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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 7
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0150
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Heft 7.
„Ihr klarer Verstand und Ihr edles Herz finden
immer den rechten Weg, gnädige Frau!" erwiedertc er,
die Hand der Baronin küssend. „Will der theure Ver-
storbene sich mir offenbaren, und ich hoffe darauf, daß
es geschehen wird, dann wird er zu mir selbst sprechen,
vielleicht heute schon."
Der alte Walter öffnete die Flügelthüre zum Speise-
saal und meldete, daß servirt sei, damit war in bester
Weise ein Gespräch abgebrochen, welches dem Professor
anfing, unbequem zu werden. Er bot der Baronin
den Arni und führte sie nach dem Speisesaal, in welchem
Helene schon wartete.
Der Saal war jetzt durch die über der Tafel
hängende Gaskrone erhellt : schwere dunkle Vorhänge,
welche das eine große Fenster bedeckten, schnitten das
Tageslicht ab. Die Tafel, welche nur drei Couverts
trug, war wie zu einem großen Diner angerichtet.
In der Mitte stand der schwere silberne Tafelaufsatz,
der Konfekt und Früchte trug, zwischen zwei Krystall-
vascn mit frischen Blumen. So war die Tafel auch
geschmückt, wenn kein Gast anwesend war; die Baronin
liebte es, dem Diner eine gewisse Feierlichkeit zu
geben, dies hatte sie auch in der Zeit gethan, als sie
ganz allein speiste. Walter bediente in voller Staats-
livree, er durfte den Saal nicht verlassen, das Haus-
mädchen brachte ihm die Speisen bis zur Korridor-
thüre, dort nahm er sie in Empfang und präsentirte
sie dann den Dinirendcn.
Ein Diner bei der Baronin war für den Professor
immer ein Genuß. Er war ein Feinschmecker und
wußte die vortreffliche Küche — Frau Weidner war eine
ausgezeichnete Köchin - und die feinen Weine voll zu
würdigen; dafür zeigte er sich denn auch dankbar, in-
dem er sich nach Kräften bemühte, die Dame während
des Diners gut zu unterhalten, und dies verstand er
meisterhaft. Er wußte stets diejenigen Gesprächsthemata
zu finden, für welche seine Zuhörer sich besonders in-
tcressirten, und den Ton zu treffen, der ihnen am meisten
zusagte. Er konnte heiter, selbst fast ausgelassen lustig
sein, wenn er am runden Tisch der Berger'schen Re-
stauration saß, er verstand es auch, mit ruhigem, würde-
vollem Ernst zu sprechen, immer aber war er inter-
essant. Den Gesprächigen gegenüber hörte er mit ach-
tungsvoller Aufmerksamkeit zu und warf nur einzelne
treffende anregende Bemerkungen in's Gespräch, denen,
die lieber zuhörten, als selbst sprachen, genügte er ebenso,
denn ohne je geschwätzig zu werden, ließ er doch nie-
mals die Unterhaltung stocken.
„Meine Tochter wird heute Abend zum ersten Male
einem spiritistischen Cirkel beiwohnen," sagte die Baronin,
„sic ist keine Gläubige, aber ich hoffe, die Macht der
Thatsachen wird sie überzeugen. Ich habe bis jetzt
keinen Versuch gemacht, ihren Unglauben zu besiegen;
ich habe dies Ihnen überlassen, Herr Professor."
Die Baronin hatte mit diesen Worten dem Pro-
fessor das Unterhaltungsthema gegeben, welches sie be-
handelt zu sehen wünschte, er griff dasselbe sofort auf.
„Sie erfreuen mich durch diese Mittheilung, gnädige
Frau," erwiedertc er. „Nichts gewährt mir einen
höheren, schöneren Genuß, als das Streben, den Glauben !
einzupflanzen in ein jugendliches, reines Herz. Ich
betrachte cs als eine besondere Gnade, die mich un-
aussprechlich beglückt, daß ich auserwählt bin, in meinem
theuren Vaterlande ein Verkündiger der heiligen Lehre
zu sein, die der Herr selbst uns täglich offenbart. Es
ist eine große, schone Aufgabe, der Vermittler von
Offenbarungen aus höheren Regionen sein zu dürfen,
und daß ich cs gerade in Deutschland sein darf, macht
mich doppelt glücklich, denn hier finde ich einen noch
jungfräulichen Boden Der deutsche Geist ist stets ge-
neigt zum Zweifel, hält aber mit unerschütterlicher
Treue an der einmal von ihm erkannten Wahrheit fest.
