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Zeitschrift für christliche Kunst — 26.1913

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Heft 9/10
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Witte, Fritz: Von unserer Paramentik einst und jetzt
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https://doi.org/10.11588/diglit.4358#0147

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259

1913. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9/10.

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hatte unter Hinzuziehung einsichtsvoller
Zeichner, das ist seitdem eigentlich noch
nicht überholt worden. Wenn heute die Vor-
liebe für diese Gewebe, Borten usw. mehr und
mehr schwindet, so ist das nicht zuletzt zu-
rückzuführen auf die endlose Wiederholung
der Schmuckmotive. Wir sind gewiß nicht
der Meinung, man müsse einen gesunden
Konservatismus in der kirchlichen Kunst
aufgeben und der Modedame gleich zu

Abb. 2. Kasel des XIV. Jahrh. Halberstadt, Dom

„Saisonprodukten" greifen, aber wir halten
auch an der Behauptung fest, daß Stillstand
auch hier einen Rückschritt bedeutet und
die Wiederholung mit Gedanken- und Er-
findungsarmut sich deckt, daß neue Auf-
gaben jedesmal auch neue Lösungen bringen
sollten. Ich weiß wohl, daß auch das XV.
Jahrh. in der Paramentik vielfach sich
wiederholt, was Stoff und Stickerei angeht,
auch, daß die beginnende Neuzeit ein Sieb-
machersches und andere Musterbücher kannte,
nach deren Rezepten eine Massenproduk-
tion einsetzte. Einmal aber nicht immer

zum Besten des Kunstzweiges, dann aber
liegt dazwischen eine solche Menge von
Selbständigem, Neuem und Schönem, daß
von einer übel wirkenden Uniformierung
nicht die Rede sein kann. Und dann war ja
doch auch die ganze Musterung, wie sie im
Stoff und in der Stickerei uns entgegen-
tritt, zu Ausgang des Mittelalters eine der
Zeit eigene, von ihr selbst geschaffene, in den
Formenkanon völlig eingepaßte. Mit jenen
ornamentalen Schätzen
— man ist versucht zu
sagen „Ornamentdialek-
ten", war die Zeit ver-
traut, sie dachte in ihnen
und sprach deshalb auch
in ihnen, auf der Straße,
wie in der Kirche. Sind
uns denn all' diese gro-
tesken spukhaften Tiere
noch so vertraut, daß
wir sie ohne stille, un-
ausgesprochene Verwun-
derung auf unseren Para-
mentenstoffen hinneh-
men als etwas Selbstver-
ständliches ? Man schaue
sich einen solchen alten
Stoff einmal genauer an
und gebe sich Rechen-
schaft darüber, worin
seine Wirkung
denn begründet
liege. (Abb. 2.) Es
sind nicht die Formen
im einzelnen allein, die
unser Gefallen erregen,
es ist die Wohlabge-
wogenheit des Orna-
mentalen zum Grund
des Stoffes in Zeichnung und Farbe, es ist die
prächtige, oft so einzigartige Aufteilung, die
Gliederung, die einmal durch großzügige
Ranken, ein andermal durch fleckenhafte Ver-
teilung pflanzlicher oder animalischer Muste-
rung auf der Grundfarbe erreicht worden ist.
Was ist aber beispielsweise in den minder-
wertigen französischen Nachbildungen aus
solchen alten Musterungen geworden ? Ohne
jeden Hauch von Empfinden für den Kern der
Sache sind geistlos aus zehn alten Stoffen zu-
sammen geborgte Details zu einem Ornament-
motiv zusammengestoppelt, und die Wirkung
 
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