Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 8.1916
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https://doi.org/10.11588/diglit.26378#0077
DOI Heft:
Heft 3/4
DOI Artikel:Gold, Alfred: Über Handzeichungen von Max Liebermann
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ÜBER HANDZEICHNUNGEN VON MAX LIEBERMANN
Abb. 4. Papageienaiiee in Amfterdam (1902). „Offene" Zeichnung.
reft den Zufammenhang. Gewiffe Motive wiederholen [ich mit übsrrafchender Treue,
felbft zu ganz auseinanderliegenden Zeiten: fo die reizende Kette der Arm in Arm
gehenden jungen Mädchen (1882 und 1896) oder die Kinder auf dem Schulgang
(1899 und 1904).
VERHÄLTNIS ZUR MALEREI UND TECHNIK.
Wie ift aber das Verhältnis diefer Zeichnungen zu den Liebermannfchen Malereien
formal? Wieviel geben fie felbft fchon vom Bildeindruck? Man wird nicht fo weit
gehen wie Singer in der oben zitierten Auffaffung und diefe Zeichnungen der Mehrzahl
nach doch „malerifch" finden. Das „Lineare" fiehtWölfflin mit Recht darin, daß der Kontur
nicht nur erkennbar wird, denn er ift ja faft in allen Fällen irgendwie fixiert oder zumindeft
auffindbar, fondern daß er auch betont wird und fogar felbftändig-ornamental aus-
gezogenA In diefem Sinne ift Liebermann, troß der wundervollen konturierten Studien
der Münchner Zeit, nicht linear. Ihm ift der Kontur nicht ein Ornament, auch nicht
eine Abgrenzung der Lokalfarben. Andererfeits ift der Kontur bei ihm nicht ganz aus-
gefchaltet, wie beim bloßen Luminiften, der genau fo fyftematifch die Aufgeiöftheit der
Fläche übertreibt wie ein anderer wieder den Umriß. Liebermann, der niemals ein
Sgftematiker gewefen ift troß feiner Neigung zu witzig-fchlagfertigen Formulierungen
in Kunftdingen, fcheint mir darin einen perfönlichen Mittelweg zu gehen. Auf die
beftimmte Einzelform verzichtet er, darin nicht nur Leibi, fondern viel ftärker noch
Menzel verwandt, keineswegs.^ Auch noch im ftärkften perfpektivifchen oder atmo-
Handzeidmungen von Albrecht Dürer. Piper, Mündien, 1914. S. 2.
- Das konnte überfehen werden, als man im Impreffionismus noch vor aiiem ein Mittei zur
Darfteiiung beieuchteter farbiger Flächen, auch in der Zeichnung, fah. So etwa Gurlitt („Die
deutfche Kunft des 19. Jahrhunderts", 3. Aufi., Bondi, Beriin, 1907. S. 508). Dagegen vertrat ich
eine andere Auffaffung in „Max Liebermann" in der Wiener „Zeit", XXiH. Bd. (1900), Nr. 297.
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Abb. 4. Papageienaiiee in Amfterdam (1902). „Offene" Zeichnung.
reft den Zufammenhang. Gewiffe Motive wiederholen [ich mit übsrrafchender Treue,
felbft zu ganz auseinanderliegenden Zeiten: fo die reizende Kette der Arm in Arm
gehenden jungen Mädchen (1882 und 1896) oder die Kinder auf dem Schulgang
(1899 und 1904).
VERHÄLTNIS ZUR MALEREI UND TECHNIK.
Wie ift aber das Verhältnis diefer Zeichnungen zu den Liebermannfchen Malereien
formal? Wieviel geben fie felbft fchon vom Bildeindruck? Man wird nicht fo weit
gehen wie Singer in der oben zitierten Auffaffung und diefe Zeichnungen der Mehrzahl
nach doch „malerifch" finden. Das „Lineare" fiehtWölfflin mit Recht darin, daß der Kontur
nicht nur erkennbar wird, denn er ift ja faft in allen Fällen irgendwie fixiert oder zumindeft
auffindbar, fondern daß er auch betont wird und fogar felbftändig-ornamental aus-
gezogenA In diefem Sinne ift Liebermann, troß der wundervollen konturierten Studien
der Münchner Zeit, nicht linear. Ihm ift der Kontur nicht ein Ornament, auch nicht
eine Abgrenzung der Lokalfarben. Andererfeits ift der Kontur bei ihm nicht ganz aus-
gefchaltet, wie beim bloßen Luminiften, der genau fo fyftematifch die Aufgeiöftheit der
Fläche übertreibt wie ein anderer wieder den Umriß. Liebermann, der niemals ein
Sgftematiker gewefen ift troß feiner Neigung zu witzig-fchlagfertigen Formulierungen
in Kunftdingen, fcheint mir darin einen perfönlichen Mittelweg zu gehen. Auf die
beftimmte Einzelform verzichtet er, darin nicht nur Leibi, fondern viel ftärker noch
Menzel verwandt, keineswegs.^ Auch noch im ftärkften perfpektivifchen oder atmo-
Handzeidmungen von Albrecht Dürer. Piper, Mündien, 1914. S. 2.
- Das konnte überfehen werden, als man im Impreffionismus noch vor aiiem ein Mittei zur
Darfteiiung beieuchteter farbiger Flächen, auch in der Zeichnung, fah. So etwa Gurlitt („Die
deutfche Kunft des 19. Jahrhunderts", 3. Aufi., Bondi, Beriin, 1907. S. 508). Dagegen vertrat ich
eine andere Auffaffung in „Max Liebermann" in der Wiener „Zeit", XXiH. Bd. (1900), Nr. 297.
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