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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1895

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Heft 5
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Gmelin, L.: Die Pflanze im Kunstgewerbe und Meurers Naturformenstudien
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https://doi.org/10.11588/diglit.6756#0051

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welche künstlerische Linear-Gedanken darstellen und denmach
durch Zuhilfenahme wirklicher natürlicher Pflanzenformen
der Vernichtung anheimfallen würden. Lassen sich ja doch
die ursprünglichsten Vrnamenttypen mit ihren einfachen
Formen nicht auf Versuche zur Nachbildung lebendiger
Vrganisnien, sondern vielmehr auf rein technische Hand
Habungen zurückführen!

» *

*

Das Meurer'fche Werk kann nach zwei Richtungen seine
Wirkung äußern: Erstens, unmittelbar in Versuchen zur
Neubildung von Ornamenten, theils durch Einführung
bisher wenig oder gar nicht gebrauchter pflanzlicher Motive,
theils durch Auffrischung der überkommenen Typen, — eine
Wirkung, die Meurer (wenigstens in ihrer ersten Hälfte) nur

bedingt erstrebt-Zweitens, mittelbar in der Gym-

nastik des künstlerischen Geistes, durch Vertiefung des
Verständnisses für die Natur, durch Schulung des Sinnes
für Proportion und Symmetrie, durch die Erkenntniß des
Zusammenhangs zwischen dem innern Wesen und seiner
äußern Erscheinung, durch die Beobachtung, daß eben dieser
Einklang zwischen Wesen und Form das Kriterium der
Schönheit bildet.

Ob diese Wirkung bei Einführung des Meurer'
scheu Naturformenstudiums in den Kunstgcwerbe-
schulen thatsächlich erreicht wird, das hängt bei dieser wie
bei jeder anderen Methode sehr wesentlich, wenn nicht aus-
schließlich, vom Lehrer ab; die im Hintergrund lauernde
Verknöcherung wird leicht beschworen, wenn der Lehrer es
versteht, trotz dem Betreten des von Mcurer abgesteckten
Weges die künstlerische Empfindung wach zu er-
halten — denn sicher ist, daß diese dann dafür um so
fester gegründet ist, wenn sie auf dem Wege logischen Denkens
errungen worden, als wenn sie nur ein unbewußtes, in-
stinktives Nachbilden vorstellt.

Daß ein gründliches Studium der Pflanzenformen be
sonders in Hinsicht auf ihren architektonischen Aufbau, auf
Zweck und Bedeutung der einzelnen Theile, auf den inneren
Zusammenhang zwischen Zweck und Form u. s. w. von
weittragender Bedeutung für das tektonische Denken des
Kunsthandwerkers wäre, ist gar keine Frage; denn für jene
Zweige und Techniken des Kunstgcwerbes, welche Geräthe,
Gefäße, Schmuck umfassen, bietet gerade das Pflanzenreich
eine größere Fülle tektonischer Anregungen, als irgend ein
anderes Gebiet der Natur. Zweifelhaft aber scheint, wie
weit unsere Kunstgewerbcschüler die Kraft besitzen, um sich
auf jene Höhe der Anschauung zu schwingen, die allein die
völlige Herrschaft über dieses Gebiet verbürgt. Reicht die
Kraft nicht aus, um die Naturformen sich dienstbar zu
machen, so bleibt der Kunsthandwerker der Sklave der Natur-
formen und die Folge davon ist das Ueberwuchern eines
mehr oder weniger schematisirten Naturalismus, den Meurer
ebensowenig will wie irgend ein Anderer. — Tin solches
Naturstudium an den Hochschulen für Architektur
einzuführen, halten wir nicht nur für vollständig berechtigt,
sondern auch — abwechselnd mit dem Vrnamentzeichnen —
für durchführbar; anders stellt sich aber die Frage in den
Kunstgewerbcschulen, schon wegen des völlig verschied-
enen materiellen und intellectuellen Standpunktes der Schüler.

