LITERATUR
LITERATUR
Hanns Fediner, KOMMENDE KUNST??
Verlag der Buchhandlung des Waifenhaufes in
Hatte a. d. Saale 1915. (Al. 1.80.)
Rudolf Klein-Diepold, DAS DEUTSCHE
KUNSTPROBLEM DER GEGENWART. Berlin
und Leipzig, B. Behrs Verlag, Friedr. Fedderfen,
(M. 1.50.)
Seit Beginn des Krieges haben die Verfudhe
nicht aufgehört, die patriotifche Hodiftimmung
und die durch den Krieg erzwungene Ab-
fchüeßung gegen das Ausland für einenationalifti-
fche Kunftpropaganda auszunüßen. In dem Chor
der Stimmen, die dazu aufriefen, ift die Klein-
Diepold fche eine der unerfreuiichften, weil hier
mit einer feltenen Mangelhaftigkeit des Denkens,
Begriffes und Ausdruckes gepredigt wird. Und
es tut mir feibft leid, daß Fechner es fich ge-
fallen iaffen muß, fein zwar gleichfalls einfeitiges
und fogar falfches, aber ungleich vornehmeres
und befcheideneres Heftchen gemeinfam mit dem
Kiein-Diepoldfchen abgehandelt zu fehen. Aber
die Gemeinfamkeit ihrer Anfchauungen über den
Wert und Unwert der franzöfifchen Kunft und
derer, die ße hier in Deutfchland verbreiten,
nämlich der Impreffioniften, macht das uner-
läßlich.
Das Gefchrei über den Schaden, den die
deutfchen fogenannten Impreffioniften (in erfter
Reihe alfo Liebermann) und ihre kunftgefchidit-
licheGefolgfchaft (vor ailem alfo Hugo v.Tfchudi;
anderwärts wird daneben Lichtwark genannt)
angerichtet haben, ift nicht neu. Aber es fcheint
fich von allen, die daran teilnehmen, noch nie-
mand die Frage vorgelegt zu haben, wie es
denn möglich fein foiie, daß eine kleine Clique
von etwa 12—15 Menfchen den Gang einer
ganzen Kulturentwicklung beeinßuffe und leite.
Eine folche Schar kann vielleicht eine Mode auf
einige Jahre hinaus beftimmen. Daß aber eine
Bewegung feit mehr als einem Vierteijahrhundert
in unverminderter Kraft fortbefteht und in Deutfch-
land allmählich fo felbftverftändiich geworden
ift, daß fie feibft bei den Konfervativen, die
einft dagegen wetterten, ganz unbefangen und
eigentlich unbemerkt auftritt, das zeigt doch,
daß folche Dinge erheblich tiefer liegen. Gene-
rationen irren nicht.
Und ift denn der deutfche Impreffionismus
franzöfifch? Fechner (mit Klein-Diepold kann
man fich nicht ernfthaft auseinanderfeßen, fchon
weil man ihn zunädift einmal um Definitionen
jedes einzelnen feiner Begriffe bitten müßte), Fech-
ner feßt Sezeffion = undeutfche Kunft. Schließ-
lich macht doch jeder Menfch die Kunft, die er
innerlich in fich hat, troß allen Einflüffen. Ift
Corinth kein Deutfcher? Liebermann ein Fran-
zofe? Leiftikow ein Parifer? Es ift freilich für
den alten Kämpfer gegen die Sezeffion wohl
fchwerer als für eine jüngere Generation, zu
erkennen, wie fehr gerade Liebermann mit
Menzel und weiterhin mit Krüger, kurz mit
Berlin überhaupt zufammenhängt. Zu uns fpricht
ja heut im Impreffionismus überhaupt das Tra-
ditionelle, Heimifche fchon ftärker als das Neue,
Umwälzende. Aber in einem weftdeutfchen
Mufeum hat man einmal die Werke der deutfchen
und der franzöfifchen Impreffioniften durch-
einander gehängt, und es war erftaunlich, feibft
für den, der grundfäßlich nie den deutfchen
Charakter der heimifchen Künftler verkannt
hatte, wie ftark er hervortrat. Das wiffen auch
die Franzofen fehr gut, ebenfo wie fie den Zu-
fammenhang Leibis mit der alten deutfchen
Kunft eher erkannten, als unfere heimifchen
Weifen. Uhd wenn unfere Chauviniften be-
klagen, daß unfere Kunft von der fremden lebe,
und Liebermann „des einheitiicheren Kultur-
bodens Hollands zur lebenslangen Produktion
als fpeifende Bafis bedurfte" (Klein-Diepold;
es fteht wirklich „als fpeifende Bafis" da), fo hat
die franzöfifche Kritik der deutfchen Kunft-
abteilung auf der Parifer Weltausftellung von
1889 fogar eine deutfche Einwirkung auf andere
Nationen anerkannt. Kiein-Diepoid hat ja übri-
gens früher, wenn ich nicht irre, auch anders
über Liebermann gedacht, aber es follte ihn und
feine Genoffen doch auch heute ftußig machen,
daß Bode, aus deffen Auffäßen gegen die jungen
Mufeumsdirektoren fie ihre Betätigungen holen,
gerade einer der eifrigften Verfechter Liebermann-
fcher Kunft von jeher gewefen ift.
