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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1895

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Heft 1
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Riegl, Alois: Kunsthandwerk und kunstgewerbliche Massenproduktion
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https://doi.org/10.11588/diglit.6756#0007

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Bordüre; im Stile ungarischer Bauernstickereien entworfen von Architekt Bela Benczur, Budapest.

Ungefähr ^/z der wirklichen Größe.

Volt 2ll0tS KtCgI. Nachdruck verboten.

ie Aufforderung, meine Meinung auszusprechen
über das Vcrhältniß, das sich heutzutage zwischen
dem Aunsthandwerk einerseits und der fabrik
mäßigen Produktion künstlerisch behandelter Ge
brauchsgegenstände anderseits herausgebildet hat, — über die
Aussichten des Aunsthandwerks in der nächsten Zukunft und
über die Tragweite der Gefahren, die dentselben von Seiten
der Fabrikproduktion zu drohen scheinen — trifft mich just
zu der festlichen Zeit, an welcher wir Alle durch eine schöne
Sitte unmittelbarer und eindringlicher, aber auch freundlicher
als sonst im Laufe des Zahres ait die Existenz und die Be-
deutung jener Fragen erinnert werden. Zn jeder Behausung
steht der Weihnachtsbaum, und die Ainder freuen sich so herz-
lich über den bunten Aram, der von den Zweigen herabhängt,
daß auch den Alten das Herz darüber aufgeht. Es ist zwar
nur leichte Waare, in der Spielwaarcnfabrik um einen Spott
preis erzeugt, flüchtig und vergänglich, wie die Neigungen
der Aleinen; aber wo sollte das solide Aunsthandwerk auch
all' die Hände hcrnehmcn, die nothwendig wären, um die
Dinger einzeln zu erzeugen, und wo wir vor Allem das
Geld, um diese zahlreichen Hände nach Verdienst zu belohnen?
Fällt aber der Blick auf die Geschenke für die Alten in der
Ecke nebenan, so sehen wir da u. a. für die Mutter eine
Tischdecke mit tadellos handgestickter Bordüre, für den Vater
einen Armstuhl mit inaaßvoll gefälligem Schnitzwerk an
Beinen und Lehnen und mit geschnittenen Verzierungen am
Lederbezug. So hat neben der Fabrikswaare doch auch das
Aunsthandwerk seinen Platz gefunden, jedes denjenigen, der
ihm gebührt; keines scheint das andere verdrängen zu wollen,
hört nun dieses friedliche Nebeneinander außerhalb der Weih
nachtsstube auf, oder erscheint es auch draußen im Allgemeinen
möglich und durchführbar?

Die landläufige Meinung faßt allerdings Handwerk und
Fabrik als unversöhnliche Gegensätze, wenn wir von compli
zirtcren Ausnahmefällen absehen, so läßt sich sagen: das Hand

werk schafft in der Regel nur über direkte Bestellung seitens der
Aunden, — nennen wir daher feine Erzeugnisse „Aunden
arbeit" —; die Fabrik schafft dagegen ohne eine solche direkte
Bestellung, sie schafft „Waare" für den offenen Markt.

Es liegt auf der Hand, daß die Aäufer bei einer
direkten Einflußnahme auf die Herstellung des begehrten
Gegenstandes in mancher Richtung besser fahren werden;
insbesondere wo cs sich um das Aunsthandwerk handelt, wird
dabei dem individuellen Geschmacke der Aäufer besser Rechnung
getragen werden können. Nichtsdestoweniger läßt sich nicht
läugnen, daß heutzutage bereits auf sehr vielen Gebieten die
Aundenarbeit durch die Fabrikwaare verdrängt worden ist.
Worin beruht nun die Stärke der Fabrikwaare? Zn der
Billigkeit. Warum kann sie billiger hergestellt werden, als die
Aundenarbeit? Weil sie nicht einzeln, sondern immer in
Massen erzeugt wird. And warum gestattet diese Massen
Produktion die Abgabe um billigere Preise? Weil sie noth-
wendigermassen verbunden ist mit einer wesentlichen Abkürzung
des technischen Herstellungsverfahrens, weil sie bedingt ist
durch Verwendung vervollkommnetcr Werkzeuge, die eine
namhafte Ersparniß an Zeit, Menschenarbeit und Arbeits-
lohn, also eine Ersparniß an den Gesammtkosten ermöglichen.
Die Beschaffung solcher Abkürzungen und Erleichterungen des
technischen Verfahrens ist aber dem einzelnen Handwerker in
der Regel nicht möglich, ebensowenig wie eine ausreichende Be-
dienung der oft überaus complizirten Werkzeuge (Maschinen).
So lange also in der menschlichen Aaufpolitik die Frage der
Billigkeit im Allgemeinen die ausschlaggebende bleiben wird
- und dafür ist wohl ein Ende nicht abzusehen —, so lange
wird auch die Aundenarbeit gegenüber der Fabrikwaare, unter
sonst gleichen oder wenigstens annähernd gleichen Bedingungen,
im Nachtheile bleiben. Znsoferne stehen beide in der That in
unversöhnlichem Gegensätze zu einander, erscheint die Fabrik
als der aggressive Stärkere, dessen sich das Handwerk nur
mühsam und zurückweichend zu erwehren trachtet.

*) Ls schien uns angezeigt, dieser nachgerade brennend gewordenen Tagesfrage ein Mal von historischen und wirthschaftlichen Gesichts-
punkten aus näher zu treten, und wir glaubten, uns dabei an keinen Berufeneren wenden zu können als an Prof. Dr. Al. Riegl (Wien),
namentlich weil derselbe seit Jahren u. a. seine Studien auch der wirthschaftlichen Seite des Kunstschaffens früherer Jahrhunderte gewidmet hat;
vgl. hierüber insbesondere des Verfassers Schrift über „Volkskunst, Hausfleiß und Hausindustrie" (Berlin, G. Siemens, \8^), welcher
» nur demnächst eine besondere Besprechung widmen wollen. Die Schristleitung.

X__

Zeitschrift des baser. AunKgewerbe-vereins Manchen.

>8Y5. hef, f. <Sg. J.)
 
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