Gewiß gibt es auch unter den Kunsthandwerkern genug
Leute, die jenen hohen Standpunkt zu gewinnen vermögen,
und es besteht kein Bedenken, mit reiferen, älteren Schülern,
bei welchen ein Mißverstehen nicht zu befürchten ist, die
struktiven Geheimnisse des Pflanzenbaues zu studiren; aber
dem Anfänger kann diese Richtung des Pflanzenstudiums
so gefährlich werden wie die Fleischkost dem Säugling!')

Eine gute Waffe in der Hand eines geübten Schützen
ist eine treffliche Wehr; dieselbe Waffe in der Hand eines
Stümpers kann deinselben zum Verderben gereichen.

Schon die Schwierigkeit, ohne Mehraufwand an
Studienzeit dieses Naturformenstudium in den Unterricht des
Ornamentzeichnens einzuschalten, scheint uns unüberwindlich
wenigstens soweit es die Kunstgewerbeschulen betrifft.
Die durchschnittliche Besuchszeit einer solchen Schule ist mit
3 Jahren eher zu hoch als zu nieder gegriffen, eine Zeit-
dauer, die knapp hinreicht, um den Schüler mit den unent
behrlichen künstlerischen Fertigkeiten — Zeichnen, Malen und
Modelliren nach Vorbildern aus Kunst und Natur — aus
zustatten, ihm das Verständniß für die wesentlichen Unter-
schiede der verschiedenen Stilarten beizubringen und ihn auf
seinen speziellen Beruf vorzubereiten. All dieß ist zu einer
soliden Grundlage des kunstgewerblichen Studiums noth-
wendig; einen Theil davon zu Gunsten des Pflanzenstudiums
im Sinne Meurers zu opfern, wäre nur dann angezeigt,
wenn letzteres nicht nur an Lehrwerth voran stünde,
sondern zugleich dem Verständniß der Schüler näher
läge. Da letzteres im Allgemeinen nicht zutrifft, so glauben
wir auch, daß solches Studium — unbeschadet seines hohen
Lehrwerthes — sich nicht als obligatorischer Unter-
richtsgegenstand den Elementarfächern der kunst-
gewerblichen Schulung einreihen läßt. Erst nach läng
erem Schulbesuch und nur unter sorgfältiger
Auswahl der Schüler halten wir die Einführung des
Naturstudiums — im Sinne Meurer's (wenn auch nicht ohne
Modifikationen) für möglich und nutzbringend; es genügt
dann aber auch, in dem Schüler das Interesse für solche
Betrachtung der Natur wachzurufen. Er wird dann schon
selbständig weiterstudiren; die vorher erworbenen Stilkennt-
nisse und die nachherige praktische Thätigkeit werden ihn
dann vor mißbräuchlicher Verwendung der Naturformen
bewahren. Gerade, wenn ein solcher Schüler erst gegen den
Schluß seiner Lernzeit in ein derartiges Naturstudium ein
geweiht wird, vermeidet man am besten die Schablonisirung
dieses Studiums und wenn der Schüler dann beini Ueber-
gang zu selbständiger praktischer Thätigkeit sich in der Natur
diejenigen Gebilde zum Studium auswählt, welche seiner
Individualität und seinem Schaffensgebiete am meisten Zu-
sagen, so werden sich auch seine selbständigen kunstgewerb-
lichen Erzeugnisse durch künstlerische Eigenart aus
zeichnen! — Jene englischen Künstler, welche gegenwärtig
das englische Kunstgewerbe leiten, und an deren Spitze der
bekannte Maler Walter Trane steht, haben das Studium
der Pflanze nach ihrer malerischen Seite mit Energie

') In dem Umstand, daß Meurer das Zeichnen nach den in
seinem System gehaltenen Vorlagen im Anfang nicht umgehen
zu können glaubt, liegt schon unbewußt das Lingeständniß, daß das
Studium der Pflanzcnformen nach den natürlichen Vorbildern eben
dem angehenden Aunstjünger, bczw. Grnamentzeichner, zu große
Schwierigkeiten bereitet.
 
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