Im Grunde kommt alles Unheil und aller Un-
finn daher, daß von allen diefen Leuten mit der
idealen Forderung keiner genug gefchichtlichen
Sinn und gefchichtliche Kenntniffe hat, um über
das nächfte hinauszufehen. Sonft müßten fie
wiffen, daß derart willkürliche Einflüffe auf die
Entwicklung von ganzen Kulturen und Künften,
wie fie fie annehmen, unmöglich find. Alle ge-
fchichtliche und kuiturelie Entwicklung verläuft
nach ftrenger, eingeborener Gefeßlichkeit, und
es ift eine maßlofe menfehiiehe Überhebung,
zu glauben, ein einzelner oder eine kleine Zahi
könnte nach Verabredung oder Wilikür den Strom
fo oder fo leiten. Und auch von diefer jüngften,
von Fechner und feinen Gefellen fo hart be-
fehdeten Entwicklung, die fich zuerft an Manet
anfehloß, gilt das, was Lamprecht von der
deutfchen Kultur der Stauferzeit fagt, die ja
auch in nicht geringem Umfange franzöfifche
Kunft- und Bildungselemente aufnahm: „Wie
bei ailen großen Rezeptionen wurde vom Frem-
197
LITERATUR
Hanns Fediner, KOMMENDE KUNST??
Verlag der Buchhandlung des Waifenhaufes in
Hatte a. d. Saale 1915. (Al. 1.80.)
Rudolf Klein-Diepold, DAS DEUTSCHE
KUNSTPROBLEM DER GEGENWART. Berlin
und Leipzig, B. Behrs Verlag, Friedr. Fedderfen,
(M. 1.50.)
Seit Beginn des Krieges haben die Verfudhe
nicht aufgehört, die patriotifche Hodiftimmung
und die durch den Krieg erzwungene Ab-
fchüeßung gegen das Ausland für einenationalifti-
fche Kunftpropaganda auszunüßen. In dem Chor
der Stimmen, die dazu aufriefen, ift die Klein-
Diepold fche eine der unerfreuiichften, weil hier
mit einer feltenen Mangelhaftigkeit des Denkens,
Begriffes und Ausdruckes gepredigt wird. Und
es tut mir feibft leid, daß Fechner es fich ge-
fallen iaffen muß, fein zwar gleichfalls einfeitiges
und fogar falfches, aber ungleich vornehmeres
und befcheideneres Heftchen gemeinfam mit dem
Kiein-Diepoldfchen abgehandelt zu fehen. Aber
die Gemeinfamkeit ihrer Anfchauungen über den
Wert und Unwert der franzöfifchen Kunft und
derer, die ße hier in Deutfchland verbreiten,
nämlich der Impreffioniften, macht das uner-
läßlich.
Das Gefchrei über den Schaden, den die
deutfchen fogenannten Impreffioniften (in erfter
Reihe alfo Liebermann) und ihre kunftgefchidit-
licheGefolgfchaft (vor ailem alfo Hugo v.Tfchudi;
anderwärts wird daneben Lichtwark genannt)
angerichtet haben, ift nicht neu. Aber es fcheint
fich von allen, die daran teilnehmen, noch nie-
mand die Frage vorgelegt zu haben, wie es
denn möglich fein foiie, daß eine kleine Clique
von etwa 12—15 Menfchen den Gang einer
ganzen Kulturentwicklung beeinßuffe und leite.
