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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 10
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0226
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226

Oer Oämon des Hauses.
N oman

von

F. v. Zobcltitz.
' lNachdmck voolw.cn.)
!l cunzehntos A cipit e I.
Abschied.
chweren Herzens war Karl die Treppe
hinaufgestiegen, die nach dem Zimmer
seiner Schwester führte. Am liebsten hätte
er freilich sofort dieses Haus verlassen,
an das sich nur trübe und traurige Er-
innerungen für ihn knüpften, aber er dachte daran, daß
er vielleicht nicht wieder hieher zurückkehren werde
und — daß er nur eine Schwester besaß. Er dachte
auch daran, daß er Ernesta bei all' ihren Fehlern doch
nie hatte eine herzliche Zuneigung versagen können.
Er fand Ernesta allein, Tante Rosa war aus-
gegangen. Bitt einem Jubelrus sprang das Mädchen
beim Eintritt Karl's von ihrem Sitze auf und fiel dem
Bruder um den Hals.
„Du böser Geselle, warum bist Du nicht längst
gekommen, mir Glück zu wünschen?" rief sie leuchten-
den Auges. „Hast Du für Deine einzige Schwester
nicht einmal einige Minuten'Zeit?"
Karl küßte die Lippen Ernesta's, faßte sie dann unter


das Kinn und schaute ihr ernst in das Gesicht. Das
war keine Lüge, kein Komödienspiel, das war echtes,
jauchzendes Glück, das ihm aus diesem Antlitz ent-
gegcnstrahlte. Karl fühlte, wie sein Herz weicher und
wärmer wurde, wie seine Brust von einer schweren Last
sich löste. Es war so beseligend für ihn, wenigstens
hier Wahrheit und keinen Trug zu finden.
Ernesta Zog den Bruder mit sich an ein lauschiges
Plätzchen im Erkerfenster.
„Wärest Du eine halbe Stunde früher gekommen,
so hättest Du Alfred noch gefunden," plauderte sie)
„er war soeben hier, er kommt alle Tage, oft zweimal.
O, Du glaubst gar nicht, Karl, welch' ein lieber, ein-
ziger, vortrefflicher Mensch Alfred ist, ein besseres Herz
gibt's nicht auf der ganzen Welt! Im Oktober soll
die Hochzeit sein, aber in Berlin wollen wir nicht blei-
ben, Alfred gefällt das Leben hier nicht sonderlich, er
ist um seine Versetzung zu den rheinischen Kürassieren
eingekommen. Mir ist's recht, weil mir's ganz gleich
ist, wo ich lebe, wenn ich ihn nur bei mir habe...
ach, liebster Bruder, wüßtest Du nur, wie glücklich —
wie glücklich ich bin!" —
Der Jubel Ernesta's verstummte erst, als Karl von
seiner bevorstehenden Abreise sprach. Ernesta fand es
unrecht, daß er sich gerade in diesen Tagen der Freude
von seiner Familie trennen wolle, aber sie kannte das
Geschäftsleben zu gut, um nicht die Bedeutung der
Worte „wichtige Angelegenheiten", die Karl zur Be-
gründung seiner plötzlichen Abreise einfließen ließ, zu
begreifen.
„Aber Du kommst bald zurück, Karl?" fragte sie
beim Abschied. „Zum Hochzeitstage erwarten wir Dich

