Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

DOI Heft:
Heft 9
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0195
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
194

dienen, deshalb folge er freudig dem Wunsche des
vortrefflichen Professor Mvndberger und wirke nut
diesem vereint.
Die Generalin hätte Wohl noch viel von dem vor-
züglichen jungen Mann erzählt, aber sie wurde im
besten Redefluß durch den alten Walter unterbrochen.
Dieser meldete, daß soeben der Herr Generallieutenant
v. Willhausen und Frau Gemahlin angekommen seien,
und daß er die Herrschaften nach dem Salon geführt
habe.
„Excellenz Willhausen!" rief die Generalin auf-
springend. „Willst Du ihn nicht selbst empfangen,
Helene?"
„Nein, ich mache keine Ausnahme," entgegnete die
Baronin. „Excellenz Willhausen besucht nicht mich,
sondern den spiritistischen Eirkel, er ist nicht von mir,
sondern von dem Professor eingeladen. Empfange ich
ihn, müßte ich auch den Major v. Bergroth, den
Hauptmann v. Bork, den Geheimrath Schnause und
den Bezirksvorsteher Schmidt empfangen. Bei wem
sollte ich anfangen und aufhören?"
„Dann gestatte wenigstens, daß unsere liebe Helene
mich begleitet und daß ich sie dem General vorstelle."
Dies gestattete die Baronin, der Major bot Helene
den Arm und folgte mit ihr der voraneilenden Gene-
ralin nach dem Salon, unterwegs flüsterte er Helene
zu: „Sie werden eine interessante Bekanntschaft machen,
Eousine Helene! Der berühmte alte Haudegen ist ein
wunderlicher Kauz, aber vielleicht noch mehr bösartig,
als wunderlich. Seinen einzigen Sohn aus erster Ehe
hat er verstoßen, man weiß nicht, aus welchen Grün-
den. Der etwa fünfzehnjährige Knabe mag irgend
einen dummen Streich ausgeführt haben, den hat ihm
der harte Vater nie verzeihen können, er hat ihn aus
dem Hause gejagt; als ein ganz gewöhnlicher Arbeiter
soll der junge Willhausen in Amerika in Noth und
Elend leben, ohne die geringste Unterstützung von dem
eisenkvpfigeu Vater zu erhalten. Die erste Frau des
harten Mannes ist aus Gram über den Verlust des
einzigen Sohnes gestorben. Mit siebenzig Jahren hat
er zum zweiten Male und zwar ein siebenzehnjühriges
Mädchen geheirathet, ein armes, hübsches, aber ich
glaube sehr einfältiges Kind, nun ist er eifersüchtig,
wie der selige Othello. Wohin er auch geht, überall
schleppt er die unglückliche Frau mit sich, weil er es
nicht wagt, sie allein zu Haus zu lassen, und doch
glaubt er sich von ihr betrogen. Wenn er ganz toll
vor Eifersucht ist, sucht er unseren Professor Mond-
berger auf; er hofft, seine verstorbene Frau werde es
ihm verrathen, wenn er von der jetzigen betrogen
werde, glücklicherweise aber ist die Selige nicht eifer-
süchtig und überhaupt ein gutmüthiges Geschöpf, sie
beruhigt den Alten, dieser geht dann kreuzvergnügt
nach Hause und peinigt einige Zeit das arme junge
Weib weniger. Für die kleine Generalin ist unser
Professor ein rettender Engel, sie betet ihn an und ist
die Gläubigste der Gläubigen."
Excellenz Willhausen ging im Salon mit seiner
Frau am Arm auf und nieder. Er war ein großer,
kräftig gebauter Mann, der seine dreiundsiebenzig Jahre
mit Leichtigkeit zu tragen schien. Er hielt sich so
stramm aufrecht, wie ein junger Soldat; nur der schnee-
weiße Schnurrbart und die tiefen Runzeln, welche ihm
Wangen und Stirne durchfurchten, verriethen sein hohes
Alter.
Die kleine junge Frau, welche an seinem Arm hing,
war ein zartes, kaum der Kindheit entwachsenes Wesen.
Mit verschleierten blauen Augen schaute sie träumend
in die Welt, ihr bleiches Äesichtchen hatte reizende
Züge, cs wäre vielleicht schön gewesen, hätte es nicht
ein schmerzhaftes Zucken des Mundes oft entstellt.
