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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1895

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Heft 8
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Meurers "Pflanzenformen": Erwiderung auf die in dieser Zeitschrift (S. 37ff.) enthaltene Besprechung dieses Werkes
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https://doi.org/10.11588/diglit.6756#0075

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r-

(Etitc Einsicht in meinen Unterricht würde ohne Weiteres die
Bedenken in dieser Richtung heben und erkennen lassen, daß von ver-
gleichenden Zirkelmessungen, zeitraubenden Konstruktionen und dergl.
nicht die Rede ist. Ich kann nur annehmen, daß in dieser Beziehung
falsche Rückschlüsse von den in meinem Werke gegebenen Darstellungen
zur Erkenntnis; der Pflanzenstruktur auf die Thätigkeit in meiner
Schule gemacht werden, Schlüsse, welche sich bei Durchsicht der Schüler-
arbeiten von selbst widerlegen würden.

Mit Uebergehnng anderer unwesentlicherer Punkte möchte ich mich
nun noch gegen den wesentlichsten Ansspruch des Schlußurtheils dieser
Zeitschrift wenden. Trotz der, allerdings mehr oder weniger ver-
klansulirten Anerkennung meiner Vorschläge lautet das Urtheil dahin,
daß ein solches Naturstudium wohl an Nochschulen für Architektur,
schwerlich aber an Knnstgewerbeschulen am Platze sei, daß es zum
wenigsten als spezieller Lehrgegenstand nicht an den Ausgangspunkt,
sondern an das Ende der (Ornament- und Stilstudien zu setzen sei, da
es für den Intellekt des jüngeren Kunstgewerbeschülers zu weit gehe,
ja für seine Ausbildung gefahrvoll werden könne. Mit dieser Annahme
wird aber das Grundprinzip meiner Vorschläge fallen gelassen, welches
in der Ueberzcugung wurzelt, daß das Naturstudium des Technikers
in seinem eigentlichsten Wesen von dem der Kunstformen untrennbar
und daß seine erziehliche Wirkung durch die gemeinschaftliche Behand-
lung beider Formenreihen bedingt ist. Wie weit man dabei den Ein-
fluß der natürlichen Vorbilder aus die Kunstformen zugesteht, kömmt
bei dieser prinzipiellen Frage zunächst nicht in Betracht; als nicht
widerlegt und unwiderleglich halte ich aufrecht, daß die Naturformen,
soweit sie überhaupt das technisch-künstlerische Schaffen beeinflußen,
logischer weise nur in ihrer Beziehung zu und iin Zusammenhänge
mit den ornamentalen Formen studirt werden können.

Meine Erfahrungen haben mich gelehrt, daß die Erkenntniß der
Gestaltungsgesetze der Pflanzenformen dem Verständnisse des Schülers
durchaus nicht schwieriger nahezubringen ist, als die der Kunstformen,
daß im Gegenthcil die parallele Betrachtung und Erklärung der Kunst-
und Naturformen ganz außerordentlich dazu beiträgt, das verständniß
der ornamentalen Formen zu erschließen, ja daß das Wesen derselben
vielfältig erst durch das Naturstudium offenbar wird. Wenn dasselbe
dem Grade des fortschreitenden Lrkenntnißvermögens der Schüler in
derselben Weise angepaßt wird wie das Studium der Kunstformen,
kann von einer Gefahr desselben nicht die Rede sein — nur den Lehrer
würde die Schuld treffen, wenn es „zum Verderben" gereichen würde.

