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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1895

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Heft 1
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Riegl, Alois: Kunsthandwerk und kunstgewerbliche Massenproduktion
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https://doi.org/10.11588/diglit.6756#0010

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wirthschasten die wichtigsten Erfindungen aus dein Gebiete
der fundamentalen Aunsttechniken gemacht worden waren,
so folgt daraus als selbstverständlich, daß man nun nach
Möglichkeit noch mehr bestrebt gewesen sein wird, die Arbeits
zeit abzukürzen, die Herstellungskosten zu vermindern, und
mittels dadurch gebotener Billigkeit den Eoncurrenten den
Rang abzulausen. Und trotzdem eine Blüthe der kunst

4 (0- Zunftkanne der Bäcker, t>. I. ^97.

3m Museum schlesischer Alterthümer zu Breslau, höbe ca. 60 cm.

gewerblichen Produktion, wie sie die alte U)e!t später kauni
in der Renaissancezeit wieder erlebt hat, —- eine reine Be
geisterung für Uunstform und Farbe, wie sie uns in den
Häuschen der obscursten Leute zu Pompeji so überzeugend
und schlagend entgegentritt! U)er wird angesichts solcher
Erscheinungen noch behaupten wollen, daß eine Blüthe der
kunstgewerblichen Produktion mit der Massenproduktion un-
vereinbar ist?

An der Möglichkeit einer Aunstblüthe brauchen wir
also angesichts der modernen Massenproduktion noch nicht
zu verzweifeln. Damit ist aber noch nicht die große Frage
beantwortet, die uns eben so sehr beküminert: wie befand sich
dabei das Runsthandwerk? Das Alterthum kannte eben noch
kein eigentliches l^ndwerk, folglich auch kein Aunfthandwerk.
Ein solches konnte überhaupt erst entstehen, nachdem die Arbeit
frei geworden war. Man hat die Befreiung der Arbeit dem
Einflüsse des Lhristenthums zugeschrieben. Aber auch dies-
bezüglich wird man das Berhältniß zwischen Ursache und
Wirkung ähnlich umzukehren haben, wie wir es schon hin-
sichtlich des modernen Fabriksbetriebs und des Maschinen-
wesens gethan haben. Gegen die römische Raiserzeit hin
hatten sich eben die Schattenseiten des Sklavereiwesens der-
maßen fühlbar gemacht, daß alles nach einer Aenderung
in der gesellschaftlichen Organisation hindrängte. Die Lehre
Ehristi hat mit ihren Antisklaverei Bestrebungen nur der
bereits allgemein vorhandenen Stimmung auf sozialem Ge-
biete Ausdruck gegeben, wie sie es auch auf den wichtigsten
übrigen Lulturgebieten gethan hat. Schon das Alterthum
ergriff eine theilweise Reinedur gegen die Auswüchse der
Sklaverei, indem es das Rechtsinstitut der „Freigelassenen"
schuf. Diese Freigelassenen waren ehemalige Sklaven, die
von ihren bseiren sreigegeben wurden, und deren Arbeit damit
in der That eine freie wurde. Und parallel damit begegnen
wir schon im römischen Alterthum gewissen wirthschastlichen
Uebergangsformen, die zum ftandwerk hinüberleiten. Ander-
seits treffen wir aber noch im früheren Mittelalter Er-
scheinungen, die sich ganz enge mit der antiken Sklaverei
berühren. Das sind u. a. die großen Frohnhöfe in Deutsch-
land, wie sie uns z. B. aus Aarls des Großen Zeit be-
kannt geworden sind, auf denen die hörigen ihre Dienste
abzuleisten hatten. Diese Erscheinungen waren aber bedingt
durch die geringe Entwicklung des Städtewesens im da-
maligen Deutschland. Man inußte eine Eigenwirthschaft
führen, und die war eben nur möglich in Anlehnung an
das uralte Familiensystem. Erst als das Ltädtewesen zu
erstarken begann, entstand vor Allem in Italien, dann in
Deutschland, Frankreich und England die Ausbildung eines
wirklich freien Arbeiterstandes: des pandwerks.

Bevor wir uns aber der wichtigsten Frage, der Ent-
wicklung des mittelalterlichen Handwerks zum modernen
Fabriksbetrieb, zuwenden, mag eine Episode aus dem deut
scheu Frühmittelalter Einschaltung finden, weil sie für die
Beurtheilung der wirthschastlichen Entwicklung des sogen.
Runstgewerbes lehrreich ist.

Auch die großen deutschen Alöster des früheren Ruttel
alters (Fulda, St. Gallen), sind in wirthfchastlicher Beziehung
als nichts anderes aufzufaffen, denn als geschloffene Frohn
wirthschaften. Wir wissen nun aus zahlreichen Zeugnissen,
daß diese Alöster die lhauptsitze der kunstgewerblichen Thätig-
keit jener Zeit gewesen sind. Wie aber diese Thätigkeit im
Einzelnen beschaffen war, dafür ist uns ein unschätzbares
Zeugniß erhalten in der Schedula des Theophilus Presbyter
(also eines Weltgeistlichen, dessen Schaffen aber von dem
jenigen eines Mönches selbstverständlich nicht verschieden war).
Es ist ein überaus lehrreiches Schauspiel, aus der Lektüre
seiner Anweisungen zu den verschiedenen kunstgewerblichen
Techniken zu ersehen, wie Theophilus sich die ihm bekannt
gewordenen zeit- und mühekürzenden Praktiken fleißig und
 
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