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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1895

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Heft 2
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L. G.: Volkskunst, Hausfleiß und Hausindustrie
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Unsere kunstgewerblichen Musterblätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.6756#0028

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da auch in den Werken der Volkskunst „einen goldenen, bisher unge-
hobenen Schatz von ungeheurem Wertho für die Zukunftsproduktion
gefunden zu haben;" es war eine naturgemäße Reaktion, daß man
den, vielfach unter der Herrschaft der Maschinen entstandenen Neuer-
ungen den Rücken kehrte, und sich jeder alten Technik mit Begeisterung
zuwandte. Dieß war nun die Veranlassung, daß man die noch be-
stehenden, mit dem Namen „nationale Hausindustrie" belegten Volks-
künste theilweise zu erhalten suchte, um damit gleichzeitig das „ver-
armte Landvolk wirthschaftlich zu kräftigen." In welche Sackgasse
man hiermit gerieth, wie man statt einer Wiederbelebung der Volks-
kunst nur eine dezentralisirte Fabrikindustrie schuf, die sich
mit all ihren wirthschaftlichen Vorgängen nur dadurch von einer wirk-
lichen Fabrikindustrie unterschied, daß die Verfertiger der Teppiche oder
anderer Dinge statt in einer einzigen Fabrik in den einzelnen Häuser»
arbeiteten. Mit aller nur wünschenswerthen Deutlichkeit weist Riegl
auf den gewaltigen Unterschied hin, der zwischen einer solchen Haus-
industrie und der ehemaligen Volkskunst besteht: dort ein Arbeiten für
den Markt, hier für den eigenen Gebrauch, — als Triebfeder dort
der Geldverdienst, hier die Befriedigung des eigenen Kunstbedürfnisses,
— dort eine möglichst billige Erzeugung der Gegenstände, hier eine
möglichst gute, dauerhafte Herstellung, ohne Rücksicht auf die dazu
verwendete Arbeitszeit.

Mit unerbittlicher Logik streift Riegl diesem Zerrbild von „Volks-
kunst" die Maske vom Gesichte. Wohl lehnt er es ausdrücklich ab,
an den auf diesem Wege erzeugten Dingen Kritik zu üben; aber er
sieht den Thatsachen freimüthig in's Gesicht und vermeidet alle Be-
schönigung und sentimentalen Hoffnungen auf Erhaltung der Volks-
kunst. „Man kann einzelne, ja viele von den Formen dieser Volks-
kunst in der Hausindustrie zur Anwendung bringen, und wir wünschen
diesen Unternehmungen allen künstlerischen und wirthschaftlichen Erfolg.
Aber die Volkskunst mit all' ihrem idealen Schimmer und Duft, ihrer
uneigennützigen, weil im höchsten Grade eigennützigen Produktion, ist
es nicht mehr. Auch wird der Modegeschmack über die typischen Haus-
fleißformen bald wie das Meer über die Körner des Ufersandes hin-
wegrollen." — — „Ihre historische Pflicht hat auch die osteuropäische
Volkskunst schon vor Jahrhunderten gethan; heute kann sie kaum
mehr, als der Mode vorübergehend etwas bieten."

Damit gelangt der Verfasser zu dem eigentlichen Zweck seiner
Schrift. Während man nämlich in Vesterreich-Ungarn viel gethan
hat, um diese sogenannten Hausindustrien am Leben zu erhalten, ist
bis jetzt noch fast Nichts geschehen, um die noch auffindbaren Reste
wirklicher Völkerkunst vor ihrem völligen Verschwinden in literarisch
und artistisch befriedigender Meise festzuhalten. Aus dem bisher Ge-
sagten geht hervor, daß Riegl mit einer derartigen Festhaltung und
Publikation viel weniger die Absicht verfolgt, dem heutigen kunst-
gewerblichen oder industriellen Schaffen durch Darbietung von Mustern
zu nützen, als vielmehr den künftigen Geschlechtern eine möglichst ge-
treue „Illustration der kulturellen Vergangenheit der osteuropäischen
Völker" als „ein Denkmal der Pietät gegenüber der Vergangenheit
unserer Völker und eine Ehrengabe an die internationale Wissenschaft"
zu hinterlassen, bevor es hiefür zu spät ist! Das Programm, welches
Riegl hiefür entwickelt, dürfen wir, so interessant es auch ist, au dieser
Stelle übergehen.

