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in gleich antheilnehmender Weise zur Seite gestanden und
kein Opfer gescheut hat, wo es sich darum handelte, die
N)ege des Unaben, des werdenden Aunstjüngers und des
reisen Mannes zu ebnen. Dafür sprechen die zahlreichen
Briefe, in denen sich ein auf gegenseitiges felsenfestes Ver-
trauen begründetes Verhältniß kundgibt. Die ersten Unter-
richtsanfänge datiren gerade von dieser Seite, wie denn auch
gar oft in späteren Jahren der klare, durch keinerlei Vor
eingenommenheit getrübte mütterliche Rath, auch in Dingen
künstlerischer Art, ausschlaggebend geblieben ist. Unger war
Protestant, bekam den ersten eigentlichen Schulunterricht von
einem israelitischen Lehrer und vom katholischen Stadtkaplan
in pofheim, während die Religionsstunden ihm von einem
protestantischen Geistlichen ertheilt wurden. Durch diese unter
sich gewiß sehr verschiedenen Aräfte aufs Beste vorbereitet,
trat er f86^ in die Lateinschule zu Schweinfurt, und zwar
gleich in eine höhere Classe als die, seinem Alter gemäß,
ihm eigentlich zugekommen wäre. Pappen, Schnitzen, Schiffs-
bauerei und ähnliche Liebhabereien zogen ihn öfter etwas
ab vom Wege des Unterrichts und wurden Grund zu mancher
im Carcer verlebten Stunde. Schon früh regte sich in ihm
ein intimer Sinn für die Natur. So erzählt z. B. seine
Mutter, er sei schon als Aind gar oft auf dem Airchwege
von pofheim nach Lendershausen stehen geblieben und habe
dann gefragt: „Was flüstern die Pappelbäume?" Steine,
Felsen, Baumstrünke, alles wurde ihm zum ausdrucksvollen
Wesen, das zum Menschen in direkte Beziehung tritt und
den Charakter der scheinbar leblosen Natur völlig abstreift.
Das ist es auch, was Unger in späteren Jahren durchzog
und seinen Bestrebungen einen ganz bestimmten Stempel
verlieh. Das Märchenhafte in erster Linie ist es gewesen,
was auf ihn einwirkte und was er in künstlerische Form
zu bringen suchte.
Zweifelsohne hat dabei die Umgebung, in der er seine
Jugend verbrachte, den ausschlaggebenden Einfluß fürs Leben
bewirkt. Die Landschaft Unterfrankens in jenen Theilen hat
etwas außerordentlich Romantisches, wenn man sich dieses
Wortes bedienen darf. Leicht bewegte pöhenzüge, die Paß-
berge ziehen sich durch das fruchtbare Land, das reich an
alterthümlichen, noch heute ntit Mauerwall und Zinnenkranz
umgebenen Städtchen und an Schloßruinen ist. Weite
Wiesenflächen wechseln ab mit Uornseldern, die sich bis
zum Rande dunkler Waldungen an den hügeligen pängen
erstrecken. Cs ist spezifisch deutsche Landschaft, wie sie schon
Albrecht Dürer mit unvergleichlicher Intimität als pinter-
gründe zu seinen figuralen Lompositionen benützt hat, eine
Landschaft, in der Frau Aventiure noch heute ihren Sitz
hat. wem solche Eindrücke von früher Jugend an den
Sinn für die malerische Erscheinung durchweben, der be-
hält sie fürs ganze Leben. Charakteristisch dafür ist das
oben gegebene Citat aus Ludwig Richters Tagebuch, dem
hier als Gegenstück ein Ausspruch Schwinds, diesem ur-
deutschen Uünstlcr angereiht sein mag: „ . . . . es schwankt
jeder, der seine Muttersprache verlernt hat. Die Nach-
ahmung der Welschen, das ist die gefährliche Sackgasse, in
die unsere Ärmst gerathen ist."
Gb Unger diesen Ausspruch gekannt hat, als er von
Rom an seine Eltern heim schrieb? Schwerlich. Schwind
aber war es in erster Linie, der Unger im späteren Leben
begeisterte.
Doch — er ist ja noch nicht so
weit. Erst kommt nach der Latein-
schule noch das humanistische Gym-
nasium, das er in Nürnberg und
später, als seine Eltern nach Schwein
furt zogen, in letzterer Stadt besuchte.
