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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 31.1915-1916

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Friedländer, Max J.: Über Edvard Munch
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Die Hoetger-Ausstellung im Kunstsalon Cassirer, Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.13094#0374

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flammend,herabrieselnd und so fort,jedesmal
anders. Und was vom Haar gilt, trifft auf
alle Dinge zu. Freilich mit dem Haar hat
es seine besondere Bewandtnis. Es ist nicht
in demselben Grade wie die sonstige indi-
viduelle Körperlichkeit eine gegebene Größe.
Münch drückt sich in dem bildsamsten
Stoffe mit gesteigerter Freiheit aus und fügt
seiner Charakterschilderung sozusagen eine
Gefühlsäußerung hinzu, eine Anmerkung, ein
Urteil —in den Linien des Haares. Und das
Haar in seinen Kompositionen darf manch-
mal Träger der Melodie genannt werden.

Nicht vorsichtig oder raffiniert, wohl aber
instinktsicher hat Münch zu den verschie-
denen Arbeitsweisen und Druckverfahren
gegriffen. Den Steindruck wählte er, um
bequem die körnige Kreidezeichnung zu
vervielfältigen. Die früheren Lithographien
sind reich an Tönen, die späteren groß,
derb und mehr linienhaft. Seine Kaltnadel-
arbeiten gehören zumeist der früheren Zeit
an, sie sind zuweilen liebevoll und zärtlich
und drücken das Geisterhafte wundervoll
aus. Die Holzschnitte dagegen, mit weiten
schwarzen und weißen Flecken, sind dra-
stisch, weithin wirksam und nicht selten
von urweltlicher Wucht. In der kargen und
wortarmen Sprache des Holzschnittes kon-
zentriert sich die Kunst Münchs am augen-
fälligsten. Der grobe natürliche Schnitt
zwingt zu Vereinfachung und macht das
Skelett des Bildgedankens sichtbar. Wegen
dieses Zwanges liebt Münch den Holzschnitt,
den er aus Dienstbarkeit befreit, zu seinen
Anfängen zurückgeführt und zum Gefäß
der Quintessenz gewählt hat.

Da der Meister stets nur aus innerem
Antriebe zum Stein, zur Holzplatte, zur
Radiernadel greift, bewährt sich die Beweg-
lichkeit seiner Phantasie in so vielseitiger
Betätigung. Schmiegsam und elastisch ist
seine Kraft geblieben, weil er nie aufgehört
hat, den unendlich wechselnden Schein der
Dinge zu erleben und sich dadurch zu er-
nähren und zu erneuern, wie tyrannisch auch
immer sein Gestaltungswille war und ist.

GEDANKEN ÜBER KUNST

Das Genie ist in mehr als einem Sinn ein
Nachtwandler; in seinem hellen Traume vermag
es mehr als der Wache und besteigt jede Höhe
der Wirklichkeit im Dunkeln. Jean Paul

Alle Kunstmittel verlieren ihren Reiz, die
größten Meister werden allmählich zu Schatten.
Reizen und festhalten kann nur die Persönlichkeit.

Otto v. Leixner

DIE HOETGER-AUSSTELLUNG
IM KUNSTSALON GASSIRER, BERLIN

Tm Salon Cassirer ist jetzt eine HOETGER-Ausstel-
1 lung zu sehen, die erste in Berlin, die diesen
Künstler so ausführlich zu Worte kommen läßt.
Sie ist umso interessanter, da sie nicht nur etwa
seine letzten Werke vorführt, sondern gewisser-
maßen einen Ueberblick über sein bisheriges Schaf-
fen bietet. Und bei dieser Gelegenheit sieht man
deutlich den Vorteil solcher retrospektiven Aus-
stellung: wem die letzte Entwicklungsphase Hoet-
gerscher Kunst zu jäh und isoliert erschien, der
kann hier in Frühwerken Hinweise auf spätere
feststellen, kann Fäden sich spinnen sehen von der
naturalistischen Auffassung über eine Mittelstufe
zu seinen letzten Werken. In diesem Sinne sieht man
hier einen organischen Fortschritt, der alle Perioden
vom Standpunkt auch der letzten gelten läßt.

Im Juniheft 1913 dieser Zeitschrift wurde versucht,
die Kunst Hoetgers an Hand seiner bisherigen
Werke zu erläutern; die Schwierigkeit bestand wohl
darin, daß gerade damals, vor drei Jahren, der
Künstler eine entscheidende Wendung machte, die
man nur vermuten, aber nicht präzisieren konnte.
Es sei deswegen hier auf jenen Aufsatz und die
dort beigefügten guten Abbildungen hingewiesen.
Schon im „Jüngling", der, fest auftretend, vor sich
schreitet, kann man jene bewußte Statik des Men-
schenpfeilers erblicken, die die Haltung seiner spä-
teren Gestalten vom Berner Volkshause dann be-
stimmt. Es ist dabei durchaus von sekundärer Be-
deutung, daß man nach Analogien für sie etwa bei
assyrischen Reliefs, oder auch frühromanischen
Portalen anfragen muß; das Entscheidende bleibt,
daß Hoetger der menschlichen Erscheinung jetzt
einen neuen Wert verleiht, sie in den kosmischen
Zusammenhang des Weltalls einmünden läßt, der-
maßen, daß man seine „Mutter mit Kind" keines-
wegs als eine Persönlichkeit, sondern schon als
die Mütterlichkeit selbst anzusprechen gezwungen
wird. Nun ist es sehr wichtig zu sehen, auf wel-
chem Wege Hoetger diese Typisierung erreicht.
Er läßt einfach das Volumen für sich sprechen, in
dem schon die knappsten Richtungsachsen bestim-
mendwirken und die rudimentärste Modellierung von
schlagender Wucht ist. Diesen Ton hat der Künstler
schon in der Dekoration ces Darmstädter Platanen-
hains angeschlagen, von dem hier zwei Reliefs,
„Schlaf" und „Auferstehung" zu sehen sind. Das
Zurückführen des menschlichen Gewächses auf
seine einfachsten Elemente war hier Bedingung
zur Hervorbringung eines kräftigen Rhythmus; der
asiatische Typus der Figuren war aber wieder not-
wendig, weil unsere Augen erst bei den Reliefs
des fernen Ostens auf jene Harmonien sich einzu-
stellen pflegen, die den gewohnten heimischen Ge-
stalten meist versagt bleiben. Es ist überhaupt die
buddhistische Kunst, der Hoetger entscheidende
Einflüsse verdankt. Wenn er beim Bildnis der Frau
Düllberg (Abb. S. 348) den Kopf ganz japanisch
auffaßt, so ist darin jene oben erwähnte Typisie-
rung zu sehen, die aber für ihn keineswegs geo-
graphisch — wenn man so sagen darf — verbind-
lich ist, da er bei anderen Bildnissen, wie etwa
dem der Frau Tramm (Abb. S. 353) eher Anlehnung
an den, diesem Kopf entsprechenden, griechischen
Kanon sucht.

Man kann in ihnen* ebenso wie etwa in dem
„Jünglingskopf" (Abb. S. 352) Anklänge an jene
wundervoll beseelten frühen Frauenmasken er-
blicken, die in das scharfe Spiel der Gesichtsflächen

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