Eine folche Schar kann vielleicht eine Mode auf
einige Jahre hinaus beftimmen. Daß aber eine
Bewegung feit mehr als einem Vierteijahrhundert
in unverminderter Kraft fortbefteht und in Deutfch-
land allmählich fo felbftverftändiich geworden
ift, daß fie feibft bei den Konfervativen, die
einft dagegen wetterten, ganz unbefangen und
eigentlich unbemerkt auftritt, das zeigt doch,
daß folche Dinge erheblich tiefer liegen. Gene-
rationen irren nicht.
Und ift denn der deutfche Impreffionismus
franzöfifch? Fechner (mit Klein-Diepold kann
man fich nicht ernfthaft auseinanderfeßen, fchon
weil man ihn zunädift einmal um Definitionen
jedes einzelnen feiner Begriffe bitten müßte), Fech-
ner feßt Sezeffion = undeutfche Kunft. Schließ-
lich macht doch jeder Menfch die Kunft, die er
innerlich in fich hat, troß allen Einflüffen. Ift
Corinth kein Deutfcher? Liebermann ein Fran-
zofe? Leiftikow ein Parifer? Es ift freilich für
den alten Kämpfer gegen die Sezeffion wohl
fchwerer als für eine jüngere Generation, zu
erkennen, wie fehr gerade Liebermann mit
Menzel und weiterhin mit Krüger, kurz mit
Berlin überhaupt zufammenhängt. Zu uns fpricht
ja heut im Impreffionismus überhaupt das Tra-
ditionelle, Heimifche fchon ftärker als das Neue,
Umwälzende. Aber in einem weftdeutfchen
Mufeum hat man einmal die Werke der deutfchen
und der franzöfifchen Impreffioniften durch-
einander gehängt, und es war erftaunlich, feibft
für den, der grundfäßlich nie den deutfchen
Charakter der heimifchen Künftler verkannt
hatte, wie ftark er hervortrat. Das wiffen auch
die Franzofen fehr gut, ebenfo wie fie den Zu-
fammenhang Leibis mit der alten deutfchen
Kunft eher erkannten, als unfere heimifchen
Weifen. Uhd wenn unfere Chauviniften be-
klagen, daß unfere Kunft von der fremden lebe,
und Liebermann „des einheitiicheren Kultur-
bodens Hollands zur lebenslangen Produktion
als fpeifende Bafis bedurfte" (Klein-Diepold;
es fteht wirklich „als fpeifende Bafis" da), fo hat
die franzöfifche Kritik der deutfchen Kunft-
abteilung auf der Parifer Weltausftellung von
1889 fogar eine deutfche Einwirkung auf andere
Nationen anerkannt. Kiein-Diepoid hat ja übri-
gens früher, wenn ich nicht irre, auch anders
über Liebermann gedacht, aber es follte ihn und
feine Genoffen doch auch heute ftußig machen,
daß Bode, aus deffen Auffäßen gegen die jungen
Mufeumsdirektoren fie ihre Betätigungen holen,
gerade einer der eifrigften Verfechter Liebermann-
fcher Kunft von jeher gewefen ift.
Im Grunde kommt alles Unheil und aller Un-
finn daher, daß von allen diefen Leuten mit der
idealen Forderung keiner genug gefchichtlichen
Sinn und gefchichtliche Kenntniffe hat, um über
das nächfte hinauszufehen. Sonft müßten fie
wiffen, daß derart willkürliche Einflüffe auf die
Entwicklung von ganzen Kulturen und Künften,
wie fie fie annehmen, unmöglich find. Alle ge-
fchichtliche und kuiturelie Entwicklung verläuft
nach ftrenger, eingeborener Gefeßlichkeit, und
es ift eine maßlofe menfehiiehe Überhebung,
zu glauben, ein einzelner oder eine kleine Zahi
könnte nach Verabredung oder Wilikür den Strom
fo oder fo leiten. Und auch von diefer jüngften,
von Fechner und feinen Gefellen fo hart be-
fehdeten Entwicklung, die fich zuerft an Manet
anfehloß, gilt das, was Lamprecht von der
deutfchen Kultur der Stauferzeit fagt, die ja
auch in nicht geringem Umfange franzöfifche
Kunft- und Bildungselemente aufnahm: „Wie
bei ailen großen Rezeptionen wurde vom Frem-
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