bestimmt."
„Ich kann nicht im Voraus über meine Zeit dis-
poniren, Herzchen," entgegnete Karl, „aber ich werde
mir Mühe geben, Deinen Wunsch zu erfüllen. Nun
lebe wohl, Kind, und mögest Du auch wirklich so glück-
lich werden, wie Du es erhoffst!" —
Aus der Treppe zum Entresol kam Otth Karl entgegen.
„Uork äs ms vis, Osrokus NsZnus!" rief der junge
Geck dein Bruder mit schnarrender Stimme entgegen,
„Papa sagt mir soeben, Du wolltest der Abwechslung
halber 'mal wieder davondampfen! Sapristi, Du hast
es doch gut! Während ich hinter den Kontobüchern der
Darlehenskasse schwitzen muß, schaust Du Dir die Welt
an! Nun, was sagst Du denn zur Okulirung unseres
Familienstammes durch ein blaublütiges Reis?"
„Ich freue mich über das Glück Ernesta's."
„Nicht wahr, das reine Schäfer-Idyll? Na, ich
kann Dir sagen,die Verlobung hat auch gehörig Auf-
sehen erregt. Hast Du übrigens gehört, daß Carbe
schon einmal so gut wie verlobt gewesen sein soll —
niit der Eomtcsse Artburg, der schönen Tochter unseres
alten Vicepräsidentcn?"
Karl's Augen vergrößerten sich, dann wandte er-
sieh unwillig ab.
„Klatscherei!"
,6vrpo äi baeoo!" — Otth liebte cs neuerdings,
seine Redewendungen mit fremdländischen Brocken zu
spicken — „Du bist kurz mit Deinem Urtheil, aber ich
versichere Dich, es ist 'was Wahres an dem Gerede.
Nun, mir soll's im klebrigen gleich sein... kkebrigens,
Karl, kannst Tu mir tausend Mark pumpen? Papa
ist unangenehm zähe geworden und ich habe gestern meine
letzten Thaler verpufft."
„Es wäre besser für Dich, Du übtest Dich in der
Kunst zu rechnen, als in der Kunst, das Geld zu ver-

Das Buch f n r All e.
schleudern," entgegnete Karl ärgerlich. „Ich bedaure,
Dir die tausend Mark nicht leihen zu können, dafür
will ich Dir aber einen guten Rath geben, der min-
destens ebensoviel Werth ist: ziehe Deine Narrenjacke
aus, leg' Deine Clownmanieren ab, setze Dich hinter
die Bücher, statt auf das hohe Pferd, lerne und arbeite
und werde ein vernünftiger Mensch ... Adieu, Otty,
auf Wiedersehen!"
Mit langem Gesicht schaute der Talmi-Sportsman
dem Abgehenden nach. „LIsW ms — so ein grober Phi-
lister!" murmelte er, steckte die Hände in die Hosen-
taschen und stieg Pfeifend die Treppe hinauf.
Karl fuhr direkt in seine Wohnung. Es sah hier
bereits recht ungemüthlich aus, ein fremder Geist spukte
in den sonst so traulichen Räumlichkeiten. Die hun-
dert Kleinigkeiten, die Karl von seinen Reisen mitge-
bracht, waren in riesige Kisten verpackt worden, die
Vorhänge und Portiören lagen zusammengeschnürt und
mit Leinwand umwickelt am Boden, die Teppiche waren
aufgerollt, die Möbel bei Seite geschoben.
- Karl schritt rasch durch die Zimmer und dabei ver-
düsterte sich seine Stirn. Er hatte sein Heim ganz
nach seinem Geschmack einrichten lassen, weil er gehofft
hatte, nunmehr längere Zeit festen Fuß fassen zu kön-
nen. Verfehlte Hoffnung! Wiederum trieb es ihn
hinaus in die Fremde, wie nach dem Tode seiner Stief-
mutter, seiner theuersten Freundin, doch diesmal war
es nicht der eigene Wille, sondern eine dämonische Ge-
walt, die ihn zum Wandern zwang. Was hatten die
wenigen Monde ihm nicht für Leid gebracht, viel tieferes
und viel schmerzlicheres Leid, als er bisher in seinem
