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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1895

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Heft 6
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Schmid, Wolfgang M.: Deutsches Kunstgewerbe um das Jahr 1000
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https://doi.org/10.11588/diglit.6756#0053

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48. Kopsleiste von I. Dietz, München.

DEM Rmflgkwkköe üm h$ HG 1000.

Von Dr. Wolfg. M. Zchin i ö.


bekanntlich waren die äußeren Verhältnisse der
Kunstproduktion im späteren Mittelalter ganz
andere als iin frühen. Seit der spätromanischen
Stilperiobe war das Laienelement unter den
Künstlern inehr hervorgetreten, obwohl die Ziele der 'Kimft
wesentlich dieselben religiös-kirchlichen geblieben waren. Mit
seinem Erstarken entstanden die Zünfte, welche keine ästhe-
tischen oder stilistischen Zwangsjacken waren, sondern viel-
inehr dem Minderbegabten Schutz für seine Werke verliehen,
während sie den: befähigten Künstler und Handwerker ein
Hinderniß in der Entwicklung seiner Individualität gewiß
nie waren. Es entstanden Produktionszentren mit lokalen
Eigenthümlichkeiten, die uns, abgesehen von äußern Merk-
malen wie Marken ic., für die Zusammenfassung der Werke
zu „Schulen" von Wichtigkeit sind.

Das Alles war im frühen Mittelalter ganz anders. Die
Geistlichkeit beherrschte die gesammte geistige Produktion, in
den Klöstern conzentrirte sich nicht blos das wissenschaftliche
und literarische Leben, sondern auch die Kunstthätigkeit.
Diese Verhältnisse gewannen bedeutend durch das Bestreben
der Fürsten, den Klöstern nach mancher vorhergegangenen
Säeularisation voir geistlichem Gut wieder einen Aufschwung
zu verleihen.

Auch das intensivere religiöse Leben der Zeit trug viel
zur Machtentfaltung der durch verschiedene Reformationen
auf ein höheres geistiges und moralisches Niveau gehobenen
Geistlichkeit bei. Wir haben nun in Urkunden und Lhroniken
gar mancher Klöster Zeugnisse in Menge dafür, wie kunst-
erfahren und fleißig die Mönche waren; wir besitzen auch
eine Anzahl von werken, die sich durch gewisse Aehnlichkeit
als zusammengehörig darthun. Aber nur in wenigen Fällen
ist der Nachweis möglich, den Zusammenhang zwischen Ur-
kunde und werk so klar zu legen, daß wir letzteres einer
bestimmten Werkstätte zuweisen können.

Das ist für das Kloster St. Emmeram in Rege ns-
burg gelungen. Dies Kloster war in seinem Wohlstände
im Lause des \0. Jahrhunderts herabgekommen, nahm aber,
seit 972 der hl. wolfgang den bischöflichen Stuhl von
Regensburg bestiegen hatte, einen erneuten Aufschwung, be-
sonders unter dem 975 aus Trier berufenen Abt Ramwold
(f > 001), einem der intelligentesten Männer seiner Zeit, der

in seinem Kloster erfolgreiche Reformen einleitete: Die Zucht
wurde strenger gehandhabt, die Wissenschaften wurden eifrig
gepflegt, das Kloster nahm eine Menge Schüler auf, die
wir in der ersten Hälfte des > Jahrhunderts fast in ganz
Deutschland als berühnrte Bischöfe und Aebte wiederfinden;
auch der große Hirsauische Reformator Abt Milhelnr genoß
seine Erziehung in Emmeram. Ramwold baute auch eine
große Trypta mit 6 Altären, einen großen Bibliothekssaal,
ein Hospital für Pilger u. A. Otto II. bezeugte in mannig-
fachen Zuwendungen von Gütern dem Kloster und seinem
Abt seine besondere Gunst und Gewogenheit. Dort war
auch die Jahrhunderte hindurch benützte Grabstätte der
bayrischen Herzoge, wodurch eine Menge kostbarer Geschenke
in den Klosterschatz kamen: so Votivkronen Karls des
Großen, Karlmanns und Arnulfs, aus denen schon der
Abtbischos Tuto (895—950) ein altare au re um (Retabel oder
Antependium) anfertigen ließ.

Der genannte Abt Ramwold nun ließ laut einen:
Dedikationsbild ein großes Evangeliar (Tim. 55 der
Münchner Staatsbibliothek)') restauriren, das bis
heute wegen der Pracht seiner Einbanddecke Codex
aureus — goldenes Buch — genannt wird. Das Buch
selbst wurde im Jahre 870 von Beringar und Liuthard
(vernmthlich der Schreibstube von Tours angehörig) für Karl
den Kahlen geschrieben und mit Miniaturen ausgeschmückt.
Die Vorderseite des Deckels ist verziert mit flachen Gold-
reliefs, in der Mitte der thronende Lhristus, darum die
$ Evangelisten und die Szenen: Thristus und die Ehe-
brecherin, Thristus treibt die Kaufleute aus dem Tempel,
Thristus heilt den Lahmen und ebenso den Blinden. Diese
Reliefs stammen noch aus der Entstehungszeit des Lodex
selbst und sind jedenfalls in einer fränkischen (Kloster-) Werk-
stätte gemacht worden. Sie stimmen vollständig überein mit
den Reliefs des „Tiborienaltärchens" (jetzt Reiche
Kapelle, München), welches Kaiser Arnulf gleichzeitig mit
dem Codex aureus 893 nach Emmeram schenkte. Wir

9 L ab arte, histoire des arts industriels I. 336, 375. Förster,
Geschichte der deutschen Kunst 36. Sighart, Geschichte der bildenden
Künste in Bayern I. 47. Lübke, Geschichte der deutschen Kunst zzs.
Schmid, Goldschmiedschule in Regensbnrg um das Jahr ;ooo 7 ff.
Riehl, Die bayrische Kleinplastik der frühroman. Periode 9.

Zeitschrift des bayer. Runstgewerbe-vereins München

*895. Heft 6. (Bg. *.)
 
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