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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 8.1916

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Heft 3/4
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Halm, Philipp Maria: Neuerwerbungen des bayerischen Nationalmuseums
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https://doi.org/10.11588/diglit.26378#0059

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NEUERWERBUNGEN DES BAYERISCHEN
NATION ALiYIUSEUIYIS Mitl4 Abbildungen; Von PH. M. HALM
T Tnter den Neuerwerbungen für die kulturgefAiAtliAe Sammlung nimmt, künftierifch
U wie kunfthiftorifch betraAtet, die überlebensgroße Holzfigur der Maria einer Ver-
kündigung unbeftritten die erfte Steiie ein (Abb. 1). Die Figur ftammt aus Sanhar-
ianden bei Abensberg in Niederbagern, das für künftlerifche Erzeugniffe von dem nahen
Kiofter Biburg abhängig war. Nach der Größe der Figur erfcheint es wahrfcheiniich,
daß fie fogar aus der Kiofterkirche von Biburg ftammt, wenn fie nicht, wie J. A. Endres,
der die Statue geiegenthch der Regensburger Ausfteiiung im Jahre 1910 in die Literatur
einführte, anzunehmen geneigt ift, urfprünglich in St. Emmeran in Regensburg ftand.
JedenfaHs befteht über die Zugehörigkeit der Figur zur Regensburger Schute, fei es nun,
daß fie urfprünglich für Biburg oder St. Emmeran gefchaffen wurde, kein Zweifel; die Figur
fchheßt fich auf das engfte an die Ehrengräber in St. Emmeran an und ift zeitlich zwifchen
den Grabftein der Königin Hemma aus dem Ende des 13. Jahrhunderts und die Tumba
der feh'gen Aurelia, die der Domherr Gamered von Sarching um 1335 ftiftete, zu fe^en.
Die engeren Beziehungen zu dem erfteren Werk laffen das leßte Jahrzehnt vor 1300
als die wahrfcheinliche Entftehungzeit des Werkes erfcheinen. Maria fteht in ruhiger
Haltung und faft architektonifcher Strenge, die durch die frontal-fymmetrifche Auf-
faffung betont und gefteigert wird, vor uns. Der Mantel fällt in prachtvoller Ge-
fchloffenheit von den Schultern zu Boden, in züchtiger Gebärde ziehen die Hände den
Saum zum Körper, den das Untergewand in weichen Formen umfchließt. Das Haupt
mit dem noch etwas archaifchen Gefichtsausdruck ift leicht nach vorne geneigt und
wird von einem Tuche mit Fältelfaum bedeckt. Die niedergefchlagenen Augen, welche
in Zufammenhang mit der ruhig vornehmen, gottergebenen Haltung unverkennbar das
„Ecce ancilla domini" auszufprechen fcheinen, verleihen der Figur einen packenden
vifionären Charakter. Bei der relativen Seltenheit von Holzfiguren aus diefer Frühzeit,
ift diefe Erwerbung um fo mehr zu begrüßen, als dadurch in das Mufeum ein wichtiges
Bindeglied der fpätromanifAen Plaftik zu dem frühgotifchen Stil eingereiht wurde. Die
Figur leitet von den fpätromanifchen Steinfkulpturen des Chriftus aus Reichenbach in
der Oberpfalz und der Weffobrunner Apoftelreihe über zu dem entwickelteren gotifchen
Stil, für deffen frühe Phafe die fogenannte Madonna Kaifer Ludwigs des Bagern aus
dem Angerklofter in München, die wir wohl gleichfalls als ein Werk der Regensburger
SAule anzufehen haben, ein hervorragendes Beifpiel bietet.
ZeitliA reiht fiA der Verkündigungsmaria die Sit$ftatue einer Heiligen aus der Zeit
um 1430 an, die aus Niederbagern ftammt (Abb. 2). Sie bildet eine intereffante Parallele
zu den bekannten Seeoner Figuren. FragliA muß es erfAeinen, ob die Figur in Nieder-
bagern felbft, in dem künftlerifA bedeutfamen Rottal, entftanden ift, oder, wofür
ftiliftifAe Wahrnehmungen zu fpreAen fAeinen, aus Salzburg ftammt. Die näAften
Beziehungen weift die Figur mit den „fAönen" Madonnen von Pürten und Weildorf auf,
welAe hinwiederum in den Kreis jener Arbeiten gehören, die mit der etwas fagen-
haften Tätigkeit des BifAofs Thiemo von Salzburg in Beziehung gefegt werden, fiAer-
liA aber alle erft in der erften Hälfte des 15. Jahrhunderts entftanden find. Man wird
niAt fehlgehen, wenn man die Heilige als Teil einer Sippendarftellung anfpriAt. Das
ikonographifA für diefe Zeit ungewöhnliAe Motiv einer über Engelswolken thronenden
Heiligen hat außerordentliAen künftlerifAen Reiz. Die pfgAologifAe Zartheit der
Figur, verbunden mit dem feierliA hohen Aufbau, wird noA gefteigert durA die gut-
erhaltene eigenartige Bemalung.

Der Cicerone, VH], Jahrg., Heft 3/4

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