Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 26.1913

DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:
Schnürer, Gustav: Das Volto santo - Bild in der Burgkapelle zu Kronberg i. Taunus
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4358#0053

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
81

1913. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

82

mer, armer Geiger von der geschnitzten Figur
in der einen Version, in der andern von der
lebenden Heiligen deren kostbaren Schuh
zum Dank für sein Spiel erhält.

Die Frage, welche von den beiden Mög-
lichkeiten hier in Betracht kommt, ist des-
halb nicht ganz leicht zu beantworten, weil
das Entstehen der Kümmernislegende nicht
anders erklärt werden kann als durch ein
Mißverständnis der bekleideten . Erlöser-
bilder. Insbesondere knüpft das Mißverständ-
nis an die Volto santo-Bilder an, so daß also
viele der alten Kümmernisbilder ursprünglich

Darstellungen des

in ©er ftao %na. tat me fimte bulpe et>t>
fegopegbulpebetb.

Volto santo sind oder
doch, wenn als neue
hergestellt, dem Er-
löserbild von Lucca
sehr ähnlich gestal-
tet wurden. Gleich-
wohl glaube ich den
sicheren Schluß zie-
hen zu können, daß
das Bild von Kron-
berg nicht als eine
Darstellung der
heiligen Kümmer-
nis, sondern des
Volto santo gemalt
worden ist.

Wir stellen zu-
nächst fest, daß von
einem weiblichen
Kennzeichen an dem
Kronberger Bilde
gar keine Spur vor-
handen ist. Be-
sonders charakte-
ristisch ist hingegen der Schmuck der
Tunika mit dem Kreuz auf der Brust, dem
Gürtel und dem nach unten herabfallenden
Streifen. Das sind Kennzeichen des Volto
santo, die, abgesehen von dem Kreuz auf
der Brust, noch heute seinen Schmuck aus-
machen. Dazu gehört vor allem auch
der Bogen mit den lilienartigen End-Orna-
menten, der den obern Teil der Figur als
eine Art von Nimbus umgibt.

Dieser Bogen ist ein sicheres Kennzeichen
des Bildes von Lucca. Noch heute ziert er
den Volto santo in der Luccheser Kathedrale.
Wir haben ihn auf einem Holzschnitte im
Passional von Lübeck aus dem Jahre 1492.

Abb. 2. Aus dem Passional von Lübeck a. 1492.

Der Holzschnitt leitet die Legende ein von
den wunderbaren Geschicken des „heiligen
Kreuzes in der Stadt Lucca, das
man heilige Hilfe oder Gottes Hilfe heißt." Es
fehlt nicht an andern Bildern mit dem Bogen,
die ausdrücklich als Kopien des Volto santo
von Lucca bezeichnet werden. So kam im
Dom zu Marienwerder um 1860 ein Fresko-
bild zum Vorschein, auf dem auch Geiger
und Stifter, wie auf unserm Bild, dargestellt
sind. Darüber lesen wir die für Toeppen
einst rätselhafte Aufschrift: ,,Das cruetze
von Lucca"3).

Besonders bemer-
kenswert ist das
Einblatt von Hans
Burgkmair aus dem
Jahre 1507, auf dem
Bogen und Geiger
deutlich erscheinen
und quer über dem
Bild die Aufschrift
angebracht ist: „Die
Bildnus zu Luca",
während an dem
Rande zu lesen ist
die Legende von —
„SantKumernus"4).
Hier sehen wir, wie
die Bilder von Lucca
um diese Zeit für

Kümmernisbilder
angesehen wurden.
Infolgedessen be-
gegnet uns auch
noch der Bogen auf
den ersten Kümmer-
nisdarstellungen in
Deutschland. Wir haben ihn wie das Brust-
kreuz und den übrigen Schmuck auf dem
Bilde von Eitersdorf bei Erlangen, das die
Jahreszahl 1513 trägt. Die Aufschriften
zeigen hier, daß das Bild die heilige Kümmer-
nis darstellen sollte; als solches wurde es
gemalt. Darum fehlt es aber auch hier
keineswegs an weiblichen Kennzeichen.
Den Bogen und das Brustkreuz ganz in der

3) Toeppen, »Gesch. der Stadt Marienwerder«
(M. 1875) S. 237, 241.

4) Münchener Hof-u. Staatsbibliothek, Einblatt VII,
99. Vgl. meinen Aufsatz »Die Kümmernisbilder«

im Jahresbericht des Neißer Kunst- und Altertums-
vereins 1903, VII, 21 ff.
 
Annotationen