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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1895

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Heft 8
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Semper, Hans: Anfänge und Ausbildung des "Rubensstiles" im kirchlichen Holzmobiliar Belgiens
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Meurers "Pflanzenformen": Erwiderung auf die in dieser Zeitschrift (S. 37ff.) enthaltene Besprechung dieses Werkes
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https://doi.org/10.11588/diglit.6756#0074

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miniscenzen an die zweite Hälfte des (6. Jahrhunderts, die
uns schon in den Satyrconsolen begegneten. Wir finden sie
auch an den jonischen Stilen, an einzelnen Cartouchen u. s. f.

In den prachtvollen Gehäusen der unteren kleinen und
oberen großen Orgel selbst finden wir denselben dekorativen
Stil, nur gewissermaßen noch ausgereifter. Das Akanthus-
geranke, in Relief und durchbrochener Arbeit ist noch reicher
und edler entfaltet, an den klassischen Stil des Robert de
Nole gemahnend; das Befchlägornament, das bei Taillebert
noch eine gewisse Rolle spielte, ist verschwunden, dagegen
kommen schon Motive vor, welche sich im eigentlichen bel-
gischen Barock, dem sogenannten Rubensstil, ziemlich unver-
ändert erhielten, so die reichgeformten (Lartouchen, die ge-
rollten Giebelsegmente, die schweren Festons, die schwung-
voll kräftig profilirten und reich verzierten Basen, vor Allem
aber die spiralförmig gewundenen, mit Wein-
ranken in Relief verzierten Säulen, an der unteren

Orgel, welche ein Lieblingsmotiv der kfolzdekoration im
Rubensstil blieben. Da dieses Orgelgehäuse (6(7—(620
ausgeführt, das Tiborium Berninis in Rom aber erst (65(
vollendet wurde, so können jene Säulen, trotz der völlig ver-
wandten Form, nicht von Bernini entlehnt sein. In der
That sind sie auch schon ein älteres Motiv der Renaissance
und kommen schon aus Raphaels Teppichkarton der Heilung
des Lahmen, ferner wiederholt bei Paolo Veronese, ja
uni (6(6 sogar schon an dem Grabmonument Max des
Deutschmeisters von kfans Gras in der pofkirche zu Inns-
bruck vor. Wahrscheinlich entlehnte zuerst Raphael diese
Säulenart antiken Vorbildern.

Wir sehen an diesem Orgelgehäuse den sogenannten
Rubensstil in der plastischen Dekoration schon in wesentlichen
Bestandtheilen angebahnt, während andererseits nocli Taille
berts Uebergangsstil, ja noch ältere Richtungen an demselben
Aunstwerk nachwirken.

Meurer's „AZflanzenformen".

Erwiderung auf die in dieser Zeitschrift (5. 37 ff.) enthaltene Besprechung dieses Werkes.

enn ich die mir durch die Schriftleitung dieser Zeitschrift
in zuvorkommender Meise gewährte Gelegenheit zu
einer Erwiderung der von ihr gebrachten Besprechung
meiner Herausgabe „Naturformen" dankend benutze,
so darf ich aus ihrem Referate den Schluß ziehen, daß sie in Bezug
auf die allgemeinen Grundsätze, von denen das technische Naturstudium
auszugehen hat, in den wesentlichsten Voraussetzungen mit den Aus-
führungen meines Werkes einverstanden ist. Wenn des Weiteren
über die von mir vorgeschlagenen Nittel, dieses Studium an den tech-
nischen Schulen auszugestalten, namentlich in Beziehung auf die kunst-
gewerblichen Schulen Bedenken geltend gemacht werden, so kann ich
auch dies nur als einen erwünschten Anlaß zur weiteren Klärung
dieser Unterrichtsfrage betrachten; wenn indeß Zweifel über die Richtig-
keit der bildlichen Darstellungen des Werkes ausgesprochen werden, so
wird es zur Pflicht, dieselben als nicht zutreffend zu widerlegen, um-
somehr als schon zuvor von anderer und, wie die Leitung dieser Zeit-
schrift, der k. Kunstgewerbeschule zu München nahestehender Seite
meine Auffassung der natürlichen Pflanzenformen in ganz direkter
Weise als eine irrige und dem Unterrichte geradezu gefahrbringende
bezeichnet wurde. (Der Verfasser bezieht sich hier auf einen Artikel
von Prof. Vr. P. F. Krell, welcher unter dem Titel: „Eine Gefahr
für den Zeichenunterricht in Deutschland" in Nr. ;88 der „Nünch.
N. Nachr." erschienen war. — D. Red.)

