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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 16
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362

„Du glaubst uicht mehr an den Spiritismus?"
„Sprich mir davon nicht. Wahrhaftig, der Wein
schmeckt mir bitter, wenn ich daran denke, welcher Esel
ich gewesen bin."
Er trank, offenbar nur, um den bitteren Geschmack
hinunterzuspülen, sein Glas leer, dann fuhr er fort:
„Ich befand mich in einer jammervollen Lage; daran,
Dich um Rath zu frage», dachte ich noch nicht, und
so wußte ich denn gar nicht, was ich thun sollte. Die
Tante Helene warnend Sie hätte mir doch nicht ge-
glaubt und ich hätte dadurch mir den Professor zum
Feinde gemacht. Sehr grün ist mir, die Tante ohnehin
nicht, und wenn nun noch der Professor, der mir bisher
die Stange gehalten hat, mein Feind wurde, dann war es
vorbei mit allen meinen Aussichten. Ich bin kein schlech-
ter Kerl, Ewald, aber solche Selbstaufopferung ist
doch mein Genre nicht. Ich beschloß endlich, die Sache
laufen zu lassen, wie sie eben laufen wollte, ohne mich
einzumischen, in der Hoffnung, daß Wohl mein Freund
Benno Welser das Seinige thun werde, um den schuf-
tigen Professor, gegen den er einen grimmigen Haß
fühlt, unschädlich zu machen. Es war nicht schon, das
gestehe ich zu, aber was thun? Zur Tante Helene
mochte ich nicht gehen, -ich schämte mich, ihr in die
Augen zu schauen, selbst meine Mutter vermied ich, ich
fürchtete mich vor einer Auseinandersetzung mit ihr.
Da habe ich denn vorgestern und gestern fast den gan-
zen Tag und bis spät in die Nacht hinein hier Flasche
auf Flasche geleert. Ich wollte meine Mutter ver-
meiden ; heute Morgen aber hat sie mich abgefaßt, als
ich noch im Bette lag. Sie schalt mich über mein
Wüstes Leben, ich kam mir selbst nicht besonders solide
vor und konnte ihr nichts entgegnen, denn Recht hatte sie
eigentlich. Da ich sie schweigend anhörte, beruhigte sie
sich endlich etwas, ich hoffte schon, die Geschichte sei
vorbei, aber sie fing erst an. Sie erzählte mir, der
Professor habe ihr einen Vorschlag gemacht, der sie
zwar anfangs empört habe, von dem sie aber nach
langer ruhiger Ueberlegung einsehe, daß er annehmbar
sei und meine, wie ihre Zukunft sichern werde: ich
solle Cousinchen — sie betonte das von mir immer-
gebrauchte Wort Cousinchen spöttisch scharf — Helene
heirathen. Hätte mir die Mutter gesagt, die Tante
Helene selbst wolle mich heirathen, ich wäre nicht mehr
erstaunt gewesen. Ich muß ein furchtbar dummes Ge-
sicht gemacht habcu; aber ich machte ein noch viel
dümmeres, als sie sortfuhr und mir nun ganz harm-
los erzählte, es sei zwar eigentlich eine Schande, wenn
sich ein Ohlen so weit herabwürdige, daß er einer
solchen Person seine Hand reiche, aber ich müsse in
den sauren Apfel beißen, da Helene unzweifelhaft von
der Tante zu ihrer Universalerbin eingesetzt werden
würde, denn sie sei — der Professor sei hinter dies
Gcheimniß gekommen — sie sei — fall' nicht vom
Stuhl, Ewald, wenn Du die unglaubliche, aber doch
buchstäblich wahre Behauptung hörst — sic sei die
leibhaftige Enkelin der Tante Helene, ihr echtes Fleisch
und Blut, bisher von ihr verleugnet und auch jetzt
noch nicht voll von ihr anerkannt wegen der bürger-
lichen Abstammung von des Baters Seite her." —
Der Major lehnte sich in den Stuhl zurück, er
weidete sich an dem grenzenlosen Staunen, welches sich
in Ewald's Gesicht widerspiegelte; er erwartete, Ewald
werde, wie er selbst es gethan hatte, ausrufen: „Un-
möglich! Welche Thorheit, so etwas zu glauben!"
Das aber geschah nicht, nur einen Moment war Ewald
durch die Plötzlichkeit der unerwarteten Aufklärung
überrascht, im nächsten Augenblick schon faßte er sich
und fragte: „Hat der Professor Deiner Mutter Be-
weise für seine Behauptung gegeben?"
