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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0054
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50

Du kennst ihn ja auch; wir hatten uns lange nicht ge-
sehen, begrüßen uns daher auf das Freundschaftlichste
und beschließen, zusammen einer Flasche den Hals
zu brechen. Ich führe ihn hieher, hier an diesem
selben Tische haben wir gesessen, aus einer Flasche
wurden mehrere, es war schon spät in der Nacht, als
ich nach Haus kaui, den Brief hatte ich unglücklicher
Weise ganz vergessen und was noch schlimmer war,
ich hatte vergessen, daß ich ihn vergessen hatte. Wäh-
rend er in der Brusttasche des alten Waffenrockes, den
ich noch einmal angezogen hatte, weil es Abend war
und ich gleich zurückkehren wollte, friedlich im Kleider-
schrank hing, wartete ich sehnsüchtig auf Antwort, auf
ein beglückendes ,JW. Es kam nicht, natürlich! Das
arme Kind wußte ja nichts von meiner leidenschaft-
lichen Herzensergießung, von dem Glück, welches ich
ihm bereiten wollte. Keine Antwort! Ich war em-
pört!
Voll tiefer Verzweiflung im Herzen raste ich um-
her; an jedem Abend trank ich, uni den wilden Seelen-
schmerz zu betäuben, eine Flasche mehr als gewöhnlich.
Meine unglückliche Liebe hat mich ein unsinniges Geld
gekostet! Eines Tages bekomme ich die Verlobungs-
anzeige der Geliebten! Ich war dem Wahnsinn nahe,
da Plötzlich durchzuckt mich ein Blitz der ErkenNtniß,
eine schattenhafte Erinnerung steigt in mir auf. Ich
stürze zum Kleiderschrank, reiße ihn aus, da hängt der
alte Waffenrock, ich greife in die Tasche und richtig,
ich halte in der Hand den unseligen Brief, der vier
Wochen im Kleiderschrank geschlummert hatte! Aus
Verzweiflung darüber, daß sie vier lange Wochen nichts
von mir hörte, mich untreu glaubend, hatte sich die
Unglückliche mit einem Andern verlobt. Sie ist jetzt
verhcirathet und hat drei Kinder, zwei Jungen und ein
Mädchen. — Das ist die Geschichte einer meiner unglück-
lichen Lieben! Ist es nicht eine scheußliche Geschichte?
Ja solches Pech kann nur mir passiren! Ich habe seit-
dem nicht wieder geliebt. Ich habe der Untreuen ver-
ziehen, laß uns anstoßen auf ihr Wohl!"
Er erhob das Glas und schaute den Hauptmann
niit einem lustigen Blick an, der eigenthümlich kontra-
stirte mit dem Pathos seiner Worte. Lachend stieß
der Hauptmann an, die Unterhaltung mit dem Vetter
amüsirte ihn, obgleich ihm dessen geschwätzige Vielrederei
eigentlich nicht sympathisch war.
„Um wieder ans besagten Hammel, ich meine unsere
Tante Helene zu kommen," fuhr der Major fort. „Bist
Du heute bei ihr gewesen?"
„Rein, ich hatte keine Zeit; ich mußte die wenigen
dienstfreien Stunden zu Haus arbeiten."
„Weiß schon! Du quälst Dich ja Tag und Nacht.
Brauchst es nicht, hast Geld genug und arbeitest dabei
an Deiner Geschichte des französischen Krieges wie ein
Galeerensklave. Neben dem Dienst noch solche Arbeit!
Du wirst Dich noch überstudiren! Aber das macht
der Ehrgeiz! Bist Du erst, wie ich, an der Majors-
ecke angelangt und an derselben gescheitert, dann wirst
Du auch anders denken, dann erlischt der thörichte Ehr-
geiz. Wer erst den blauen Brief in der Tasche hat,
dem wird immer grün vor Augen, wenn er blaues
Papier sieht. Was nützt es, daß man als tüchtiger
Soldat gedient hat die langen Jahre hindurch? Ein
Anderer, der dort oben hohe Gönner hat, soll springen,
da muß der unbequeme Klotz bei Seite geschoben werden,
dafür ist die Majorsecke da. Lebte mein Vater noch,
oder hätte ich andere Eonnexionen, dann wäre ich heute
noch im Dienst und längst Oberstlieutenant. Es ist
eine niederträchtige Wirthschaft. Redet mir doch nicht
von Verdienst! Ich bin doch wahrhaftig ein Kerl,
der noch nicht nöthig hätte, das Gnadenbrot» der Pension
zu essen. Sieh mich an, bin ich nicht körperlich und
geistig ein ganzer Mann? Könnte ich nicht noch dem
Könige dienen, statt in den Weinstuben umherzulungern
und dem lieben Gott die Zeit todtzuschlagen? Aber
der Klotz war im Wege und der Klotz mußte fort.
