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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 1.1907/​8

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Heft 6 [März 1908]
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Rott, Hans: Bauspäne von einer anatolischen Reise
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https://doi.org/10.11588/diglit.19218#0160

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148 Hans Rott-Heidelberg.

Tat ersten Ranges. Von dem bis jetzt fast einzig dastehenden Backsteinbau der Doppel-
kirche zu Ütscli Ajak (von der Klemenskirche u. a. sehe ich einstweilen ab), den ich
für eine der bedeutendsten Schöpfungen des kleinasiatischen Mönchtums ansehe,
würden wir hinübergewiesen zur armenischen Kirchenkunst, zu den Bauten von Ani,
über deren Geschichte wir noch so wenig wissen.

Die volle Kenntnis der Bischofsitze Anatoliens, das kritische Eindringen in die
Apostel-, Märtyrer- und Heiligenakten1, die bislang noch kaum herangezogen wurden,
würden uns zu manchem, bis jetzt verkannten oder unbekannten Denkmal christlicher
Baukunst leiten. Im Hinterland sind die eigenartigen, reineren, weil lokalen Typen
zu erwarten, im westlichen Kleinasien hat, von der Stilmischung abgesehen, die Zer-
störung den Denkmälern viel schlimmer zugesetzt, und dieselben haben auch zu einem
großen Teil, infolge des Vorrats an überkommener Erbschaft, mit den Spolien helle-
nistischer Bauten stark gewirtschaftet, so daß hier meistens nur die Plaranlage näher
interessieren kann.

Man möchte fast uns Menschen des XX. Jahrhunderts fragen, warum wir eher
und lieber in die Erde graben, um Zeugen vergangener Kulturen mühsam und kosten-
schwer ans Licht zu ziehen, wenn noch so viele beredte Denkmäler überirdisch stehen,
die in der Gesamtheit der menschlichen Geisteskultur und Kräfteerscheinungen gleich
schwer ins Gewicht fallen und deren Studium wegen des inneren Zusammenhanges
mit der christlich-abendländischen Baukunst des Mittelalters doch ebenso, ja näher
liegen sollte.

Einstweilen muß der Architekturhistoriker, will er hier tätig sein, für manchen
Strich dieser östlichen Gebiete noch mit dem Archäologen und dessen Pionier, dem
Geographen, wandern. Da gibt es keine Denkmälerstatistik. Aus der Masse besserer
und schlechterer, alter und neuer Reiseschilderungen eines ganzen Jahrhunderts muß
er sich mühsam eine Topographie vorbereitend aufstellen und viele Bauwerke erst
entdecken oder mit gut Glück und Zufall finden. Für Kleinasien ist es nicht wenig
zu bedauern, daß seit Mommsens, des weitschauenden, Tod das Interesse für die Er-
forschung Anatoliens ruht und uns das Schicksal in Geizer den Meister entrissen hat,
der daran war, nach lang vorbereitender Arbeit uns historisch-geographisch eine Bahn
auf dem dunkeln Geschichtspfad des byzantinischen Anatoliens vorzubrechen. Aus einem
Aufsatz Ramsays, des zur Zeit besten Kenners der Halbinsel, über die Kriege zwischen
Byzanz und Islam, können wir indirekt sehen, daß wir über die innere Entwicklung
dieses Landes, über seine Kultur und Wirtschaftsgeschichte nach der bisherigen Kenntnis
der literarischen Quellen so gut wie nichts wissen.2 Deshalb versprechen die Architektur-
denkmäler am ersten, neben den Inschriften der altern Zeit, greifbare «geschichtliche
Steine» dem Historiker liefern zu können, der einstweilen noch mit den dürftigen

1 Ich erwähne nur beispielshalber die für die kirchlichen Bauten des Mäandertales wichtigen Akten
über den Erzengel Michael, ed. M. Bonnet, Narratio de miraculo a Michaele Archangelo Chonis patrato.
Paris 1890.

2 W. Ramsay, The war of Moslem and Christian, in den „Studies in the history and art of the
eastern provinces of the Roman empire", 1906, p. 281. Hiernach wäre Kleinasien noch im Mittelalter eines
der reichsten und am höchsten zivilisierten Länder gewesen. Und die weiten Salzsteppen, die wasserarmen
Hochländer, die undurchdringlichen Striche im Taurus und die Schilderung eines Strabo, eines einheimischen
Geographen ?
 
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