-
themius u Dürer. Arch. d. hist. Vereins f. Unterfranken
u. Aschaffenburg, 44 (1902) S. 185—195]; unmöglich
wäre es freilich nicht.
Das ehemalige Kreuz der Hostia mirabilis bei den Augustiner - Eremiten
in Köln.
(Mit 2 Abbildungen.)
nter den zahlreichen Kunstgegen-
ständen, die zur Franzosenzeit
aus den Sakristeien der Kölner
Kirchen hervorgeholt und als„altes
Kirchensilber" verkauft und eingeschmolzen
wurden, befand sich auch ein kostbares,
4% Fuß hohes Reliquienkreuz, das zur Auf-
nahme einer mirakulösen Hostie (einer der
„blutigen" Hostien) diente und in der Kirche
der Augustiner-Eremiten verwahrt wurde.
Nur dem glücklichen Zufall, daß um 1685
die Augustinermönche einen Kupferstich
nach diesem Kreuz als Geschenk für den
Kurfürsten Philipp Wilhelm von der Pfalz
anfertigen ließen, ist es zu verdanken, daß
wir uns noch jetzt eine ziemlich gute Vor-
stellung von diesem hervorragenden Werke
der gotischen Goldschmiedekunst machen
können. Hierzu kommt noch als ein weiterer
günstiger Umstand, daß uns die Zeit der Her-
stellung des Kreuzes glaubwürdig überliefert
ist: bei gotischen Goldschmiedearbeiten be-
kanntlich noch eine große Seltenheit.
Nach der Legende war im Jahre 1374 em
gebürtiger Kölner mit Namen Johannes in
der holländischen Stadt Middelburg un-
würdig und ohne vorherige Beichte zur
Kommunion gegangen. Da verwandelte sich
die Hostie in seinem Munde und begann zu
bluten. Der Priester nahm sie aus dem
Munde des Frevlers zurück, und auf Ver-
langen des Kölner Erzbischofs wurde sie
nach Köln gesandt, wo sie den Augustiner-
Eremiten, deren Konvent der Beichtvater
1913. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.
326
vgl. morbus melancolicae passionis, cons. 7).
Gerson verlangt ein geordnetes Vorgehen
bei der meditatio; wer sich „vagis cogita-
tionibus" hingibt, wird „tristis" (cons. 10).
Als Ursache der Melancholie wird die „fixa
nimis et radicata atque profundata in rebus
corporalibus imaginatio" genannt (cons. 18).
Sollte Dürer etwa beabsichtigt haben, in
dem Stiche „Hieronymus" die rechte Me-
ditation und in drei weiteren Stichen die
von Gerson genannten Abirrungen darzu-
stellen ? Gerson war den Nürnberger Hu-
manisten bekannt. Charitas Pirckheimer
erwähnt ihn in einem Briefe an Celtes.8)
Daß Hieronymus als Vertreter der echten
Meditation erscheint, ist nicht verwunder-
lich. Er asm us von Roterdam bereitete
damals gerade eine Hieronymusausgabe vor
(erschienen Basel 1516), an der Willibald
Pirckheimer, wie aus seinem Briefwechsel
mit Erasmus hervorgeht, regen Anteil nahm.
Diese neue Auffassung ließe sich un-
schwer als Synthese der früheren ausbauen.
8)W.Pirckheimer, Opera, Francof. 1610, p. 342.
In dem gleichen Briefe ermahnt sie den Adressaten,
nicht so sehr auf die irdische Philosophie als vielmehr
auf die ,,theologia mystica" Gewicht zu legen. Gerson
schrieb einen tractatus de mystica theologia! Die Schrift
de meditatione erschien u. a. als Anhang zum Tractatus
de imitatione Christi des Thomas a Kempis, Argentinae
(Flach) 1487.
Die Melancholie entsteht als Folge einer
falschen Meditation9) durch ungeordnete
Beschäftigung mit den Wissenschaften oder
mit irdischen Gütern. Für Dürer mag
dieser erworbene „morbus" mit der ange-
borenen Gemütsart „Melancholie" zusammen-
geflossen sein10); denn angesichts der Auf-
schrift des Stiches geht es wohl nicht an,
die Betrachtungen jener Zeit über die vier
Temperamente ganz außer acht zu lassen,
zumal da Giehlow11) nachgewiesen hat,
daß Dürer jene Anschauungen kannte und
verwertete.12)
Bonn. Martin Honecker.
9) Vielleicht darf man daran denken, daß Domenico
Fetis Bild im Louvre, welches mit Dürers „Melancholie"
große Ähnlichkeit hat, die Bezeichnung „la meditazione"
trägt.
10) Auch Gerson kennt die Melancholie als Tempe-
rament; vgl. de passionibus animae, cons. 18.
U) Vgl. die gen. Mitteilungen. Man braucht frei-
lich Giehlow nicht in allen Punkten zu folgen; nament-
lich muß die hieroglyphische Deutung der Einzelheiten
noch fragwürdig erscheinen.
12) Es liegt kein zwingender Grund vor, anzunehmen,
daß Dürer bei seiner Darstellung an Trithemius gedacht
habe, wie F. F. Leitschuh will [Quellen u. Studien
z. Gesch. d. Kunst- u. Geisteslebens in Franken. I. Tri-
themius u Dürer. Arch. d. hist. Vereins f. Unterfranken
u. Aschaffenburg, 44 (1902) S. 185—195]; unmöglich
wäre es freilich nicht.
Das ehemalige Kreuz der Hostia mirabilis bei den Augustiner - Eremiten
in Köln.
(Mit 2 Abbildungen.)
nter den zahlreichen Kunstgegen-
ständen, die zur Franzosenzeit
aus den Sakristeien der Kölner
Kirchen hervorgeholt und als„altes
Kirchensilber" verkauft und eingeschmolzen
wurden, befand sich auch ein kostbares,
4% Fuß hohes Reliquienkreuz, das zur Auf-
nahme einer mirakulösen Hostie (einer der
„blutigen" Hostien) diente und in der Kirche
der Augustiner-Eremiten verwahrt wurde.
Nur dem glücklichen Zufall, daß um 1685
die Augustinermönche einen Kupferstich
nach diesem Kreuz als Geschenk für den
Kurfürsten Philipp Wilhelm von der Pfalz
anfertigen ließen, ist es zu verdanken, daß
wir uns noch jetzt eine ziemlich gute Vor-
stellung von diesem hervorragenden Werke
der gotischen Goldschmiedekunst machen
können. Hierzu kommt noch als ein weiterer
günstiger Umstand, daß uns die Zeit der Her-
stellung des Kreuzes glaubwürdig überliefert
ist: bei gotischen Goldschmiedearbeiten be-
kanntlich noch eine große Seltenheit.
Nach der Legende war im Jahre 1374 em
gebürtiger Kölner mit Namen Johannes in
der holländischen Stadt Middelburg un-
würdig und ohne vorherige Beichte zur
Kommunion gegangen. Da verwandelte sich
die Hostie in seinem Munde und begann zu
bluten. Der Priester nahm sie aus dem
Munde des Frevlers zurück, und auf Ver-
langen des Kölner Erzbischofs wurde sie
nach Köln gesandt, wo sie den Augustiner-
Eremiten, deren Konvent der Beichtvater