Und deshalb freue ich mich immer, wenn ich hier dem
Unglauben gegenüber stehe. Aberglaube ist schwer zu
besiegen, Unglaube leicht! Der Abergläubige denkt
nicht, er ist verstockt in seinem Irrwahn, er ist der
Wahrheit unzugänglich, er will sie nicht kennen lernen,
er will nicht sehen und nicht hören! Der Ungläubige
sträubt sich allerdings auch anfänglich gegen die bessere
Erkenntnis;, aber er denkt, und wenn er mit seinen
Augen sieht, mit seinen Händen fühlt, dann beginnt er
zu glauben, zuerst mit Zweifeln, aber wenn diese ge-
hoben werden einer nach dem anderen, wenn sich ihm
die Wahrheit mit überwältigender Macht offenbart,
wenn Beweis auf Beweis sich häuft, wenn jeder Zwei-
fel sich als hirnverbrannte Thorheit erweist, dann wird
aus dem Saulus ein Paulus, aus dem Ungläubigen
der treueste Gläubige. Und so werden auch Sie, mein
theures, gnädiges Fräulein, eine Gläubige werden, der
Glaube wird sich Ihnen gewaltsam, unwiderstehlich
aufdringen, wenn sich Ihnen die Wunder offenbaren,
deren wir täglich gewürdigt werden! Sie haben Wohl
oft'gelacht und gespottet, wenn Sie in den Zeitungen
gelesen haben von dem spiritistischen Verkehr mit der
Geisterwelt. Natürlich, Sie mußten lachen! Es gehört
ja jetzt zu den Forderungen der Bildung, Geisterglauben
und Aberglauben als gleichbedeutend zu bezeichnen.
Man darf allenfalls an eine Unsterblichkeit, an eine

Das Buch für Alle.

Fortdauer der Seele nach dem körperlichen Tode glauben,
aber man darf sich keine Vorstellung von dieser Fort-
dauer machen, und wer es wagt, zu behaupten, der
Geist des Dahingeschiedenen sei, gelöst von der körper-
lichen Hülle, doch noch im Stande, Denen sich zu nahen,
die er einst als Lebende innig geliebt hat, mit denen
seine ganze Seele zusammengewachsen war, mit ihnen in
geistige Verbindung zu treten, ja vielleicht sogar ihnen
zu erscheinen, der wird als ein Thor, als ein Ge-
spensterseher oder vielleicht gar als Lügner und Be-
trüger gebrandmarkt. Auch Sie haben solche Ideen in
sich ausgenommen, sie sind Ihnen ja von frühester
Kindheit an gepredigt worden, Sie mußten daher uns
Spiritisten, die wir behaupten, mit den Geistern der
Verstorbenen im lebendigen seelischen Verkehr zu stehen,
entweder als Getäuschte oder als Täuschende, entweder
als abergläubische Gespensterseher, oder als Gaukler und
Betrüger betrachten. Bewahren Sie sich solange diese
Anschauung, bis Ihnen der unumstößliche Beweis ge-
führt worden ist, daß Sie sich geirrt haben. Zweifeln
Sie selbst dann noch, wenn Sic zu sehen glauben!
Seien Sie mißtrauisch und vorsichtig! Glauben Sie
nichts, wofür Sie nicht einen Beweis haben. Prüfen
Sie, was Ihnen gelehrt werden wird, was Sie sehen
und hören werden, mit der größten Vorsicht, dann
werden Sie, je schärfer Ihr Verstand, je klarer Ihr
Denken, um so sicherer und um so schneller zum vollen
Glauben gelangen!"
Ein Lächeln zuckte um Helenens Lippen. Der Pro-
fessor sprach so eindringlich, seine ernsten Worte hatten
nichts Gemachtes, sie wurden gesprochen im Tone inner-
ster Ueberzeugung, er forderte von ihr nicht gedanken-
losen Glauben, sondern klares, scharfes Denken, und
dennoch konnte Helene ein Lächeln nicht unterdrücken;
es wurde erzeugt durch den höchst komischen Kontrast,
in welchem sein Sprechen zu seinem Thun stand.
Während er so eifrig seine neue Lehre Predigte, war er
nicht minder eifrig dabei, einem Meisterwerk der Weid-
ncr'schen Kochkunst, einer Krcbspastetc, die höchste Ehre
zu erweisen. Er aß mit einem bewundernswerthen
Appetit und nur für Momente unterbrach er sich, um
mit unverkennbarem Behagen einen Schluck von dem
golden im Glase schimmernden hochfeinen Rheinwein
zu schlürfen, hiedurch aber ließ er sich nicht im Reden
stören, nur wenn er die Gabel oder das Glas zum Munde
führte, stockte sein Wort für einen Augenblick.