Excellenz unterbrach seine Zimmerwanderung, als
die Generalin in den Salon trat, er begrüßte sie von
oben herab, etwa so, als ob er einen Untergebenen
in seinem eigenen Hause zu empfangen die Gnade habe,
dem Major widmete er ein herablassendes Kopfnicken,
Helene, welche ihm die Generalin als ihre liebe Nichte
Helene, die Adoptivtochter ihrer Schwägerin, der Ba-
ronin v. Merzbach, vorstellte, schaute er mit seinen
stechenden grauen Augen scharf an, dann strich er sich
den buschigen Schnurrbart, ein Lächeln zuckte um den
breiten Mund. Er verbeugte sich ein wenig, ganz
wenig, man bemerkte es kaum, aber es war doch eine
Verbeugung.
„Freue mich die Ehre zu haben, gnädiges Fräulein,"
sagte er mit schnarrender Stimme. „Also Adoptiv-
tochter der Frau Baronin? Das Erste, was ich höre.
Jedenfalls eine Verwandte. Große Aehnlichkeit!"
Er hätte wohl noch ein paar Worte gesagt, aber
eben öffnete der alte Walter die Thüre und meldete:
„Herr Bezirksvorsteher Schmidt und Frau Gemahlin."
Sofort reckte Excellenz sich in voller Höhe auf, durch
einen Wink mit den Augen befahl er seiner Frau, sich
auf den Eckplatz im Sopha niederzulassen, er selbst
setzte sich auf einen Lehnsessel neben sie, und auch nicht
den Schatten eines Grußes gönnte er dem Bezirksvor-
steher oder der wohlbeleibten Madame Schmidt als
Erwiederung auf ihre devoten Verbeugungen.

Das Buch für Alle.
Die Generalin empfing die Neuangekommenen in
herablassend leutseliger Weise, ihnen Helene vorzustellen
hielt sie aber nicht für nothwendig. Es war gewiß
alles Mögliche, daß sie Madame Schmidt ersuchte, in
einem der Lehnsessel Platz zu nehmen, Herr Schmidt
mochte sich seinen Platz nach Belieben suchen. Sie
selbst setzte sich auf das Sopha neben die kleine Excel-
lenz, Helene wies sie einen Sessel neben sich an und
der Major stellte sich hinter diesem auf, um, wie er
sich zu Helene niederbeugend ihr zuflüsterte, sein Cousin-
chen mit allen noch ankommenden Mitgliedern der Ge-
sellschaft sofort bekannt zu machen.
„Groß ist Gottes Thiergarten!" sagte er leise. „Der
Professor hat sich die wunderbarste Menagerie zusammen-
gebracht, die man sich nur denken kann. Zwei Pracht-
Pärchen sehen Sie schon vor sich, sie Passen zusammen
wie ein Lvwenpaar und ein Affenpaar im zoologischen
Garten: Excellenz und der Bezirksvorsteher, der frühere
Handwerker - die zarte, kleine Aristokratin und die dicke,
behäbige Madame. Aber es kommt noch besser, da
kommt gleich wieder ein Prachteremplar."
„Herr geheimer Rechnungsrath Schnause," meldete
der alte Walter.
„Der dümmste Mensch in Berlin," flüsterte der
Major. „Er ist stolz auf seine Dummheit. Man sagt,
er trage stets einen geladenen Revolver bei sich, um,
wenn er einmal einen Menschen finden sollte, der noch
dümmer ist als er, diesen sofort todtzuschießcn. Der
Herr Bezirksvorsteher Schmidt, der auch in Dummheit
das Möglichste leistet, ist zwar sein guter Freund;
aber er fürchtet den Revolver und geht deshalb Abends
nicht gern allein mit dem Geheimrath. Man kann
doch nicht wissen, was Passirt, denn der Schnause ist
ein gefährlicher Mensch; was der sich vornimmt, führt
er aus!' soll Herr Schmidt in weiser Selbsterkenntniß
gesagt haben."
In ähnlicher Weise schilderte der Major die schnell
hinter einander eintreffenden Mitglieder des Eirkels,
den Major v. Bergroth und seine beiden heiraths-
sähigen und heirathslustigen Töchter, den Hauptmann
v. Bork, den Polizeilieutenant Signier nebst Frau und
Tochter, und den Magistratssekretär Birkenfeld. Von
Jedem wußte er eine lustige, charakteristische Anekdote
zu erzählen. Waren seine Bemerkungen auch etwas
boshaft, so wurden sie doch mit so viel Humor vor-
getragen, daß sie hiedurch das Gehässige verloren; sie
amüsirten Helene und regten ihr Interesse für die selt-
same, bunt zusammengewürfelte Gesellschaft an.