„Donnerwetter! Du nimmst die Sache kaltblütig,
viel kaltblütiger als ich!" rief der Major, nun seiner-
seits sehr erstaunt. „Ich würde eher an des Himmels
Einsturz, als daran geglaubt haben, daß unsere Tante
ihr Fleisch und Blut eines traurigen Vorurtheiles
wegen Jahre lang verleugnet habe! Sie ist wohl adels-
stolz , aber doch herzensgut, ich glaube nicht an die
Möglichkeit einer solchen Hartherzigkeit, aber die Mutter-
ließ sich nicht irre machen, sie erklärte, auch sie habe
anfangs die Mittheilung des Professors nicht glauben
wollen, aber dieser habe ihr so schlagende Beweise für
die Richtigkeit derselben gegeben, daß ihr jeder Zweifel
geschwunden sej — worin diese Beweise bestanden haben,
hat sie mir allerdings nicht gesagt, aber ich kenne nieine
Mutter, ich Weiß, daß sie nicht leichtgläubig ist, daß
sie mit scharfem Verstände mißtrauisch Prüft, ehe sie
glaubt, und in diesem Falle glaubt sie nicht nur, son-
dern sie ist fest überzeugt."
Ewald hatte die letzten Worte kaum mehr gehört,
seine Gedanken waren in weiter Ferne. Für einen
Moment hatte ihn des Majors Mittheilung zum größ-
ten Staunen erregt, dann aber war das Staunen dem
Nachsinnen über die Tragweite derselben gewichen.
Helene die leibliche Enkelin .der Tante! — Wie natürlich
lösten sich bei der Wahrheit dieser Nachricht alle die
Räthsel, welche Helenens Stellung bisher umhüllt hat-
ten, die wunderbare Liebe der Tante zu dem ihr vor-
her, wie man glaubte, ganz unbekannten jungen Mäd-

Das Buch für Alle.

chen, ihr Wunsch, die Enkelin mit dem Neffen zu ver-
mählen, ihre Absicht, sie zu ihrer Univcrsalerbin zu
machen, ihr seltsamer Ausruf: „Helene ist meine Toch-
ter, sie ist eine echte Ogorin, wenn auch ihr Vater
bürgerlichen Geschlechtes war!" Ein unbeschreibliches
Wonnegefühl erfüllte Ewald, er war sich plötzlich
klar darüber, daß die Geliebte unschuldig, daß Welser
mit seinem Verdacht im Jrrthum sei. Wenn sie auch
wirklich die Enkelin der Tante war, sie wußte es nicht,
ja, sie ahnte es nicht einmal, sie glaubte, daß Fritz
Müller ihr rechter Bruder sei, sie wußte nichts von
den Jntrigucn, die rings um sie und um ihretwillen ge-
spielt wurden. Aber der Geheimrath kannte ihre Ab-
stammung, jetzt fanden auch seine räthselhaften Worte
eine ganz natürliche Aufklärung, und der Professor war
ebenfalls eingeweiht in das Geheimniß, vielleicht auch
Fritz Müller selbst. Ihm kam es darauf an, sich Ge-
wißheit, vielleicht Beweise zu schaffen, um eine gefähr-
liche Macht über die Baronin, vielleicht auch, um eine
Unterlage für seine spiritistischen Gaukelstücke zu ge-
winnen; zu diefem Zwecke hatte er den Einbruch ver-
anlaßt, hatte er die gestohlenen Papiere durchgesehcn,
und gab sie der Bestohlenen zurück, nachdem sie ihren
Zweck erfüllt hatten, um die ausgefetzte Belohnung zu
erhalten. In des Professors Interesse und noch mehr
in dem des falschen Barons Severin lag es, für Helene
einzutreten, dafür, daß diese selbst sie dazu veranlaßt
habe, lag jetzt nicht mehr die geringste Andeutung vor.
Sie war unschuldig! Das war ein entzückender, be-
rauschender Gedanke! Ewald zweifelte nicht mehr, er
fühlte sich unaussprechlich glücklich!
Der Major hatte eine Frage an ihn gerichtet, ober-
er hatte sie, versunken in sein Nachsinnen, nicht einmal
gehört. „Zum Donnerwetter, Ewald," rief der Major,
ihn an der Schulter fassend und schüttelnd, „Du schwebst
Wohl in höheren Regionen? Ich glaubte, Du nehmest
die Verrückte Geschichte merkwürdig kaltblütig, nun über-
sehe ich, daß sie Dich ganz aus dem Häuschen bringt!