Aus der ganzen, aus warmer Liebe für die Sache hervor-
gesproßenen Schrift geht hervor, wie ernst es ihr Verfasser mit seinem
Gegenstand nimmt; jedem Einsichtigen wird es aber auch klar werden,
daß eine Volkskunst im Sinne Riegls, d. h. eine aus dem Empfinden
des Volkes hervorgegangene Kunst bei den Kulturvölkern der Gegen-
wart so gut wie unmöglich ist, weil alle Vorbedingungen dafür fehlen.
Wohl können ab und zu einzelne Kunstformen für dieses oder jenes
Volk besonders bezeichnend feiu, aber ein immer weiter greifender
Ausgleich hierin wird schwerlich bestritten werden können. Was von
anderer Seite als „Volkskunst" empfohlen und befördert wird, kann
kaum auf diesen Namen Anspruch machen; denn das ist kein Kunst-
schaffen, das im Boden des Volks wurzelt, das aus demselben hervor-
gcwachsen ist, sondern ein künstlich auf den alten Stamm anf-
gepfropftes Reis. Aber einen Theil der Triebkraft jener alten Volks-
kunst können wir uns erhalten, wenn wir darauf sehen, daß im Hause
möglichst viele der unentbehrlichen Geräthe re. von den Bewohnern
selbst, wenn nicht gefertigt, so doch künstlerisch geadelt werden, —
wenn wir dafür sorgen, daß an Stelle der Volkskunst etwas trete,
das zwar nicht für unser Volksthum, aber für das Haus, beziehungs-
weise für die Persönlichkeit seiner Bewohner typisch wird, die
Hauskunst. L. G.

OCnfm* kunstgewerblichen Mustenblntlen.

Taf. 6. Brunnen auf der Piazza del Dnomo in Brescia.
Zeichnung von Archit. Otto Rammelmeyer, Köln.

Taf. 7. Stickmuster. Im Stile ungarischer Bauernstickereien
entworfen von Architekt Bela Benczur, Budapest.

Taf. 8. Aus dem Vorsaal des Bundesraths im deut-
schen Reichstagshaus. Entwurf von Baurath vr. P. Wallot;
Ausführung des Pfeilerreliefs von Prof. Otto Leffing, Berlin. Aus-
genommen und gezeichnet von K. Spaeth, Berlin. — Vergleiche da-
mit Seite {6, Spalte rechts. — Das Gestühl des vorfaals besteht, durch
drei Thüren von einander getrennt, aus zwei Gruppen von je vier Sitzen
und aus je einem Sitz an den beiden Enden.

Taf. 9. Prachteinband. Entwurf und Ausführung von
F. X. Weinzierl, München. Wirkliche Größe: ^8:70 cm.

Im Gktober (89-t feierten die beiden Direktoren der badischen
Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen ihr 25jähriges Dienstjubiläum,
was die Beamten der Fabrik veranlaßte, beiden Herren gleichartige
Ehrenadreffen zu überreichen, deren Ausführung F. X. Weinzierl in
München anvertraut wurde; von seiner Hand stammen nicht nur die
Entwürfe zu den Decken, sondern auch die pergamentmalerein der
eigentlichen Adressen, die Beschläge sowie die ganze Lederarbeit des

Einbandes. Des letzteren reich geschnittener und getriebener Schmuck
besteht aus dem Hinweise auf die Thätigkeit der Jubilare bezw. der
Fabrik: die Allegorien von Wissenschaft und Handel bilden den Haupt-
schmuck, während im Hintergrund der Blick einerseits auf die Fabrik,
anderseits auf das offene Weltmeer sich öffnet; auf die große Rolle,
welche die Produkte der Fabrik im Welthandel spielen, deuten die
Erdkugel und das Schiff, während die Schilde die Wappen der Städte
Ludwigshafen (Löwe) und Stuttgart (Pferd) sowie das Monogramm
der Fabrik enthalten. Zur Erklärung dieser Wappen fügen wir bei,
daß die Fabrik ursprünglich in Stuttgart und Ludwigshafen bestanden
hat und nach deren Verschmelzung auch eine Vereinigung der beiden
Städtewappen zur Fabrikmarke gewählt wurde; diese nun ein Mal
angenommene Zusammenstellung mußte nun trotz der unheraldischen
Stellung des Pferdes (das nach den Regeln der Heraldik dem Löwen
zugewendet fein müßte), gegen die ausdrückliche Einsprache des Künstlers
beibehalten werden, da diese Zusammenstellung eben auf dem ganze»
Erdball als Fabrikzeichen verbreitet und bekannt ist, also auch die
Stellung des Pferdes keiner Veränderung unterzogen werden durfte.

Diese Arbeit, die ganz und gar aus den Händen Weinzierl's
hervorgegangen ist, darf als ein erfreuliches Zeugniß für das uner-
müdliche vorwärtsstrebcn ihres Verfertigers bezeichnet werden.

Hierzu ,,Kunstgewerbliche Rundschau" Rr. 2.

verantw. Red.: Prof. L. Gmelin. - Herausgegeben vom Bayer. Lunstgeiverbe-Verein. - Verlag von SU. Schoch. — Druck von Lnorr st Birth, München.
 
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