Mb er von dort große philologische
Errungenschaften — aus diese kommt
es ja leider bei der Gymnasial-Bild-
ung mehr als auf weit wichtigere
Dinge an — mit weggetragen hat,
weiß ich nicht. So viel steht fest,
daß er im Singen stets die beste, in:
Zeichnen die schlechteste Note davon-
trug, wie das außer ihm manch
Anderem paflirt ist, auf den — frei-
lich in späteren Jahren erst — seine
Lehrer mit Stolz blickten, um gleich-
zeitig zu betonen: „Ich hab's ja
immer gesagt, der N. N. macht mir
einmal Ehre", obschon die Geschichte
im Grunde genommen ganz anders
sich verhielt. Itenr, der offizielle Schul-
zeichner war für den einschlägigen
Lehrer nichts weniger als das, was
man von einem begabten Schüler
erwartet. Oelfarben wurden ange-
schafft und in freien Stunden dem
künstlerischen Bedürfnisse nach per-
zenslust gefröhnt. Es sind noch einige
Arbeiten dieser Zeit vorhanden, deren
naive Art etwas äußerst Frisches an sich trägt. Der Zeichnen-
lehrsr der letzten Gymnasialklassen, die Unger besuchte, sah
diese Sachen mit Wohlgefallen. Er, im Verein mit andern
prophetischen Geistern des kleinen Städtchens war es dann
schließlich auch, der bei den Eltern den Entschluß zur Aus-
führung brachte, Ed. Unger die Aünstlerlaufbahn einschlagen
zu lassen. Er selbst hatte dieser Idee bereits abgeschworen
und wollte sich einem völlig antipodischen Beruf in die Arme
werfen: Er wollte Cameralia studiren. Das studentische
Leben schwebte ihm wie ein herrlicher Traum vor, war er
doch von zu Pause einmal in optima forma durchgebrannt,
um einen Commers mitzumachen.
Erst sollte er in den praktischen Dienst treten. Die
nöthigen Abmachungen mit einem königlichen Rentbeamten
waren schon getroffen, das Maturitäts-Examen gemacht.
Er wanderte aber nicht in die Amtsstube, um ein Staats-
Rechner zu werden, sondern nach München aus die Akademie,
und zwar in den Antiken-Saal, dessen Leiter damals P872)
Professor Strähuber war. Da blieb er zwei Jahre, um
mit Areide und Aohle umgehen zu lernen und ebenso
wenig, wie alle andern Jünglinge seiner Umgebung in den
Geist der Antike einzudringen, die nur der richtig zu würdigen
vermag, der die lebendige Erscheinung in ihrer ganzen
Wesenheit zu würdigen und daraus erst die Erkenntniß zu
schöpfen vermag, was die Antike künstlerisch genommen zu
bedeuten habe. Bekanntermaßen ist seit einigen Jahren die
Antiken-Classe an der Münchner Akademie in richtiger Be-
urtheilung dessen, was in erster Linie für den bildenden
Aünstler in Betracht kommt, das Leben nämlich, fallen ge-
43. Benne.
Aufnahme von f <£. Unger
in veitshöchheim.
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in gleich antheilnehmender Weise zur Seite gestanden und
kein Opfer gescheut hat, wo es sich darum handelte, die
N)ege des Unaben, des werdenden Aunstjüngers und des
reisen Mannes zu ebnen. Dafür sprechen die zahlreichen
Briefe, in denen sich ein auf gegenseitiges felsenfestes Ver-
trauen begründetes Verhältniß kundgibt. Die ersten Unter-
richtsanfänge datiren gerade von dieser Seite, wie denn auch
gar oft in späteren Jahren der klare, durch keinerlei Vor
eingenommenheit getrübte mütterliche Rath, auch in Dingen
künstlerischer Art, ausschlaggebend geblieben ist. Unger war
Protestant, bekam den ersten eigentlichen Schulunterricht von
einem israelitischen Lehrer und vom katholischen Stadtkaplan
in pofheim, während die Religionsstunden ihm von einem
protestantischen Geistlichen ertheilt wurden. Durch diese unter
sich gewiß sehr verschiedenen Aräfte aufs Beste vorbereitet,
trat er f86^ in die Lateinschule zu Schweinfurt, und zwar
gleich in eine höhere Classe als die, seinem Alter gemäß,
ihm eigentlich zugekommen wäre. Pappen, Schnitzen, Schiffs-
bauerei und ähnliche Liebhabereien zogen ihn öfter etwas
ab vom Wege des Unterrichts und wurden Grund zu mancher
im Carcer verlebten Stunde. Schon früh regte sich in ihm
ein intimer Sinn für die Natur. So erzählt z. B. seine
Mutter, er sei schon als Aind gar oft auf dem Airchwege
von pofheim nach Lendershausen stehen geblieben und habe
dann gefragt: „Was flüstern die Pappelbäume?" Steine,
Felsen, Baumstrünke, alles wurde ihm zum ausdrucksvollen
Wesen, das zum Menschen in direkte Beziehung tritt und
den Charakter der scheinbar leblosen Natur völlig abstreift.
Das ist es auch, was Unger in späteren Jahren durchzog
und seinen Bestrebungen einen ganz bestimmten Stempel
verlieh. Das Märchenhafte in erster Linie ist es gewesen,
was auf ihn einwirkte und was er in künstlerische Form
zu bringen suchte.
