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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 8.1916

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Heft 3/4
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Gold, Alfred: Über Handzeichungen von Max Liebermann
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https://doi.org/10.11588/diglit.26378#0073

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ÜBER HRNDZEICHNUNGEN VON MAX

LIEBERMANN

mit 8 Abbildungen j Von ALFRED GOLD

ENTWICKLUNG.


ir find mit den Vorbereitungen zu einer Aushebung Liebermannfcher Hand

V V Zeichnungen (im Salon Caffirer) befchäftigt. Wir wühien im Material. Zwanzig,
fünfzig, hundert Blätter, in Karton gefaßt oder unter Glas und Rahmen, paffieren die
Hände. Man möchte dabei möglichft objektiv bleiben. Nicht die „Schönheit" der
Zeichnung foll hier fprechen, obwohl diefe Schönheit allein es vermag, daß man jedes
der Blätter immer wieder zum Vergleich in die Hand nimmt. Eben das Vergleichen
wird vielmehr Selbftzweck. Diefe hingeworfenen Studien und Skizzen möchte man
irgendwie auseinander entftehen fehen, ihrer Reihe nach, ihrer Qualität nach. Man
verfucht fie annähernd in eine richtige Reihenfolge zu bringen; man datiert fie.
Nichts ift fchwieriger als diefes Unterfangen. Man nehme ftatt der hundert Arbeiten
fogar zweihundert oder dreihundert, wie wir es taten, als das Material anwuchs. Es
erfcheint doch im ganzen als eine gleichartige Fülle von malerifch-zeichnerifchen
Charakterftudien, von geiftreich hingeworfenen Improvifationen, die von einer Er-
fcheinung mit ein paar Strichen das Wefentliche geben. Das eine oder andere Mal
läuft eine Darftellung unter von fauberer ausgeführtem Kontur und flächenhafter Füllung.
Die möchte man den primitiven Jahren zufchreiben, aber gerade diefes Werk ift datiert,
es ftammt aus der beften Mittelzeit, von 1895. Die Skala ift aifo noch nicht ge-
funden.
Fehlt hier überhaupt eine erkennbare Entwicklung?
Vielleicht wirkt nur ein Vorurteil, das man mitbringt, zunächft verwirrend. Man
ift heute geneigt, anzunehmen, daß Liebermanns primäres Talent gerade in der Zeich-
nung liegt (wie man in früheren akademifchen Jahren annahm, daß es gerade in der
Zeichnung nicht liegt). Der Mann, der die „Gänferupferinnen" und die Kartoffel- oder
Rübenernte gemalt hat, wäre danach vor allem ein Zeichner gewefen, der er fpäter
unter der Herrfchaft des Freilichts und des Impreffionismus, fozufagen abfichtlich, wieder
zu fein aufhörte. Zeichnerifch wäre von Haufe aus die Art feiner Konzeption. So
fieht ihn Hans W. Singer in der einzigen felbftändigen Veröffentlichung*, die es über
Liebermannfche Handzeichnungen gibt, wobei aber dem Verfuch einer Entwicklung
oder auch nur Chronologie der abgebildeten Beifpiele vorfichtig ausgewichen ift. Diefe
Auffaffung ift einfeitig. Sie unterteilt, daß an den frühen Liebermannfchen Werken
die Zeichnung das Wefentliche fei, während man mit befferem Recht behaupten könnte,
daß jene Werke ohne Licht- und Farbwirkung — das Licht ift bei Liebermann von
Anfang an Quelle und Maß der farbigen Spannung — um das Wefentliche ärmer
würden. In manchen Fällen wird das fehr deutlich. Gerade das Beifpiel, das Singer
für fich in Anfpruch nimmt, die Zeichnung zum Gefchwifterbild von 1876, zeigt doch
wohl eher, daß neben Liebermanns Malereien von damals die Zeichnung zurückbleibt.
Sie ift arm. Sie ift unfrei.
Anfänge einer Entwicklung enthüllen fich alfo. In den Jahren, wo Liebermann, der
Weimaraner, und wo er dann in Paris und in Amfterdam und fpäter wieder in Paris
und Barbizon an die großen malerifchen Aufgaben mit grandiofefter Jugendenergie
herangeht, ift er in dem feiner würdigen Sinne noch kein Zeichner. Während er
malerifch fo weit ift, frühreife Kraft durch noch reifere Klugheit, durch erftaunliche
* „Meifter der Zeidmung", Verlag Baumgärtner, Leipzig. 11. Bd. Vgl. Einleitung, S.20.

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