Verrückt ist sie, das muß wahr sein, und für Dich,
der Du ein Tugendheld erster Klasse bist, mag sie nicht
so unbedeutend sein, wie für mich leichtfertigen Welt-
menschen. Es ist nicht schön von der Tante Helene,
daß sie das Kind ihrer Tochter unter einem fremden
Namen unter fremden Leuten hat erziehen lassen, aber
was geht cs mich an? Ich will sie nicht vcrurtheilen,
auch dafür nicht, daß sie jetzt, wo sie endlich in ihren
alten Tagen Reue fühlt, das Enkelkind zu sich nimmt,
doch noch immer nicht sich entschließen kann, es
wirklich ehrlich und offen vor aller Welt als ihr
Fleisch und Blut anzuerkennen. Sie hat durch das
Kunststückchen, die schöne Helene scheinbar als ihre
Gesellschafterin in ihr Haus zu nehmen, mit meiner
Mutter- und auch mit Dir eine häßliche Komödie ge-
spielt. Du bist natürlich wüthend über die Jntrigue,
welche mit Dir gespielt worden ist, über das Lügen-
gewebe, mit welchem unsere verehrte Frau Tante sich
umgeben hat; ich aber, als schnödes Weltkind, denke:
Leben und leben lassen! Richtet nicht, auf daß ihr
nicht gerichtet werdet! Vielleicht hat die Tante sogar
nicht Unrecht, daß sie jetzt nach so vielen Jahren den
Skandal vermeiden will, den eine verspätete Anerken-
nung ihrer Enkelin geben würde. Nur keinen öffent-
lichen Skandal! So denkt auch meine Mutter, und
deshalb findet sie es ganz in der Ordnung, wenn ich
bezüglich der Geburt der schöneu Helene ein Auge zu-
drücke. Im Uebrigen hast ja auch Du vor einer Viertel-
stunde erst mir gesagt, Du würdest keinen Anstand
nehmen, ein bürgerliches Mädchen, wenn sein Ruf rein
und fleckenlos ist, zu heirathen. Willst Du leugnen,
daß Du dies gesagt hast?"
„Nein!" erwiederte Ewald fest und bestimmt. Er
dachte dabei an Helene.
„Nun, da sind wir wieder beim Anfang unserer
Unterredung," fuhr der Major fort. „Du räthst mir
also, das reizende Cousinchen — sic ist ja also wirk-
lich mein Cousinchen — zu heirathen. Die Sache hat
nur noch einen Haken, aber einen allerdings recht häß-
lichen. Ich soll für diesen Schuft, den Professor, einen
Wechsel auf fünfzigtausend Mark ausstellen dafür, daß
er mir mit der reizenden Frau auch die Erbschaft der
Tante verschafft."
„Das ist ja eine unerhörte Infamie!" rief Ewald
empört.
„Dies war auch mein erster Ausruf, als mir die
Mutter diese Zumuthung stellte. Ich war ebenso ent-
rüstet, wie Du es bist, und ich kann es nicht leugnen,
ich bin es eigentlich noch- Einem solchen Schuft
fünfzigtausend Mark baares Geld geben zu sollen! Es
ist empörend! Außerdem mein Gewissen! Der mora-
lische Katzenjammer darüber, daß ich der Bundesgenosse
dieses niederträchtigen Halunken bleiben soll! Ich
komme mir vor, wie der berühmte Esel zwischen den
beiden Bündeln Heu. Das Unglücksvieh konnte nicht
unschlüssiger sein, als ich es bin."
„Ich begreife Dich nicht, Ferdinand, wie Du nur
einen Augenblick daran denken kannst, in eine so schmach-
volle Verbindung mit einem Menschen zu treten, den
Du selbst einen Schuft und Betrüger nennst!"

Heft 16.
„Ja, das sagst Du Wohl so leichthin! Stecktest
Du wie ich in Schulden bis über die Ohren, ohne
irgend eine andere Aussicht für das Leben, als bis an
Deiner Tage Ende mit leeren Taschen umherstrolchen
zu müssen als ein an der Majorsecke gestolperter aus-
rangirter Offizier — dann würdest Du wohl auch an-
ders sprechen. Dabei ist das Cousinchen wirklich ein
reizendes Mädchen, und Du kannst Dich nicht darüber-
wundern, daß ich in der That verliebt in sie bin.