Dir wird es auch so gehen, Vetter Ewald! Du kommst
bald an die Majorsecke und dann kommt der Sprung
in's Nichts. Du lächelst, Du denkst, weil Du ein
schneidiger Soldat im Krieg und Frieden gewesen bist,
weil Du außerdem als ein Gelehrter ein Werk schreibst,
über dessen ersten Band der ganze Troß der Kritiker
in die Lobposaune gestoßen hat, wirst Du weiter steigen,
Du denkst schon im Traume an die Excellenz oder gar
an ein Armeecorps! Unsinn! Was Du bist, was Du
kannst und was. Du thust, darauf kommt es nicht an.
Das Verdienst ist Nebensache. Auf Verbindungen kommt
es an, und Du hast keine! Heirathe eine Generals-
tochter oder dedicire wenigstens Dein Werk irgend einem
knickbeinigen General, der sumo 70 nichts gethan hat
und den Du als den größten Feldherrn herausstreichst,
dann kannst Du vielleicht glücklich die Majorsecke um-
segeln, sonst -- bist Du eben auch ein.Klotz, der bei
Seite geschoben werden muß, Du scheiterst ebenfalls und
dann, dann ist Alles aus, dann wirst Du ein alteS,
abgebrauchtes, bei Seite geschobenes Stück Möbel, wie
ich es bin. Hole der Henker die ganze verwünschte
Wirthschaft, trinken wir noch ein Glas, stoß an!"
Er trank, nicht ein Glas, sondern mehrere schnell

Das Buch für Alle.

hintereinander, so daß bald die Flasche leer war und
Ewald eine zweite bestellen mußte.
„Die dumme Majorsecke hat mich wieder von der
Tante Helene abgebracht," führ der Major fort, nach-
dem er auch von der neuen Flasche ein Glas schnell
getrunken hatte. „Die gute Tante! Sie ist eigentlich
ein grundlangweiliges, abscheuliches, altes Reff, aber
da sie sehr reich ist, spreche ich stets nur mit tiefer Ehr-
furcht von ihr. Ich kann Dir übrigens eine große
Neuigkeit erzählen. Sie hat sich einen Schoßhund an-
geschafft."
„Das wundert mich, sie hat stets eine große Ab-
neigung gegen Hunde geäußert."
„Natürlich, da sie die Katzen liebt, muß sie die
Hunde hassen; das hängt mit der Lehre des Professors
von der Seelenwanderung zusammen; in diesem Falle
aber ist der Schoßhund kein wirklicher Hund, sondern,
da ich den Ausdruck nur bildlich gebraucht habe, ein
sehr schönes junges Mädchen, welches sich die Tante
als Gesellschafterin zugelegt hat."
„Merkwürdig! Sie hat mir nie davon gesprochen,
daß sie eine solche Absicht habe."
„Hat sie auch nicht gehabt. Der alte Schleicher,
der Geheimrath, hat ihr die Schrulle in den Kopf ge-
setzt. Er hat ihr eingeredet, bei ihrer Kränklichkeit
brauche sie eine Pflegerin, dazu sei ein gesundes, kräf-
tiges junges Mädchen anS gebildeter, guter Familie
viel geeigneter, als eine gewöhnliche Krankenwärterin.
Es komme nur darauf an, ein armes gebildetes Mäd-
chen zu finden, welches sich gegen einen hohen Gehalt
gewiß bereit zeigen werde, zugleich die Krankenpflegerin
und die Gesellschafterin der Tante zu werden."
„Und sie hat sich gefunden?"
„Ja, und zwar, wie es scheint, in einem Pracht-
exemplar. Meine Mutter, welche der Person gar nicht
grün ist, kann doch nicht umhin, zuzugestehen, daß sie
ganz wunderbar schön sei, eines der schönsten Mädchen,
die sie je gesehen."
„Was hat Deine Mutter gegen dies junge Mäd-
chen?"
„Du fragst noch? Da der alte Schleicher die Per-
son empfohlen hat, ist sie meiner Mutter natürlich ein
Dorn im Auge; sie haßt den Geheimrath wie die
Sünde, und sie hat alle Ursache dazu und ich auch, denn
er ist es, welcher der Tante Helene alle möglichen dum-
men Geschichten über mich zuträgt. Wäre der Geheim-
rath nicht, dann hätte die Tante schon längst den
Wunsch meiner Mutter erfüllt und ein Testament ge-
macht. Du freilich kannst lachen, denn Dir fällt, wenn
sie ohne Testament stirbt, ihr ganzes Vermögen zu,
aber mir kannst Du es nicht verdenken, wenn Du auch
mein Nebenbuhler um die Erbschaft bist, daß ich
wenigstens einen kleinen Antheil an derselben haben
möchte."