Eine parallele Angliederung des Naturstudiums an die fort-
schreitende Unterweisung in den Stilformen wird im Gegentheil diesen
eingebildeten Gefahren viel eher Vorbeugen, als wenn man dasselbe
als etwas dem Schüler ganz Neues an den Endpunkt seiner Studien
legt. Die letztere Methode halte ich für ebenso unzweckmäßig, als den
nun hoffentlich überwundenen Irrthum der Akademien meiner Schul-
jahre, den Schüler antike Statuen zeichnen zu lassen, ehe er nur einen
Begriff von, menschlichen Körper und seiner Anatomie gewonnen hatte.
Bei dem von mir einpfohlenen Wege lernt der Schüler die Natursormen
in ihrer Wechselwirkung mit den Stilformen allmählig kennen, ein nach-
trägliches Naturstudium nöthigt Lehrer und Schüler, alle diese Beziehungen
rückwärts von Neuem aufzusuchcn. Aus diesem Grunde würde das letztere
Verfahren auch bedeutend mehr Zeit absorbiren, als das begleitende Natur-
studium, welches nach meiner Ueberzeugung bei richtiger Handhabung
das Arbeitspensum des Schülers innerhalb der bisherigen Grenzen läßt.

wird aber schon ein Naturstudium als bedenklich angesehen,
welches sich mit dem ornamentalen Zeichnen und den eigensten Zwecken
der technischen Künste verbindet, wie kommt es dann, daß man an
unseren Kunstgewerbeschulen das naturalistische Pflanzenzeichnen be-
treibt, welches für den künftigen Beruf eines größeren Theils ihrer
Schüler überhaupt nur einen sehr bedingten Nutzen hat. Ist es nicht
ungleich gefahrvoller, die Natur nur nach ihrer malerischen Seite
studiren zu lassen, als von den Gesichtspunkten auszugehen, die von den
Aufgaben der technischen Künste bedingt sind? Faßt man diesen Unter-
richt aber nicht blos als eine Unterweisung im decorativen Blumen-
malen auf, sondern auch — wie ihn die Programme unserer Schulen
vielfältig verzeichnen — als einen solchen im Pflanzenstilisiren, so gibt
man damit ja doch der Ueberzeugung Ausdruck, daß ein Studium der
Pflanze mit Bezug auf ihre ornamentale verwerthung auch an den
Kunstgewerbeschulen nothwendig sei. Wird dies aber zugestanden, so
ist wiederum die Ablehnung eines Unterrichtsprinzipes nicht verständlich,
welches den ausgesprochenen Zweck verfolgt, das Pflanzenstudium den

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Zwecken des technischen Künstlers in consequenterer Weise anzu-
bequemen, als es zur Zeit geschieht. Die Erklärung solcher Wider-
sprüche finde ich nicht. Erklärlich ist mir wohl, daß namentlich die
Lehrer, welche sich seit langem in einen herrschenden Unterrichtsgang
eingelebt haben, Bedenken tragen, eine noch nicht erprobte Unterrichts-
weise anfzunehmen, zumal wenn sie die Forderung an sie stellt, sich
mit einem noch nicht vertrauten Gebiete bekannt machen zu müssen;
aber eine prinzipielle Ablehnung der Forderung, daß das Naturstudium
so bald als thunlich (d. h. so bald die nöthigste Uebung im Darstellen
überhaupt gewonnen ist), mit dem ornamentalen Unterricht fortlaufend
verknüpft werde, vermag ich solange nicht gelten zu lassen, als damit nicht
ein praktischer versuch gemacht worden ist. — (Den Widerspruch, welchen
Mcurcr darin findet, daß man an den Kunstgewerbeschulen wohl das
naturalistische Zeichnen von Pflanzen schon früh zu beginnen pflegt
und doch der Einführung seiner Methode für die erste Studienzeit
widerstrebt, trifft man auf allen Gebieten des Lernens; überall be-
ginnt man mit dem, was am unmittelbarsten auf die Sinne wirkt,
um erst allmälig in die Tiefe einzudringen und den inneren Zusammen-
hang der Dinge zu ergründen: wir lernen erst in der Geographie die
Gberflächcbeschasfenheit der Erde kennen, bevor wir uns durch geognost-
ische oder geologische Studien mit dem Bau der Erdrinde bekannt
machen; wir lernen singen oder musiziren, lange ehe die Harmonie-
lehre ergänzend und festigend hinzutritt; — wir erziehen durch Ge-
schichte und lebendiges Beispiel die Menschen zu tüchtigen Gliedern der
Gesellschaft und lassen erst am Schluß dieser Ausbildung — sofern die
Verhältnisse dieß gestatten — Lollegien über Ethik und Metaphysik
folgen. Genau dementsprechend haben wir dem Studium der Pflanzen
seine Stellung an den Kunstgewerbeschulen angewiesen. D. Red.)