Natürlich rein Platonische Liebe, die aber nicht darunter-
leidet, daß Cousinchen die Erbin der Tante wird. Reich-
thum schändet nicht! Cousinchen ist ein Engel und sie
liebt mich. — Ja, schau mich nur nicht so finster an,
als wollest Du mir vorwerfen, daß ich lüge, sie liebt
mich doch! Das arme Kind! Du hast sie stets von
oben herab behandelt, während ich ihr mit Freundlich-
keit und Vertrauen entgegengekommen bin. Dadurch
habe ich ihr Herz erobert, mit der Dankbarkeit ist die
Liebe in dasselbe eingezogen. Ich weiß, daß ich nicht
gerade ein Adonis bin, aber das thut nichts. Cou-
sinchen hat über die äußere Hülle fort mir in's Herz
geschaut. Mancher freundliche Blick, mancher innige
Händedruck hat mir ihr stilles Gefühl verrathen. Sie
liebt mich und sie wird mir freudig die reizende kleine
Hand geben. Auch die Tante wird mir ihre Einwilli-
gung nicht versagen, wenn ihr Intimus, der Pro-
fessor, und durch ihn der Geist des seligen Onkels sein
Fürwort für mich einlegt. Die Tante hat zwar ein
Vorurtheil gegen mich, sie traut mir nicht recht, hält
mich für leichtfertig und so weiter, aber wenn der
Professor recht energisch für mich eintritt, wird sie es
verlieren. Tritt er aber feindlich gegen mich auf, dann
zerfallen alle die schönen Luftschlösser in blauen Dunst.
Da hast Du die beiden Bündel Heu. Das eine ist
der schöne Zukunftstraum, aber geknüpft an die Bundes-
genossenschaft des Professors, dessen Hilfe ich durch die
Unterschrift des Wechsels erkaufen muß, das andere
ist der Fußtritt, den ich dem Halunken geben möchte,
die Lust, ihn zu entlarven und unschädlich zu machen,
der Drang, mein Gewissen von dem Druck, der auf
ihm lastet, zu befreien. Was räthst Du mir? Sag'
es mir offen und ehrlich, Ewald!"
Ewald hatte zuletzt ernst und trübsinnig vor sich
niedergeschaut, er hatte den Vetter reden lassen, ohne
ihn zu unterbrechen, erst als dieser die Frage an ihn
richtete, schaute er auf.
„Frage mich nicht," antwortete er mit einer Schärfe
im Ton, die gar nicht zu seiner sonstigen freundlichen
Art Paßte. „Ich kann und will Dir nicht rathen. Ich
bin nicht unparteiisch."
„Was thut das? Du hast selbst gesagt, daß Du
mir das Erbtheil der Tante Helene gönnst. Nun, die
Heirath mit dem Cousinchen wirst Du mir als stolzer
Weiberverächter Wohl auch nicht mißgönnen."
„Weißt Du das so gewiß? Baue nicht darauf!
Du hast Dich vertrauend mit offener Frage an mich
gewendet. Offenheit fordert Offenheit! Wenn Helene
Dich liebt — ich glaube es nicht, ich kann es nicht
glauben! — aber wenn sie-Dich liebt, Wohl, dann
beuge ich mein Haupt. Niemals jedoch werde ich es
dulden, daß ein Zwang auf sie ausgeübt wird. Wagst
Du es, einen solchen mit Hilfe Deiner unwürdigen
Verbündeten nur zu versuchen, dann trete ich für sie
und für mich in den Kampf ein — ja für mich, Fer-
dinand, denn ich liebe Helene!"
Er war aufgestanden. Den letzten Satz hatte er
mit besonderer Kraft, mit besonderem Nachdruck ge-
sprochen; er fügte ihm nichts hinzu; nur mit der
Hand winkte er dem Vetter noch einen Gruß zu, dann
ging er davon.
Der Major hatte eben das Glas zum Trinken er-
hoben, er ließ es sinken, ohne es an den Mund zu
setzen. Vollständig verblüfft schaute er dem Davon-
eilenden nach.
25.
Die kleine Excellenz saß wieder in der Morgen-
stunde vor der Visitenzeit auf dem Sopha neben der
Baronin. Sie war wiederum in großer Aufregung
gekommen und hatte der Baronin gleich beim Cintritt
zugerufen, daß der Professor sich vollständig gerecht-
fertigt habe, und daß sie alle Beide den herrlichen
Mann vollständig grundlos beargwöhnt hätten, was
sie jetzt unendlich bedaure.
„Ich hatte," berichtete sie, „unserem Bedienten den
Befehl gegeben, er solle, wenn der Professor komme,
immer sagen, ich sei nicht zu Hause, und ihn mir gar
nicht melden. Und das hat er denn auch richtig gethan.
Gestern und vorgestern hat er den armen guten Pro-
fessor an der Thüre abgewiesen, heute Morgen aber
ganz früh konnte er es nicht, denn da Wollte der Pro-
zessor nicht mich, sondern meinen Mann sprechen, und
Gerhardt war zu Haus und empfing ihn. Sie hatten
eine kurze Unterredung zusammen, dann kam der Pro-
fessor zu mir, Gerhardt selbst schickte ihn, auf alle
anderen Menschen ist er eifersüchtig, aber glücklicher-
weise auf den guten alten Professor nicht, ihm allein
vertraut er. Sehen Sie, liebe gnädige Frau, als der
 
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