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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1895

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Heft 5
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Gmelin, L.: Die Pflanze im Kunstgewerbe und Meurers Naturformenstudien
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»stanze im Kunstgemerök und Menrer's Matuefokmenstü-ien.

von L. Gmelin.

W

eit 3fli?r und Tag macht sich in kunstgewerblichen
Areisen eine Bewegung bemerkbar, welche dahin
zielt, das Studium der natürlichen pflanzen-
formen entschiedener zu betreiben; man erwartet
sich vielfach von diesem Zurückgreifen auf die ursprünglichen
Formen eine Neubelebung des Aunstgewerbes. Wir haben
schon vor drei Zähren, als Prof. Meurer feine Pflanzen-
studien in München vorsührte, Veranlassung genommen, auf
diese Frage etwas näher einzugehen und verweisen hier auch
auf das schon dainals (Jahrgang f892, Leite fy ff.) Gesagte.

Nein vernünftiger Mensch leugnet, daß das Studium
der Naturformen für den bildenden Aünftler unentbehrlich,
Niemand bestreitet, daß auch das Aunstgewerbe Nutzen
daraus ziehen kann; aber über die Art und Meise des
Pflanzenstudiums, über den Grad, bis zu welchem man
dasselbe in den Pflanzstätten des Aunstgewerbes betreiben
soll, gehen die Ansichten auseinander. Gegenüber der Ein-
führung solcher Studien anstatt der bisherigen, wesent-
lich auf der Tradition fußenden Stilstudien, stellen wir
zunächst fest, daß wir uns damit nicht befreunden können,
denn dieß würde zur unmittelbaren Folge haben, daß das
verständniß für die verschiedenen Stilarten mehr und mehr
schwände, daß die mühsam errungene Fähigkeit unserer
Aunsthandwerker, den verschiedenen Stilen gerecht zu wer-
den, verloren ginge und das Aunstgewerbe wieder in den Zu-
stand völliger Haltlosigkeit zurückverfiele, wie vor der Mitte
dieses Jahrhunderts. ')

Damit wollen wir keineswegs das Studium der alten
Meister als das „allein selig machende" empfehlen, aber
allerdings auch nicht vor dem Naturstudium warnen, son-
dern nur verhüten, daß man aus lauter Uebereifer nun
plötzlich in das andere Extrem verfalle.

Soweit die Verfechter des Naturstudiums durch das-
selbe dem Aunstgewerbe neues Blut, neue Zdeen zuführen
wollen, haben sic unsere volle Zustinunung; sehr viele wenden
sich aber nicht nur gegen das verständnißlofe Weiter-
schleppen der überkommenen Stilweisen, sondern sie versteigen
sich bisweilen bis zu völliger Negation des Tra-
ditionellen, wie beispielsweise die Union des arts decoratifs.2)

Die meisten, welche nach eifrigerer Benützung der uns
mngebenden Pflanzenwelt rufen, betrachten dieselbe nur
als große Vorrathskammer; ohne Weiteres, also auch ohne
schöpferische Arbeit glauben sie, diesen Formensckatz plündern
und ihre Erzeugnisse damit bekleben zu dürfen, um „Neues",
„Eigenartiges" zu schaffen! Andere vergessen, daß nicht
die Verzierung, sondern die Gestaltung das noth-

-) Kommt einmal eine Periode, in welcher die Kenntniß der
alten Stilweisen für den Kunsthandwerker sich als überflüssig erweist,
wobei natürlich zugleich die solide künstlerische Tradition, die Achtung
vor den alten Arbeiten, die Liebe zu denselben und infolge dessen auch
ihr materieller tVerth über Bord geworfen sein müssen, dann kann
man ja auf Stilstudien verzichten!

*) Vgl. Kunstgewerbliche Rdsch. dieses Iahrg. Nr. 3, S. 23.

wendigste Erforderniß bei hervorbringung von Gebrauchs-
gegenständen ist; sie vergessen, „daß die Natur kein Blatt
geschaffen hat, um sich darauf zu setzen, oder es als Löffel
zu gebrauchen, keine Blume, um daraus Thee oder Aaffee
zu trinken, daß sie wohlweislich als Material für ihre Blumen
und Früchte nicht Holz oder Eisen, oder Leder verwendet hat,
daß sie also nicht ausschließlich in ihrer
Form einfach copirt werden darf, um aus
anderem Materiale mit anderer Bestimmung
Gegenstände danach zu bilden"'), daß die
Geräthe für ihre Gestalt aus der Natur
wohl Analogieen entnehmen können, daß
aber ihre Formen von der Zweckbestimmung,
von dem Material und von der Technik
vorgeschrieben werden.

Um zur Beurtheilung der Frage, in
wie weit oder nach welcher Richtung das
Pflanzenstudium dem Aunstgewerbe von
Nutzen sein kann, einen sichern Standpunkt
zu gewinnen, müssen wir vor allen Dingen
einige Betrachtungen über die Anwendung
der Pflanze als eines ornamentalen
Schmuckmittels anstellen.

Wenn man das Vorkommen pflanz-
licher Schmuckformen im ganzen Bereich
der Architektur und des Aunstgewerbes
verfolgt, so kann man zwei Pole unter-
scheiden, zwischen welchen sich die verschie-
denen Anwendungsweisen pflanzlicher Or-
ganismen bewegen. Den einen bezeichnet
jene Dekorationsweise, bei welcher den
Pflanzen keine andere Aufgabe zufällt, als
die, eine Fläche angenehm zu beleben; den
andern finden wir in der Anwendung der
Pflanze zur Versinnbildlichung irgend eines
struktiven Moments. Zm ersten Fall führt
der Pflanzenschmuck ein mehr beschauliches
Dasein; er verhält sich dem von ihm ge-
schmückten Geräthe gegenüber passiv. Zm
andern Fall, wo das pflanzliche Element
einen struktiven Gedanken zu verdeutlichen
hat, spielt es eine mehr aktive Rolle.

Zwischen diesen beiden Extremen liegt eine
ununterbrochene Aette von Zwischengliedern, ^s"?z t)

und diesen verschiedenen Zwecken gegenüber
wird auch das Studium der Naturformen verschiedener
Art sein können.

Wen sein Beruf nach den: ersten Pol weist, der wird nach
vollem Erfassen und treuer Wiedergabe der natürlichen
Erscheinung der Pflanze streben müssen, wer der Pflanze

') Töpfer, Natur im Kunstgewerbe. Mittheil, des «8ew.-Mus.
zu Bremen, ;8<^, S. 26.

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Zeitschrift des bayer. Aunstgewerbe-Vereins München.

tS93. q-ft 5. (Bg. t.)

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