Alle Ankommenden wurden von der Generalin be-
grüßt, dann gruppirtcn sie sich nach Belieben; dabei
machten sich denn auch in dieser kleinen, zu einem
bestimmten gemeinsamen Zweck zusammengekommenen
Gesellschaft die Standesunterschiede recht grell be-
merklich.
Die arme junge Excellenz saß einsam, gehütet von
dem strengen Gemahl, der eine feste Mauer zwischen
ihr und den Neuangekommenen bildete, auf dem Sopha.
Sie hätte Wohl gern ein wenig geplaudert, aber die
Generalin, welche auf der einen Seite neben ihr saß,
stand fortwährend auf, um die Ankommenden zu em-
pfangen, und ihr Gatte saß stumm auf der anderen
Seite, jeden ihrer Blicke beobachtend, besonders als sich
der Hauptmann v. Bork nahte, um sich nach dem
Befinden von Excellenz zu erkundigen. Oft schaute die
kleine Frau nach Helenen hinüber, sie beneidete das
glückliche junge Mädchen, welches sich mit dem Major
unterhalten durfte. So häßlich der Major war, er
sprach doch wenigstens, und was er sagte, mußte unter-
haltend sein, denn seine Worte riefen ein Lächeln auf
Helenens Lippen.
Der alte Generällieutenant saß starr und steif bei
seiner jungen Frau, den Hauptmann fertigte er mit
einigen nicht gerade unhöflichen, aber doch zu keiner
Fortsetzung eines Gespräches einladenden Worten schnell
ab, auch mit dem v. Bergroth, der sich neben
ihn setzte, wechselte er nur einige Worte kalter Be-
grüßung, die übrige bürgerliche Gesellschaft schien für
ihn gar nicht vorhanden zu sein.
Nicht minder zurückhaltend zeigten sich die beiden
Fräulein v. Bergroth, nur mit dem Polizeilieutenant
Signier und dessen Frau und, Tochter sprachen sie,
aber auch nur in einer herablassenden Weise, mit den
Bürgerfrauen Madame Schmidt und Frau Sekretär
Birkenfeld konnten sie sich unmöglich einlassen; dafür
Plauderten diese beiden Danien um so eifriger mit ein-
ander, aber ihre Unterhaltung wurde, wie über aupt
jedes Gespräch in dieser eigeuthümlichen Gesellschaft,
im leisesten Flüstertöne geführt, selbst die Herren, die
hinter den Danien standen, sprachen nur flüsternd mit
einander.
Ein Diener, welchen Helene nicht kannte, reichte
einige Erfrischungen herum. Der Major sagte ihr, der
lange, dürre, schwarz angezogene Mensch mit dem
häßlichen Gesicht sei ein von dem Professor Mondber-
ger empfohlener, sehr geschickter Lohndiener, der jedes-
mal zur Bedienung bei den spiritistischen Cirkeln ver-
wendet werde, weil seine Verschwiegenheit erprobt sei.
Alle zum heutigen Abend Eingeladenen waren, mit

Heft 9.
Ausnahme des Hauptmanns v. Ogorin, versammelt,
nur die beiden Hauptpersonen, der Professor und der
Baron Fritz v. Severin fehlten noch. Mit großer
Spannung sahen alle Mitglieder der Gesellschaft der
Ankunft des Letzteren entgegen; außer der Geucratin
kannte ihn Niemand, der Professor hatte ihn selbst
seinen näheren Bekannten, den Herren am Berger'schen
Stammtisch, nicht vorgestellt, aber ihnen so viel von
seiner wunderbar hohen Begabung erzählt, daß sie
außerordentlich begierig waren, ihn kennen zu lernen.
Um neun Uhr hatte der Professor versprochen zu
kommen und mit der höchsten Pünktlichkeit erschien er,
begleitet von dem sehnlichst Erwarteten, auf den sich
sofort die neugierig forschenden Blicke aller Anwesenden
richteten. Alle waren angenehm überrascht durch die
wirklich interessante und ansprechende Erscheinung des
jungen Mannes, nur Excellenz Willhausen und Helene
nicht.
Der alte Generallieutenant schaute den Baron mit
einem recht finsteren und argwöhnischen Blicke an, er
konnte junge Männer von ansprechendem Aeußern über-
haupt nicht leiden, am wenigsten gern sah er sie
in einer Gesellschaft, in welcher seine Frau sich befand.