Ein mit wonnigem Behagen Krebspastete verzeh-
render und Rheinwein schlürfender Prophet des Geister-
glaubens! Helene konnte nicht anders, sie mußte un-
willkürlich lächeln. Der Professor bemerkte dies Lächeln,
aber er ahnte nicht, welchem Gedankengange es ent-
sprossen war.
„Sie lächeln," fuhr er unbeirrt fort, „Sie sind
stolz .auf Ihren freigeistigcn Unglauben und halten es
für unmöglich, daß er jemals erschüttert werden könne.
Ich tadle Sie deshalb nicht, war doch auch ich einst
nicht weniger stolz darauf, mich frei zu wissen, nicht
nur von jedem Aberglauben, sondern von jedem Glauben.
Ich hätte nicht, wie Sie, mild-freundlich gelächelt, ich
würde zornmüthig geglaubt haben, schwer beleidigt zu
werden, wenn man mir zugemuthet hätte, ich könne
jemals an eine Unsterblichkeit der Seele, ja an einen
Gott glauben. Langweilt es Sie nicht, dann bin ich
gerne bereit, Ihnen zu erzählen, wie ich zum Glauben
bekehrt worden bin."
„Erzählen Sie, Herr Professor," sagte die Baronin,
„Sie werden mich und meine Tochter dadurch sehr er-
freuen."
13.
„Es sind jetzt mehr als vierzig Jahre her, da kam
ich zum ersten Male als ein zwanzigjähriger Jüng-
ling nach Berlin, um hier zu studiren. Mein Vater,
ein hochgelehrter Mann, hatte mich selbst zum Studium
vorbereitet, nur ein Jahr hatte ich die Prima des
Gymnasiums in der nicht fern von meinem Heimaths-
dorfe liegenden kleinen Stadt besucht und dann das
Abiturientenexamen mit Auszeichnung bestanden. Ich
studirte eifrig; hatte ich doch ein bestimmtes Ziel vor
Augen. Ein schönes, glückliches Familienleben war
der Brennpunkt meiner Wünsche, das Glücksideal, nach
welchem ich strebte, es bildete den Inhalt meiner
schönsten Zukunftsträume, und doch lag für mich die
Aussicht, dies ersehnte Ziel zu erreichen, in weiter,
unbestimmter Ferne.
Ich liebte und wurde geliebt! Aber die Geliebte
war die Tochter eines Rittergutsbesitzers aus altadeliger,
stolzer Familie. Ihr Vater hatte es wohl gestattet,
daß die kleine Anna — lassen Sie mich ihr diesen
Namen geben, der nicht der richtige ist mit dem
gleichalterigen Eduard vom Pfarrer den ersten Unter-
richt gemeinschaftlich erhielt; darin, daß die beiden
Kinder sich mit inniger Liebe aneinander schlossen,
sand er nichts Bedenkliches, es waren ja eben Kinder,
und er freute sich, wenn sie fröhlich zusammen spielten.
Aus der Knabenliebe entwickelte sich im Laufe der
Jahre aber eine glühende Leidenschaft, die mit gleicher
Gluth von der zur wunderschönen Jungfrau herange-
wachsenen Anna erwiedert wurde. Der Freiherr ahnte

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nichts davon, daß der Pfarrerssohn es wagte, seine Angen
zu der so hoch über ihm stehenden Baronesse zu er-
heben, er würde sonst den Unverschämten mit Schimpf
und Schande aus dem Schloß gejagt haben. Das
wußte Anna, denn sie kannte ihren Vater, und des-
halb zeigte sie sich gegen mich, wenn ich nach dem
Schloß kam, nicht mehr so zutraulich, wie in der Kin-
derzeit, oft sogar zum Schein recht stolz und kalt. So-
bald wir aber allein waren — und sie wußte mit be-
wundernswertster Geschicklichkeit die Gelegenheit dazu
oft herbeizuführen — entschädigte sie mich durch ihre
Küsse, durch das Versprechen, sie werde nie, nie von
mir lassen, sie werde dem Willen ihrer gesammten
aristokratischen Verwandtschaft zum Trotz mein treues
Weib werden, wenn ich nur erst ausstudirt habe und sie
als meine Gattin hcimführen könne. Sie tröstete mich,
wenn ich mitunter kleinmüthig wurde, sie ermuthigte
mich und mahnte mich, für jetzt mich zu verstellen,
ganz unbefangen zu erscheinen, damit Niemand unsere
Liebe ahne. So glühend und leidenschaftlich sie sein
konnte, wenn wir allein waren, so klug berechnend zeigte
sie sich, sobald unsere süßen Liebesaugenblicke verflogen
waren.
