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Zeitschrift für christliche Kunst — 26.1913

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Heft 3
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Schnürer, Gustav: Das Volto santo - Bild in der Burgkapelle zu Kronberg i. Taunus
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https://doi.org/10.11588/diglit.4358#0051

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77

1913- _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

78

Das Volto santo - Bild in der Burgkapelle zu Kronberg i. Taunus.

(Mit 2 Abbildungen.)

er um die Kunstgeschichte so hoch

verdiente Mainzer Prälat Fried-
rich Schneider machte mich vor
Jahren auf eine „Kümmernis"-
darstellung aufmerksam, die in der Burg-
kapelle des Schlosses Kronberg zum Vor-
schein gekommen sei. Als ich jetzt meine
Kümmernisstudien wieder aufnahm, ging
ich diesem Fingerzeig weiter nach.

Seine Hoheit Prinz Friedrich Karl von
Hessen, der derzeitige Besitzer der Burg
Kronberg, hatte die große Gewogenheit,
mir durch Vermittlung von Exzellenz Frei-
herrn von Flotow eine treffliche Photographie
des nicht leicht wiederzugebenden Bildes
anfertigen zu lassen. Ich darf es nicht unter-
lassen, dafür auch an dieser Stelle ergeben-
sten Dank abzustatten1). Durch die Wieder-
gabe dieser Photographie möchte ich hier
auf ein in der Geschichte der religiösen
Kunst beachtenswertes Denkmal hinweisen.
Das Bild wurde von Herrn Hofdeko-
rationsmaler Jakob Hembus im Jahre 1903
im Auftrage der Kaiserin Friedrich auf-
gedeckt und gemeinsam mit Herrn W. Süß
restauriert. Es befindet sich im ältesten
Teile der Kapelle, und zwar auf der Chorseite
links vom Altar. Nach den freundlichen Mit-
teilungen von Herrn Hembus war das Bild
von verschiedenen Schichten späterer Male-
reien überdeckt, aber diese Schichten lösten
sich verhältnismäßig leicht los, und außer
einem starken Mauerriß war das Bild in
gutem Zustand.

Auf einem roten Hintergrund, der mit
kleinen punktierten Kreuzchen übersät ist,
sehen wir eine bärtige, bekleidete und ge-
krönte Figur, an einem Kreuze angenagelt,
über einem Altar thronen. Das flachsblonde
Haupthaar fällt rechts und links weit auf die
Schultern herab. Nur die Hände sind ange-
nagelt, und zwar seltsamerweise so, daß die
Nägel hinter dem Daumen in die Hand ein-
dringen2). Die Figur umgibt ein kostbares,

1) Auch Herrn stud. Max Gerstner, der mir die
ersten Aufnahmen und nähere Nachrichten über das
Büd zukommen lieU, bin ich zu besonderem Dank
verpflichtet.

a) Dasselbe ist zu beobachten auf dem Kümmer-
nisbild zu Eitersdorf bei Erlangen, wiedergegeben in
meinem Artikel »Die Kümmcrnislegende von Neufahrn

mit goldnen Sternchen und Kreuzchen ge-
ziertes, langes, braunes Ärmelkleid; vergoldet
sind auch die Fransen unten, der Saum an
den Ärmeln und dem Kragen. Von einem
vielgezierten goldnen Gürtel geht nach oben
auf die Brust ein goldenes Kleeblattkreuz
aus, nach unten ein goldener breiter Streifen
bis zu den abschließenden Fransen. Den
oberen Teil der Figur umgibt ein unter dem
Kreuz hindurchgehender abgeplatteter, gol-
dener Bogen mit lilienartigen End-Ornamen-
ten. Der linke Fuß trägt einen Schnabel-
schuh. Der rechte Fuß ist unbeschuht; der
goldene Schuh liegt aber vor ihm auf dem
Altar. An dieser Seite kniet unten ein
Geiger. An der andern Seite kniet ein Ritter
in goldenem Panzerhemd, den mit Flügeln
versehenen Helm an goldener Kette am
Rücken. Die Farben der Helmzier und des
Waffenrockes, rot und blau-weiß, sind die der
Kronberger. Hinter dem Ritter steht mit
gefalteten Händen eine Dame, gekleidet in
ein rotes Gewand mit blauem Mantel darüber.
Diese weibliche Figur tritt aus dem läng-
lichen Viereck des ganzen Bildes in einem
Ansatz heraus, ist aber wie alles andere ein-
gerahmt durch eine gemalte braune Borte
mit weißen Blümchen.

Das Hauptinteresse gebührt zunächst
der gekreuzigten Figur, deren Verehrung hier
zum Ausdruck kommt. Was stellt sie dar?
Die Antwort kann nur zwischen zwei Mög-
lichkeiten schwanken. Entweder ist es die
viel in deutschen Gegenden dargestellte
heilige Kümmernis oder Wilgefortis, um nur
zwei von ihren vielen Namen zu nennen,
jene legendarische Königstochter, die zur
Bewahrung ihres Keuschheitsgelübdes in
wunderbarer Weise einen sie entstellenden
Bart erhalten haben und dann von dem heid-
nischen Vater gekreuzigt worden sein soll.
Oder wir haben hier eine Abbildung des
Volto santo, jenes berühmten Erlöserbildes
von Lucca, vor uns, das seit dem frühen
Mittelalter im Dom von Lucca bis heute hoch
verehrt wird. Mit beiden Bildern ist die
Geigerlegende verbunden, jene oft poetisch
wiedererzählte Legende, nach der ein from-

und das Bild von Eitersdorf« in der Zeitschrift
Bayerlandt Nr. 17 vom 25. Jan. 1913.

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