Was die feuilletonistischen Schlagworte anlangt, denen meine
Bestrebungen auch in dieser Zeitschrift begegneten, daß ich ein Gesetz-
buch schaffen wolle, auf dessen Grundlage ein ornamentales Staats-
gebäudc anfgerichtet werde, daß ich Normalblätter aufsuchen wolle,
um der Nachwelt ein Testament für den Schulgebrauch zu hinter-
lassen, daß meine „Methode" auf Drillung und Regularisirung hinaus-
laufe re., so werden weitere Arbeiten erkennen lassen, daß ihre Ziele
andere als die vorausgesetzten sind. Naben sich schon die Voraus-
setzungen als irrthümlich erwiesen, daß ich den Naturalismus in die
Kunst führen wolle, daß ich einen neuen Stil aus dem Naturstudium
construirt zu sehen wünsche, so bin ich der Ueberzeugung, daß mit der
Zeit auch jene Befürchtungen als hinfällig erkannt werden. — (Die
„feuilletonistischen Schlagworte", gegen die sich Meurer im Anfang
dieses Absatzes wendet, stehen nicht in unserer Besprechung seines
Werkes; die Linwände dagegen berühren uns daher auch nicht. D. Red.)

Zum Schluffe möchte ich aber den Wunsch aussxrechen, daß sich
die Lehrer des ornamentalen Unterrichtes die schon durch den außer-
ordentlichen Reiz dieses Studiums belohnte Mühe geben möchten, die
Pflanze mehr als bisher nach ihrer struktiven Seite zu betrachten; ich bin
nicht im Zweifel, daß die gewonnenen Aufschlüsse, welche sie durch diese
Betrachtungsart empfangen werden, wesentlich dazu beitragen werden,
Bedenken fallen zu lassen, welche sie dem geforderten Naturstudium zur
Zeit noch entgegenbringen. Nichts würde mir erwünschter sein, als wenn
solche Studien dahin führen würden, die Unzulänglichkeit meiner Vor-
schläge zu verbessern und sie dem Unterrichte nutzbringender zu machen.

Rom, Iuni {895. M. Meurer.

Gutachten,

die botanische Seite der Meurer'ichen „Pflanzenformen" betreffend.

Sa das von Prof. Meurer veröffentlichte Schulwerk „Pflanzenformen"
in München, namentlich in Bezug auf die botanische Richtigkeit
seiner Darstellungen, mancherlei Bedenken und Angriffen be-
gegnet ist, bin ich vom Verfasser ersucht worben, von meinem Stand-
punkte, als Botaniker vom Fach, der sowohl das genannte Werk ein-
gehend zu prüfen, als auch die Thätigkeit der Meurer'fchen Schule aus
eigner Anschauung genauer kennen zu lernen Gelegenheit hatte, ein
Gutachten über die Treue seiner Darstellungen und die Berechtigung
des von ihm gewählten Darstellungsprinzipes abzugeben.

Indem ich diesem Wunsche des Verfassers Nachkomme, kann ich
mich darauf beziehen, was ich vor Kurzem in einer botanischen Zeit-
schrift (Botanisches Lentralblatt, Kassel {895) aussprach, in welcher ich
den Botanikern das Meurer'sche Werk als ein ausgezeichnetes pifs-
mittel zum Studium des Pflanzenaufbaues und die in ihm auseinander-
gesetzten Prinzipien als ganz unentbehrlich für diejenigen bezeichnete,
 
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