ganzen Leben zu ertragen gezwungen gewesen war!
Wenn Karl die Ereignisse der letzten Zeit über-
dachte, hatte er das Gefühl, als müsse er alle Schuld
für das Unglück, das ihn getroffen, auf das graue
Haupt seines eigenen Vaters wälzen. Wie sehr er sich
auch dagegen sträubte, die Wahrheit, daß die schmäh-
liche Vergangenheit und der nackte, herzlose Egoismus
des Bankiers ihm, dem Sohne, zum Fluche geworden,
ließ sich nicht abstreiten.
Karl ließ sich am Schreibtisch nieder und ergriff
die Feder. Eine große und schwere Verpflichtung lastete
noch auf ihm; er mußte ihrer gerecht werden, bevor cr
Berlin verließ. Er schrieb an den Grafen Artburg,
und während er schrieb, war es ihm plötzlich, als
tauche eine Vision vor ihm auf. Er sah Hedwig Art-
burg vor sich stehen; ihr großes klares Auge ruhte
voll heißer Dankbarkeit auf ihm und ihre kleine kräf-
tige Rechte streckte sich ihm zum Handschlag entgegen.
Karl entsank die Feder. Eine glühende Sehnsucht
erfaßte ihn, sein Herz schlug ungestüm, eine fiebernde
Hitze stieg ihm in Wangen und Stirn. . .
Zum zweiten Male klopfte es laut und vernehm-
lich an die Thüre, dann öffnete sich dieselbe und Graf
Peck trat mit verwundertem Gesicht in das Zimmer.
„Da mir kein Mensch antwortet, so muß ich schon
selbst den Eingang suchen," sagte er lachend. „Sap-
perlot, hier sieht es ja bereits höllisch ungemüthlich
aus; Biesen sagte mir, Sie wollten verreisen, aber daß
Sie es so eilig haben, wußte ich nicht. Nun gucken
Sie mich einmal näher an, lieber Hartefeld: finden
Sie gar nichts Merkwürdiges an mir?"
Der kleine Graf pflanzte sich breitbeinig vor Karl
auf, hob den Kopf empor und reckte sich gewaltig.
Karl sah den Husaren von oben bis unten an, schüt-
telte dann lächelnd den Kopf und entgegnete: „Ich
suche vergebens; sind Sie vielleicht Premier geworden?"
„Gott behüte, des hat noch ein Jährchen Zeit!
Entdecken Sie denn nicht wenigstens einen auffallend
würdigen Zug an mir?"
„Ich müßte lügen, wenn ich das behauptete; in-
dessen müssen Sie meine Kurzsichtigkeit schon verzeihen,
ich habe mich nie eines besonders scharfen Blickes zu
rühmen vermocht."
Peck richtete sich noch höher auf. „Ich bin ver-
lobt," sagte er mit Betonung.
„Ei der Tausend — verlobt — und mit wem?
wenn ich fragen darf...?"
„Mit der ehr- und sittsamen Agnesia, Tochter des
sehr löblichen Geheimraths Franz Friedrich v. Hagen,
Vater des jugendlichen Rebellen Ottokar Hagen, so wir
auf dem Brachfelde bei Tegel in blutigem Strauß ab-
geführt haben."
Karl gratulirte, und Peck erzählte nun in der ihm
eigenen drolligen Weise die Geschichte seiner Werbung
um Agnes und die Enttäuschung, die ihm nach den
ersten glücklichen Stunden seiner jungen Liebe durch
jenen Regimentsbefehl geworden sei, der ihn infolge
des Duells zwischen Karl und Hagen zu Stubenarrest
verurtheilt habe.
„Ich denke übrigens, der Oberst wird die Sache
ruhen lassen," fuhr er fort, „und sie nicht erst höheren
Ortes anhängig machen, so daß uns die Festung er-
spart wird. Apropos, was ich Ihnen noch sagen wollte,
lieber Hartefeld: der junge Hagen hat sich nun doch
noch bereit erklärt, jene beleidigende Aeußerung, die
den Grund zu dem Duelle bildete, iu aller Form zn-
rückzunehmeu —"

