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Zeitschrift für christliche Kunst — 26.1913

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Heft 11
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Honecker, Martin: Zur Erklärung der "Melancholie" Albrecht Dürers
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https://doi.org/10.11588/diglit.4358#0181

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323

1913.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

324

den Aufschwung des Geistes zu Gott ver-
drängt und überwunden wird".

Der Verfasser sieht also in den beiden
Stichen „Hieronymus" und „Melancholie"
eine Darstellung der beiden Arten der
Gotteserkenntnis, auf die Fabers Vorrede
hinweist, der Theologie im eigentlichen
Sinne, die in Frieden und in der Stille
forscht, und der theologia naturalis, der ver-
nunftmäßigen Erkenntnis Gottes
im Sinne des Nikolaus von Kues.

Die neue Deutung hat auf den ersten
Blick etwas Bestechendes, zumal da E n d r e s
es versteht, seine Parallelen durch viele
Stellen aus den kusanischen Schriften zu
erläutern. Dennoch muß man Bedenken
tragen, ihr zuzustimmen. In den Historisch-
politischen Blättern (152 [1913], 288) hatte
bereits ein Kritiker einen Einwand geltend ge-
macht, den Endres auch in seinem letzten Auf-
satz nicht ganz widerlegen kann: Ist den
Nürnberger Humanisten Nikolaus v. K. wirk-
lich so gut bekannt gewesen ? Ein Beleg dafür
fehlt noch; daß W. Pirckheimer sich über-
haupt für theologische und mathematische
Schriften interessiert, kann nicht als Beweis
gelten.

Es bestehen jedoch noch weitere Be-
denken.

1. Der Gegenstand, den Endres für
einen Kreisel ansieht und als einen seiner
,.festesten Anhaltspunkte" (IX, 118) be-
trachtet, ist, wie schon andere Forscher
richtig erkannt haben, ein Schreibzeug, be-
stehend aus einem Tintenfaß und einer
Federdose, die durch zwei Schnüre ver-
bunden sind. Ein solches Schreibzeug läßt
sich auf zahlreichen Darstellungen jener
Zeit nachweisen.8)

2. Über die Bedeutung von Schlüssel
und Beutel gibt Dürer selbst (in dem Lon-
doner Skizzenbuche) Auskunft; er betrachtet
sie als Symbole für Gewalt und Reichtum.4)

•H) Nur einige seien genannt. Von Dürer selbst:
Randzeichnung in Kaiser Maximilians Gebetbuch (Aus-
gabe v. Karl Giehlow, Wien 1907, Blatt 17!), zwei
Holzschnitte aus der Apokalypse (B. 60 u. 70), Holz-
schnitt Hieronymus (B. 113), Holzschn. Schulmeister
(B. 133); von Holbein d. J.: Thomas Godsalve u.
Sohn (Dresden, Gem.-Gal.), Junger Mann (Wien, Hof-
museum).

4) Dürers schriftl Nachlaß, hrsg. v. K. Lange
u. F. Fuhse. Halle a. S. 1893, S. 394. Auf diese
Stelle hat schon K. Giehlow hingewiesen, dessen

3. Wenn wirklich die Hauptfigur5) die
im Anschauen Gottes begriffene mens hu-
mana darstellen soll, wie konnte Dürer
dann dem Stiche die Aufschrift „Melancholie"
geben, wo die Melancholie doch nach En-
dres „durch den Aufschwung zu Gott ver-
drängt und überwunden" werden soll ?

4.' Endres setzt sich sehr leicht über
die Ziffer I (Melencolia I) hinweg. Welchen
Sinn hat sie aber noch in der ganzen Dar-
stellung, wenn Endres' Erklärung zutrifft ?
Sie kann offenbar nur den Anfang einer
Numerierung bedeuten. Man muß dem-
nach annehmen, daß Dürer noch weitere,
ähnliche Stiche geplant hat; daß sie nicht
ausgeführt wurden, braucht nicht an einem
„Versagen seiner Kraft" zu liegen. Der
Hieronymusstich liegt außerhalb dieser
Numerierung; an dem Zusammenhange mit
der „Melancholie" kann man trotzdem fest-
halten. 6)

In dieser Richtung liegt eine neue
Lösungsmöglichkeit, die hier kurz ange-
deutet sei.7)

In dem „Tractatulus de meditatione"
des Joannes Gerson (Opera, Antw. 1706,
III, 449 ff.) findet sich folgende Stelle:
Diximus autem et repetimus, quod m e -
ditatio est fortis et vehemens applicatio
vel attentio animi ad aliquid investigandum
vel inveniendum fructuose. Addimus fruc-
tuose, ne meditatio vergat aut in super-
stitionem aut in curiositatem aut in
melancolicam stoliditatem (cons. 4;

eingehende Forschungen Endres wohl zu wenig berück-
sichtigt hat [Dürers Stich „Melencolia I" u. der maxi-
milianische Humanistenkreis. Mitteilungen d. Ges. f.
vervielfält. Kunst, Wien, 1903, 29—41, 1904, 6—18,
57—7 (Die graph. Künste 26 u. 27)].

5) Den Kunsthistoriker mag es interessieren, daß
man — worauf u. W. noch nicht hingewiesen worden
ist — in einer Handzeichnung Dürers aus dem Jahre
1514 (Sammlung Mitchell, London; Lippmann 79) viel-
leicht eine grobe Modellstudie zu der Hauptfigur sehen
kann.

6) Übrigens sei bemerkt, daß die „historischen
Gründe" für diese Zusammengehörigkeit (aus dem
Tagebuch der niederländischen Reise usw.) bereits von
A. Weixlgärtner [Mitt.d.Ges.f.vervielf.Kunst 1901,
S. 47 ff (Die graph. Künste 24)] entkräftet worden
sind.

1) Eine eingehendere Untersuchung behält der Ref.
sich für eine spätere Gelegenheit vor. Hier sollen
nur jene Anhaltspunkte mitgeteilt werden, die sich bis
jetzt ergeben haben. Sollten die Londoner Hand-
schriften vielleicht weitere Aufklärung bringen können?
 
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