Zweifelsohne hat dabei die Umgebung, in der er seine
Jugend verbrachte, den ausschlaggebenden Einfluß fürs Leben
bewirkt. Die Landschaft Unterfrankens in jenen Theilen hat
etwas außerordentlich Romantisches, wenn man sich dieses
Wortes bedienen darf. Leicht bewegte pöhenzüge, die Paß-
berge ziehen sich durch das fruchtbare Land, das reich an
alterthümlichen, noch heute ntit Mauerwall und Zinnenkranz
umgebenen Städtchen und an Schloßruinen ist. Weite
Wiesenflächen wechseln ab mit Uornseldern, die sich bis
zum Rande dunkler Waldungen an den hügeligen pängen
erstrecken. Cs ist spezifisch deutsche Landschaft, wie sie schon
Albrecht Dürer mit unvergleichlicher Intimität als pinter-
gründe zu seinen figuralen Lompositionen benützt hat, eine
Landschaft, in der Frau Aventiure noch heute ihren Sitz
hat. wem solche Eindrücke von früher Jugend an den
Sinn für die malerische Erscheinung durchweben, der be-
hält sie fürs ganze Leben. Charakteristisch dafür ist das
oben gegebene Citat aus Ludwig Richters Tagebuch, dem
hier als Gegenstück ein Ausspruch Schwinds, diesem ur-
deutschen Uünstlcr angereiht sein mag: „ . . . . es schwankt
jeder, der seine Muttersprache verlernt hat. Die Nach-
ahmung der Welschen, das ist die gefährliche Sackgasse, in
die unsere Ärmst gerathen ist."
Gb Unger diesen Ausspruch gekannt hat, als er von
Rom an seine Eltern heim schrieb? Schwerlich. Schwind
aber war es in erster Linie, der Unger im späteren Leben
begeisterte.
Doch — er ist ja noch nicht so
weit. Erst kommt nach der Latein-
schule noch das humanistische Gym-
nasium, das er in Nürnberg und
später, als seine Eltern nach Schwein
furt zogen, in letzterer Stadt besuchte.
Mb er von dort große philologische
Errungenschaften — aus diese kommt
es ja leider bei der Gymnasial-Bild-
ung mehr als auf weit wichtigere
Dinge an — mit weggetragen hat,
weiß ich nicht. So viel steht fest,
daß er im Singen stets die beste, in:
Zeichnen die schlechteste Note davon-
trug, wie das außer ihm manch
Anderem paflirt ist, auf den — frei-
lich in späteren Jahren erst — seine
Lehrer mit Stolz blickten, um gleich-
zeitig zu betonen: „Ich hab's ja
immer gesagt, der N. N. macht mir
einmal Ehre", obschon die Geschichte
im Grunde genommen ganz anders
sich verhielt. Itenr, der offizielle Schul-
zeichner war für den einschlägigen
Lehrer nichts weniger als das, was
man von einem begabten Schüler
erwartet. Oelfarben wurden ange-
schafft und in freien Stunden dem
künstlerischen Bedürfnisse nach per-
zenslust gefröhnt. Es sind noch einige
Arbeiten dieser Zeit vorhanden, deren
naive Art etwas äußerst Frisches an sich trägt. Der Zeichnen-
lehrsr der letzten Gymnasialklassen, die Unger besuchte, sah
diese Sachen mit Wohlgefallen. Er, im Verein mit andern
prophetischen Geistern des kleinen Städtchens war es dann
schließlich auch, der bei den Eltern den Entschluß zur Aus-
führung brachte, Ed. Unger die Aünstlerlaufbahn einschlagen
zu lassen. Er selbst hatte dieser Idee bereits abgeschworen
und wollte sich einem völlig antipodischen Beruf in die Arme
werfen: Er wollte Cameralia studiren. Das studentische
Leben schwebte ihm wie ein herrlicher Traum vor, war er
doch von zu Pause einmal in optima forma durchgebrannt,
um einen Commers mitzumachen.
Erst sollte er in den praktischen Dienst treten. Die
nöthigen Abmachungen mit einem königlichen Rentbeamten
waren schon getroffen, das Maturitäts-Examen gemacht.
Er wanderte aber nicht in die Amtsstube, um ein Staats-
Rechner zu werden, sondern nach München aus die Akademie,
und zwar in den Antiken-Saal, dessen Leiter damals P872)
Professor Strähuber war. Da blieb er zwei Jahre, um
mit Areide und Aohle umgehen zu lernen und ebenso
wenig, wie alle andern Jünglinge seiner Umgebung in den
Geist der Antike einzudringen, die nur der richtig zu würdigen
vermag, der die lebendige Erscheinung in ihrer ganzen
Wesenheit zu würdigen und daraus erst die Erkenntniß zu
schöpfen vermag, was die Antike künstlerisch genommen zu
bedeuten habe. Bekanntermaßen ist seit einigen Jahren die
Antiken-Classe an der Münchner Akademie in richtiger Be-
urtheilung dessen, was in erster Linie für den bildenden
Aünstler in Betracht kommt, das Leben nämlich, fallen ge-
43. Benne.
Aufnahme von f <£. Unger
in veitshöchheim.
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