Das Urtheil der Botaniker von Fach, welche sich bisher theils öffent-
lich, theils in privaten Aeußerungen meinen Arbeiten gegenüber voll-
kommen zustimmend ausgesprochen haben, enthebt mich mit Bezug auf ihre
botanische Richtigkeit der eigenen Rechtfertigung meiner Darstellungen,
wie untenstehendes Gutachten eines bekannten Botanikers erkennen läßt.

vom künstlerisch-praktischen Standpunkte aus muß ich diesem
wissenschaftlichen Urtheile hinzufügen, daß nach meinen mannigfachen
Erfahrungen der Zweck, den Schüler an der Hand der Natur in die
Bildungsgesetze der pflanzlichen Formen einzuführen, am leichtesten
und raschesten durch Benutzung schematisirender Darstellung im Sinne
meiner Zeichnungen und Modelle erreicht wird. An naturalistischen
Zeichnungen ist diese weit schwieriger, wenn nicht unmöglich. Die
geometrische Disposition der Verzweigungen des Schaftes, der Blüthe,
des Blattes, ihre gegenseitigen Größenverhältnisse, die Intervallen
ihrer Ansätze, ihre Winkelstellungen, überhaupt alle anatomischen und
Proportionellen Erscheinungen lassen sich in reiner und deutlich sicht-
barer Weise nur in schematisirenden Darstellungen zur Geltung bringen.

Aus diesem Grunde läßt sich das Schema eines seinem Prinzipe
nach symmetrisch gebauten Blattes, wie das des Weines oder Storch-
schnabels, auch nur rein symmetrisch darstellen. Denn würde man, wie
es in der Natur der Fall ist, an einzelnen Punkten Abweichungen

von der Symmetrie zeigen, z. B. auf der rechten Seile eines fieder-
theiligen Blattes einen Fiederlappen etwas breiter oder länger ent-
wickelt zeichnen, als auf der entsprechenden linken Seite, so müßte
aus der Darstellung als einer schematischen geschlossen werden, daß
der Typus des Blattes gerade an dieser Stelle eine Abweichung von
der Symmetrie zeige, während in der Natur bald dieser, bald jener
Lappen eine individuelle Unregelmäßigkeit aufweist. Die Darstellung
solcher Unregelmäßigkeiten, sei es in den Rippenstellungen oder Blatt-
fleischmaffen würde aber überhaupt die Möglichkeit ausschlicßen, nicht
nur die Entwickelungskurven der Blattsilhouette, sondern auch die Maß-
verhältnisse der Rippen, deren Intervallen und Winkelstellungen, wie über-
haupt alle Bildungselemente, welche für die ganze Struktur des Blattes
formgebend wirken, zu genau verfolgbarer Erscheinung zu bringen.

wenn weiterhin angenommen wird, daß bei meinem Unterrichte
die Pflanze mit Schiene und Zirkel konstruirt und ihr aus Begeister-
ung für ihre Tektonik Zwang augethan werde, so muß ich auch diese
Voraussetzung als unzutreffend bezeichnen. Es ergiebt sich dies schon
aus meinen Auseinandersetzungen (s. Seite -z-z unten, Seite -Z7—H8
u. s. w.), in welchen ich auf das Schärfste ausspreche, daß die äußere
Form der Pflanze stets freihändig zu zeichnen sei und daß auch die
Auffassung ihrer Struktur aus das innigste mit ihrer individuellen
Erscheinung verknüpft werden müsse. Wenn zum Zwecke der Pro-
jektion — nicht aber bei naturalisirenden Studien — die Axenstellungen
der Drgane, der eine cyklische Blüthe umfassende Kreis mit Lineal
und Zirkel festgestellt werden, so dient dies nur als als ein Lrleich-
terungsmittel für raschere und sicherere Fixirung der natürlichen Ent-
wickelungslinien. Solche Hilfsmittel werden selbstverständlich aber
nur da angewendet, wo sie den betreffenden geometrischen Bildungs-
ideen entsprechen. Alle Umfassungslinien der Blätter z. B., da sie
komplizirte Kurven bilden, welche überhaupt nicht mit mechanischen
Mitteln darzustellen sind, werden nur aus freier Hand gezeichnet.
Uebrigens beginne ich nur mit solchen Projektionsdarstellungen, um
den Sinn und die Beobachtungsgabe für den Bau der Pflanze zu er-
ziehen; ist dieses gewonnen, so werden die Studien, wie ich ebenfalls
hinreichend ausgeführt habe, ganz nach den Bedürfnissen und wechseln-
den Zwecken der verschiedenen Kunsthandwerker weitergeführt, bald
mehr im naturalistischen, bald mehr int ornamentalen Sinne. (In
den einleitenden Worten zu diesem Absatz wendet sich Prof. Neurer
offenbar gegen die auf S. -N unserer Besprechung, Spalte rechts, ge-
machten Einwände, betreffend den übermäßigen Gebrauch von Zirkel
und Lineal beim Naturstudium; wir stellen fest, daß wir nicht behaupten
wollten, Meurer konstruire die Pflanzen mit Zirkel und Lineal,
sondern nur, daß das Konstruiren bei der Herstellung der genauen Ueber-
einstimmung zwischen Grundriß und Aufriß zu vorlaut auftrete. D. Red.)

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