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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 8.1916

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Heft 3/4
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Gold, Alfred: Über Handzeichungen von Max Liebermann
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https://doi.org/10.11588/diglit.26378#0075

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ÜBER HANDZEICHNUNGEN VON MAX LIEBERMANN

Straßenanfichten, ganz fubtil und diamant-
scharf, vom Ende der Siebziger Jahre und
dem Anfang der achtziger Jahre dar-
geboten.
Dann aber kam der Ertrag diefer un-
erbittlichen handwerklichen Selbftzucht.
Dann tritt wie mit einem Schlage, unge-
fucht, ungewollt, für den Zeichner in
Liebermann die volle Befreiung ein. Ihre
erften Zeugniffe haben wir auf einen
beftimmten Zeitpunkt nicht Sicher feStlegen
können. Da wirkt die Kompliziertheit des
Künstlers doch wieder verwachend. Früh-
reifes und Späteres, Flüchtiges fteht ein-
ander gegenüber. Aber die Schaf- und
Schäferftudien, die holländifchen Land-
fchaftsfkizzen, die Entwürfe zum Ziegen-
bild, alle aus der Mitte der achtziger
Jahre, haben einen früher nicht gekann-
ten, nicht geahnten neuen Klang. Eine
neue atmofphärifche Einheit von Land-
fdiaft und Menfch und Tier ift nun mit
einem Male da. Das Gerüft ift abge-
worfen. Alles fließt nur noch aus der
einen einzigen Quelle, der kultivierten
Empfindung. Auch dafür glaubte man
eine Art Anregung zu kennen. Man hat
gejagt, daß Liebermann damals von den
Zeichnungen Mauves — wie Späterhin von der Sentimentalität von Israels — be-
einflußt worden fei. Vielleicht. Die Befreiung war troßdem gewonnen. Die Zeich-
nungen mögen anfangs noch etwas bildhaft Gerundetes haben, und das kann von
Mauve kommen. Aber die neunziger Jahre bringen die erften Skizzen von den Dünen
und vom Meere, und auf diefem Wege fortschreitend erftarkt mit dem Beginne des
neuen Jahrhunderts — allerdings erft Jo Spät — die ganz eigene und ganz große
Form des Zeichners Liebermann, die Offenheit des Strichs, die Scheinbare Zerriffenheit,
die ihren Rhythmus nicht im einzelnen zu verfinnlichen braucht, da fie ihn aus einer
höheren und unbewußt gewordenen Kraft als etwas aus der Seele Geborenes mitbringt.
DIE MOTIVE.
Dabei klingen durch diefe zeichnerifche Entwicklung immer auch die Motive des
Gefamtwerkes, die Bildkompofitionen, mit. Man lernt den Zeichner und den Maler
erft richtig kennen, wenn man erfährt, in welchem Verhältnis diefe beiden Seiten
Liebermanns zueinander und in welchem Verhältnis fie zu feinen Bildgegenftänden
Stehen. Mit Unrecht Spricht man dem fogenannten Impreffioniften eine innigere Be-
ziehung zu feinem Motiv ab. Man erfährt durch Haneke, anfangs mit Erftaunen,
welche Wichtigkeit in allen Stadien der Entwicklung Liebermanns einem beftimmten
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Abb. 2. Doppeiftudie nach einer gehenden Frau.
„Primitiv" wirkendes Biatt.

Der Cicerone, VIII. Jahrg., Heft 3/4

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