Hrst 10.
„Und hat er wirklich aus freiem Antriebe, aus
Ueberzeugung, daß er im Rausche die Unwahrheit
gesprochen, sich zu diesem Widerruf verstanden?"
„Nun freilich," entgegnete Peck verlegen und zögernd,
„das heißt, ich nehme cs an. Möglich ist ja indessen
immerhin, daß auch die Verlobung Ihrer Fräulein
Schwester mit einem Hagen nahestehenden Kameraden
ihr Theil dazu beigetragen hat, den Hitzkopf zu seinem
Entschlüsse zu bestimmen. Tas ist aber nur eine Muth-
maßung..."
„Eine Muthmaßung, der auch ich beipflichte. Leider
bleibt mir keine Zeit mehr, Hageu's Widerruf Persön-
lich entgegenzunehmen, ich möchte Sie deshalb bitten,
lieber Graf, die Angelegenheit für mich zum Austrag
zu bringen, soweit Sie das nach Brauch und Sitte
für nothwendig halten."
„Mit größtem Vergnügen. Sehen wir uns noch
einmal vor Ihrer Abreise?"
„Ich fürchte, es wird sich nicht machen lassen. Mein
Wohnungsinventar wird schon im Laufe des Nachmit-
tags vom Spediteur abgeholt, ich selbst habe nur noch
einen Geschäftsgang zu besorgen, so daß ich vielleicht
bereits mit dem Nachtzuge abdampfen werde. Es treffen
verschiedene Gründe zusammen, die mich zur Beschleu-
nigung meiner Abreise zwingen."
Der Graf schaute den Sprechenden aufmerksam an,
ein leises Verständniß für diese „zwingenden Gründe"
begann in ihm aufzndämmern. Mit aufrichtiger Herz-
lichkeit drückte er Karl's Hand.
„So wünsche ich Ihnen Glück auf die Reise," sagte
er. „Hoffentlich sehen wir uns bald einmal wieder —
jedenfalls, lieber Hartefeld, seien Sie versichert, daß
ich Ihrer stets in ehrlichster Freundschaft gedenken
werde —"
„Wie ich Ihrer! Leben Sie wohl, Graf Peck, und
grüßen Sie alle Bekannten, die sich meiner wie Sie
erinnern."
Noch ein Händedruck, dann schieden die Beiden.
Karl kehrte zum Schreibtisch zurück und nahm den
begonnenen Brief wieder auf. Er schrieb lange und
sorgfältig, und er athmete tief auf, als er das Cou-
vert geschlossen und die Adresse sertiggestellt hatte. Er
trug auch den Brief eigenhändig auf das nächste Post-
amt und fuhr dann zum Justizrath und Notar Doktor
Herbig, seinem Anwalt, mit dem er eine längere Be-
sprechung hatte.
» *
*
Als Karl nach einigen Stunden in seine Wohnung
zurückkehrte, theilte ihm seine Haushälterin schon im
Korridor flüsternd mit, daß ihn eine Dame zu sprechen
wünsche. Sie befinde sich im Salon, denn sie habe
den jungen Herrn auf alle Fälle erwarten wollen.
Karl schüttelte den Kopf. Eine Dame? Wer konnte
das sein? Der Gedanke durchzuckte ihn, daß vielleicht
Hedwig ihn aufgesucht haben könne, um im Namen
ihres Vaters um seine Hilfe zu bitten ... nein, das war
! unmöglich, eine Bitte an ihn kam sicher nie über die
Lippen dieses stolzen Mädchens! —
Hastig legte Karl Hut und Uebcrrock ab und trat
dann in das Wohnzimmer. In dem großen Raume
war noch kein Licht angezündet worden, die Schatten
der Dämmerung huschten an den Wänden entlang.
Aus einem einsam vor dem Kamin stehenden Sessel
erhob sich eine große schwarze Gestalt und trat Karl
langsam entgegen.
„Tante Rosa!" rief der junge Mann überrascht.
„Das hätte ich nicht erwartet! Was führt D i ch denn
einmal zu mir — und zu so später Stunde?"
„Die Nachricht, daß Du abreisen wolltest, Karl.
Ernesta erzählte es mir, und da Du versäumt hast,
Dich von mir zu verabschieden —"
„Verzeihe mir, Tante, Du warst ausgegangen, als
ich nach der Bellevuestraße fuhr, und so konnte ich nur
Grüße für Dich auftragen."
Frau Rosa lächelte eigenthümlich. „Wir haben
uns innerlich nie so nahe gestanden, daß ich Dir das
kleine Versäumniß übel nehmen könnte," entgegnete sie
in ihrer ruhigen Weise. „Ich würde auch stillschwei-
gend darüber hinweggegangen sein, wenn ich es nicht
für nothwendig gehalten hätte, vor Deiner Abreise noch
einige Worte mit Dir zu sprechen."
Karl schaute sich verwundert nach Frau Reiherstein
um. „Ich bin begierig, was Du mir zu sagen hast,
Tante. Bitte, nimm Platz und gestatte gütigst, daß
ich zunächst für ein wenig Licht sorge."
„Weshalb das! Es plaudert sich ja viel angenehmer
in der Dämmerung. Laß das und setze Dich mir gegen-
über — so, Karl!"
Schweigend, aber mit wachsendem Erstaunen holte
sich Karl einen Stuhl. Die dunkle, hagere Gestalt der
Wittwe erschien in den grauen Schatten, die sie um-
flutheten, noch größer; es lag etwas Gespenstisches in
ihrer Erscheinung, etwas Unheimliches.
Frau Rosa räusperte sich leise, dann faltete sie die
Hände über der Brust und begann in ihrer gewöhn-
lichen monotonen Sprechweise: „Würdest Du mir wohl
ehrlich und der Wahrheit gemäß anvcrtrauen, wes-
 
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