„Ich verdenke „es Dir nicht und würde Dir herzlich
gern die ganze Erbschaft gönnen. Ich besitze mehr als
ich brauche, und warte nicht auf ein Erbtheil."
„Das ist ein Wort! Du glücklicher Reicher kannst
es sprechen! Ich aber! — Meine Schulden ausge-
nommen, besitze ich nichts. Bei mir bewahrheitet sich
das alte Sprichwort: ,Er hat Schulden wie ein Major!'
Einmal hat sie die Tante Helene bezahlt, aber erklärt,
ein zweites Mal geschehe es nicht wieder; als der
Professor vor einiger Zeit nur eine leise Andeutung
durch den Geist des seligen Onkels machen ließ, ist sie
ganz zornig geworden und hat behauptet, irgend ein
Spottgeist betrüge sie, denn ihr verstorbener Gatte
könne ihr unmöglich rathen, mich in meinem — wie
sie sich ausdrückte — Sündenleben zu bestärken."
„Der Professor ist also Dein guter Freund? Du
nimmst die Hilfe dieses Schwindlers und Betrügers
an?" fragte Ewald mit einem Tone ernster Miß-
billigung.
„Halt, Vetter Ewald, Du gebrauchst da ein Wort,
welches ich nicht durchgehen lassen kann," erwiederte
der Major beleidigt, „der Professor ist weder ein
Schwindler, noch ein Betrüger, sondern ein durchaus
ehrenwerther Mann und mein besonderer Freund."
„Du sagtest aber selbst, daß er durch den Geist des
seligen Onkels zu Deinen Gunsten gesprochen habe —"
„Das hat er, weshalb soll er es nicht? Er steht
niit allen Geistern auf einem so freundschaftlichen Fuße,
daß ihm wohl 'mal einer einen kleinen Gefallen er-
weist und nun gar zu meinen Gunsten! Weshalb
sollte der Onkel sich meiner nicht annehmen? Er ist
doch mein rechter Onkel gewesen, der Bruder meiner
Mutter, und er weiß, daß ein Pensionirter Major, der
kein Vermögen hat, Schulden machen muß, wenn er
anständig leben soll. Das Unrecht war ganz auf Sei-
ten der Tante. Ich bin fest überzeugt, es war nicht
ein Spottgeist, sondern der Geist des Onkels selbst,
der ihr rieth, sie solle gütig gegen mich sein."
„Du glaubst wirklich an die Wahrheit der soge-
nannten Geistereinwirkungen, niit welchen der Professor
an den spiritistischen Abenden die Tante betrügt? An
seine verrückten Lehren von der Seelenwanderung, an
all den hirnverbrannten Unsinn, den er der armen
alten Tante vorpredigt, um seinen Einfluß auf sie zu

Hcst 3.
erhalten und zu vermehren. Daran glaubst Du? Das
ist unmöglich!"
„Weshalb nicht? Es gibt nichts Unmögliches, und
was Du hirnverbrannten Unsinn nennst, haben große
Männer der Wissenschaft, Naturforscher, Männer der
scharfen Beobachtung, wie Zöllner, Crookes und Andere
als reine lautere Wahrheit erkannt. Was ein Zöllner
für wahr und bewiesen erachtet, kann ich, Major Fer-
dinand v. Olsten, Wohl auch für bewiesen erachten,
ohne mich zu blamiren. Es gibt so viel Wunderbares
in der Welt, jeder Mensch erlebt täglich Wunder, ohne
sie zu erkennen, und deshalb, weil Ihr sie nicht er-
kennt, wollt Ihr nichts glaubende Realisten sie ganz
fortleugnen. Ihr beruft Euch auf die Wissenschaft.
Die ganze Wissenschaft ist Unsinn! Sie leugnet eben
Alles, was sie nicht versteht! Ihr Ungläubigen gebt
Euch nicht einmal die Mühe, Euch hineinzudenken in
das Euch Unverständliche. Leugnet Ihr nicht auch die
Seelen der Thiere? Mit dem flachen Wort Instinkt
speist Ihr alle die Regungen eines edlen Thierherzens
ab. Ich kann Dir eine Geschichte erzählen, die ich
selbst erlebt habe, und die mir den klarsten Beweis
von der Großherzigkeit eines Katers gegeben hat. Ja,
lache nur, was wahr ist, bleibt deshalb doch wahr,
was ich erlebt habe, lasse ich mir nicht abstreiten.