Als der Professor, nachdem er nur eben die Generalin
gewissermaßen als Frau vom Hause begrüßt hatte,
ihn daun zu den beiden Excellenzen führte, genügte
da^ steife Kopfnicken des alten Herrn bei der Be-
grüßung kaum dem mäßigsten Anspruch au gesellschaft-
liche Höflichkeit, und als nun gar die junge Frau dem
Vorgestellten ein freundliches Lächeln spendete, schoß
aus den grauen Augen des alten Herrn ein Zomesblitz
auf den jungen Mann.
Eine ganz andere Wirkung übte die Erscheinung
des Baron Fritz v. Severin auf Helene aus; ein jäher
Schreck hatte sic durchzuckt, als sie ihn mit dein Pro-
fessor in den Salon treten sah, mit weit geöffneten
Augen schaute sie ihn an.
Täuschte sie sich? — Es war Fritz, ihr Bruder
Fritz! Aber nein, er war es doch nicht! Fritz war
hellblond, der Baron hatte schwarze Haare und einen
tiefschwarzen Vollbart, während Fritz nur einen blon-
den Schnurrbart trug. Fritz hatte eine ungesunde,
weißlich-bleiche Gesichtsfarbe, während die des Barons
ein kräftiges Braun war; aber die Gesichtszüge Beider
hatten eine sprechende Aehnlichkeit, und mehr noch die
Augen, diese Hellen, mattblauen, meist den Boden
suchenden, niemals klar geradeaus schauenden Augen,
die einen ganz eigenthümlichen Kontrast zu dem schwar-
zen Haar und Bart, zu der braunen Gesichtsfarbe
bildeten.
lind es war doch Fritz! Seine Augen verriethen ihn.
Mochte er sich Gesicht, Haar und Bart auch künstlich
gefärbt haben, Helene erkannte ihn doch, und auch er
erkannte sie, er zuckte zusammen, als er sie sah, nur
für einen Moment, aber sie hatte es bemerkt. Eie
erinnerte sich der letzten Unterredung, welche sie mit
ihm gehabt hatte. Damals hatte er ihr gesagt, daß
er hoffe, als Medium viel Geld zu verdienen, und jetzt
führte ihn der Professor Mvndberger als solches ein
in den spiritistischen Eirkel und zwar unter einem fal-
schen Namen, als einen Baron v. Severin! Der Pro-
fessor war ein frecher Betrüger und Fritz sein Helfers-
helfer; jeder Zweifel, den bis zu diesem Augenblick
Helene etwa noch gehabt hatte, war jetzt gänzlich ver-
schwunden.
„Erlauben Sie mir, mein gnädiges Fräulein, Ihnen
den Herrn Baron v. Severin vorzustellen," sagte der
Professor, nachdem er die Generalin flüchtig begrüßt
hatte.
Der Baron verbeugte sich, er stand Helenen Auge
in Auge gegenüber; kein Zucken seiner Züge verrieth
ihn, er blickte sie einen Moment so ruhig und unbe-
fangen au, wie eine ihm völlig fremde Person, die er
zum ersten Male in seinem Leben sah, dann sprach er
einige höfliche, unbedeutende, solcher Vorstellung an-
gemessene Worte, um sich darauf abermals zu ver-
beugen und dem Professor zu Excellenz Willhausen zu
folgen. In diesem Augenblick war er Helenen ganz
fremd, seine Stimme klang anders, als die ihres Bru-
ders, und als sie ihm nun nachschaute, erschien ihr
auch sein Gang, seine Art sich zu bewegen anders.
Und doch täuschte sie sich nicht! Fritz hatte ja von
frühester Kindheit an ein hervorragendes Schauspieler-
talent gehabt. Wie oft hatte er sich als Knabe so
verkleidet, daß sie ihn nicht wieder erkannt hatte. Dies-
mal aber gelang es ihm nicht! Sie verfolgte ihn
mit spähendem Blick, sie horte es nicht, daß der Major
ihr zuftüsterte: „Wahrhaftig, ein famos feines Kerl-
chen! Jede Bewegung ist ganz cavaliermüßig! Man
sieht es ihm nicht an, daß er mit den Geistern auf
Du und Du steht. Aber das macht ihn gerade inter-
essant. Ich bin neugierig, ihn bei der Arbeit zu
sehen!"
Die Worte verhallten unverstanden in Helenens
Ohr, ihre ganze Aufmerksamkeit war auf den Baron
gerichtet, sie beobachtete ihn, wie er das steife Kopf-
nicken des Generallieutenants stolz in gleicher Weise
erwiederte, während er vor der jungen Frau sich re-
 
Annotationen