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Zeitschrift für christliche Kunst — 26.1913

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Heft 9/10
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Witte, Fritz: Von unserer Paramentik einst und jetzt
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https://doi.org/10.11588/diglit.4358#0161

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1913. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9/10.

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zende Farbenstimmung und die Zeichnung
als solche noch so sehr bewundern. Müssen
das armselige Nichtkönner, primitive Kinder
gewesen sein in den beiden ersten Jahr-
hunderten des zweiten Jahrtausends, wenn
sie Figuren zeichneten und stickten, die in
ganz einfachen Umrißlinien dastehen, deren
Gewänder nicht einmal Falten aufweisen,
wenn sie Bäume stickten, die aus einem
Stamme mit vielleicht io großen Blättern

Abb. 17. Moderne Dalmalika. Klosterneuburg.

und Blumen bestehen (Abb. 13). Und doch
standen diese Künstler hoch über vielen unserer
Zeit, und doch ist ihre ganze Arbeit mit allen
ihren Eigenarten, die manchen Leuten als
Unvollkommenheiten erscheinen mögen, das
Produkt eines ausgeprägten künstlerischen
Bewußtseins. Sie betrachteten richtig das
Gewand als Fläche und den Schmuck als
Schmuck eben auch einer Fläche, der selbst
wiederum in derselben Fläche sich bewegen
sollte; und deshalb geben sie nur den Kontur
der Gewänder der Heiligen, besticken die

Kleider derselben mit kleinen Mustern, die
selbst dort, wo das Gewand eine Falte bilden
müßte, nicht verkürzt erscheinen.. Alles ist
wie bei den großen Wandbehängen von
Bayeux ohne perspektivische Vertiefung
gearbeitet, wo Landschaft in die Erscheinung
treten soll, sind ihre verschiedenen Tiefen, der
Vorder-, Mittel- und Hintergrund über-
einander anstatt hintereinander ange-
ordnet, besser gesagt, nur angedeutet, alles
Detail ist mit einem Worte
stilisiert. Dabei eine höchst
bewundernswerte Materialgerech-
tigkeit, die unsere Zeit mit Recht
so energisch verlangt. Am man-
gelnden Können hat es hier wahr-
haftig nicht gelegen, das erweist
die verblüffende Vielseitigkeit
der Techniken und die ganz er-
staunliche Fülle von verschieden-
artigen Motiven. Diese — man
ist versucht zu sagen rudimen-
täre — Auffassung von den Auf-
gaben und Grenzen der Stickerei
entspricht in manchen Bezie-
hungen vollkommen dem Wollen
und Streben unserer noch jungen
Zeitkunst, ihr eignet der nicht zu
unterschätzende Vorzug auch der
schnellen und übersichtlichen Wir-
kung ; Nadelmalerei ist diese Stick-
kunst aber nur insoweit gewesen,
als die Wandmalerei, und zwar
die monumentale, aus denselben
Prinzipien und Anschauungen
heraus und auf die gleichen
Ziele hin arbeitet. Es wäre
töricht, wollte man damit die
Grenzen für die Stickerei gesteckt
sehen, mit gutem Rechte haben
spätere Zeiten weiter gegriffen
und diesen kirchlichen Kunstzweig an die
Schwesterkunst, die Malerei, und zwar die
Tafelmalerei, näher herangerückt. Ver-
hängnisvoll wurde es doch; was die aus-
gehende Gotik uns überliefert, schießt sehr
oft weit über Maß und Ziel hinaus, und die
virtuos gearbeiteten Reliefstickereien, die auf
gekneteten Teiggrund oder gar auf in Holz
geschnitzte Modelle montiert sind (z. B.
Dalmatiken in Xanten), können wir nicht
mehr als Stickereien ausgeben, sie verdienen
mehr die Benennung künstlich, als künst-
 
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