Du hättest es auch erleben können, aber als Ungläu-
biger gibst Du Dir nicht die Mühe, den Regungen
der. Thierseele nachzuforschen, und deshalb bleibt Dir
diese Seele verborgen. Dir bleibt das Thier eine un-
vernünftige Bestie, während es begabt ist mit den
edelsten Gefühlen, mit dem feinsten Verständniß für
Recht und Unrecht."
„Du vergißt Deine Geschichte!"
„Ja, das ist mein Fehler, ich komme immer von
Einem in's Andere. Also meine Geschichte. Ich hatte,
als ich noch Lieutenant war, eine herrliche Angorakatze —
es war aber ein Kater — ein Prächtiges, seelenvolles
Thier. Er lebte in traulicher Harmonie mit meinem
Liebling, einem Kanarienvogel. Matz flog frei im
Zimmer umher, er setzte sich oft auf Miezens Kopf,
wenn er singen wollte; ich hatte nämlich, beiläufig
gesagt, obgleich es ein Kater war, der Angora den
Namen Mieze gegeben. Mieze liebte den Matz wie
einen Bruder. Es war mein größtes Vergnügen, dem
Spiel der Beiden zuzuschauen, sie neckten sich und tän-
delten miteinander. Wenn Mieze sich zum Schlafen
niederlegte, kam oft Matz angehüpft und zog sie mit
seinem spitzen Schnabel an den Barthaaren, dann
wehrte sie ihn mit der Pfote sanft ab, aber sie that
ihm nie etwas. Eines Nachmittags an einem heißen
Tage lag ich ruhend auf dem Sopha, das Fenster
stand offen,- ich konnte es unbesorgt geöffnet lassen,
denn Matz flog höchstens bis auf den Birnbaum im
Garteu und kam immer bald zurück in's Zimmer.
Er hüpfte an jenem Nachmittage auf dem Fußboden
des Zimmers umher, um einige Körner aufzupicken,
während Mieze sich auf einem Polsterstuhle gelagert
hatte. Plötzlich sehe ich, ich glaubte meinen Augen
nicht trauen zu dürfen, daß Mieze mit einem gewal-
tigen Satz sich auf Matz stürzt, sie reißt den Rachen
auf und im nächsten Moment springt sie mit dem
Vogel im Rachen auf den Tisch und von diesem auf
den Kleiderschrank. Ich war empört über solche Nichts-
würdigkeit, in wilder Wuth reiße ich den Degen aus
der Ecke, um das Thier, welches in schnöder Freßgier
meinen Liebling gepackt hatte, zu morden. Da aber,
als ich den Degen schon gezückt habe, als ich eben
zustoßen will, trifft mich ein sanft klagender, weh-
müthiger Blick aus Miezens klaren Augen, und in
demselben Augenblick, es war Alles das Werk eines
Moments, sehe ich, daß ein großer fremder schwarzer
Kater zum Fenster hineinspringt auf die Stelle, auf
der soeben Matz harmlos seine Brodkrümchen gesucht
hatte. Da war mir Alles klar! Ich tödtete den' frem-
den Räuber, und sobald er zuckend zu meinen Füßen
lag und seine schwarze Seele aushauchte, sprang Mieze
vom Schrank herab, sie ließ Matz, den sie vorsichtig im
Rachen geborgen hatte, fliegen, dieser jauchzte ein ju-
belndes Lied, während Mieze, freundlich liebevoll zu
mir emporschauend, mit gekrümmtem Rücken und er-
hobenen! Schwanz sanft schnurrend sich an mein Bein
schmiegte."
Ewald, der bisher mühsam seinen Ernst gewahrt
hatte, vermochte dies bei der letzten Wendung nicht
mehr, er lachte hell auf; der Major nahm dies gar
nicht übel.
„Lache nur," sagte er, mit seinen schlauen, listigen
Augen den Vetter anschauend, „es hat noch Jeder ge-
lacht, dein ich die Geschichte erzählt habe; aber sie ist
jedenfalls ein Beweis dafür, daß eine gute Katze der
edelsten Herzensregungen fähig ist. Du lachst, weil
Du ein glatter Realist bist, der an nichts glaubt, ich
aber glaube daran, daß es zwischen Himmel und Erde
noch Manches gibt, was der thörichte Menschenverstand
nicht zu erfassen vermag."
„Und deshalb glaubst Du auch an den Spiritisten-
schwindel!"
„Wenigstens wage ich nicht, den Ausdruck Schwindel
 
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