Fest auf ihre Liebe bauend, mit froher Zuversicht,
daß ich einst das Ziel meiner glühenden Wünsche er-
reichen würde, und mit dem Vorsatz, durch unablässige
Arbeit, durch eisernen Fleiß die Zeit abzukürzen, die
vergehen mußte, ehe ich angcstellt werden konnte, be-
gann ich in Berlin meine Studien. Die Vergnügungen,
denen sich andere Studenten in den ersten Semestern
rückhaltslos hinzugeben Pflegen, existirten für mich nicht,
mein Leben war der angestrengtesten Arbeit gewidmet.
Die Ferien brachte ich regelmäßig im Vaterhause
zu und fand natürlich oft Gelegenheit, mit der Geliebten
heimlich zusammenzutreffen.
So saßen wir einmal im Schloßgarten in einer
entlegenen Laube, in welcher wir uns auf ein unschein-
bares Zeichen Anna's hin zusammenzusinden pflegten.
Anna saß neben mir, sie hatte den Arm um meinen
Hals gelegt und küßte mich; plötzlich sprang sie ans,
eine glühende Röthe überflog ihr Gesicht, mit starren
Augen blickte sie nach dein Eingang der Laube. Mein
Blick folgte dem ihren, und ein jäher Schreck durch-
zuckte auch mich.
Vor der Laube staudcu Auua's Vater und ihr
Bruder.
Der Bruder, der nicht so ahnungslos war, wie der
Vater, hatte das heimliche Zeichen bemerkt, welches
Anna mir gegeben hatte, er hatte die Schwester und
mich beobachtet und bemerkt, daß wir Beide ans ver-
schiedenen Wegen uns der versteckten Gartenlaube zu-
wendeten. Schnell entschlossen hatte er den Vater auf-
gefordert, ihn zu begleiten, und so war es ihnen ge-
lungen, uns zu überraschen.
Roch heute, nach vierzig Jahren, fließt mir das
Blut heiß durch die Adern, wenn ich zurückdcnkc an
die schmachvolle Scene, welche ich erleben mußte! Der
Freiherr war außer sich vor Wuth. Er überschüttete
mich mit Verwünschungen und Beschimpfungen, er er-
klärte mir, wenn ich es noch einmal wage, das Schloß
zu besuchen, werde er mich mit der Reitpeitsche vom
Hofe jagen lassen. Ich wollte mich vertheidigcn, aber
dadurch erhöhte ich nur seine Wuth, er würde mich
geschlagen haben, wenn nicht der Sohn seine Hand
zurückgehalten hätte. „Du beschimpfst Dich selbst, wenn
Du den elenden Burschen der Ehre eines Schlages
würdigst," sagte Anna's Bruder, mich mit einer ver-
ächtlichen Miene musternd. „Dazu, solche Leute ab-
zustrafen, haben wir unsere Knechte, von denen soll
er die Peitsche fühlen!"
Anna war eine stumme Zeugin dieses fürchterlichen
Vorganges, sie sagte kein Wort zu meiner Vertheidi-
gung, sie blickte mich nicht einmal an, und als ihr
Bruder ihren Arni ergriff, folgte sie ihm und dem
Vater, ohne mir auch nur einen Abschiedsblick zu gönnen.
Verzweiflung im Herzen floh ich aus dem Schloß-
garten. Das Traumgcbäude meines Lebensglückes
war plötzlich in morsche Trümmer zerfallen. Anna
war für mich verloren für alle Zeit, das fühlte, das
wußte ich. Ich knirschte mit den Zähnen in ohn-
mächtigem Zorn, ich verwünschte den Freiherrn, ja
ich fluchte selbst der Geliebten, die sich von mir ge-
wendet hatte. Ich fühlte mich namenlos unglücklich,
fehlte mir doch der einzige Trost, der uns schwache
Menschen auch im schwersten Unglück aufrecht zu er-
halten vermag, der Glaube!"
Stangenspargel ist ein Gericht, welches sich schlecht
zur Begleitung einer tragischen Erzählung eignet. Der
Professor erzählte keineswegs mit falschem, theatrali-
schem Pathos, er sprach ruhig und klar, mit ernstem
Tone, der nur bei der Schilderung seiner tiefen Ver-
zweiflung etwas wärmer wurde; aber er nahm in
demselben Moment eine Stange Spargel auf, tauchte
sie in Buttersauce und schob sie in den Mund. Er
bemerkte es dabei nicht, daß Helene sich abwenden
mußte, um ein Lächeln zu verbergen; sie war nicht
im Stande, es zu unterdrücken — tiefe Verzweiflung
und Stangenspargel Passen eben nicht zusammen!
 
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