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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 8.1916

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Heft 7/8
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Friedeberger, Hans: Eine altgriechische thronende Göttin im Berliner alten Museum
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https://doi.org/10.11588/diglit.26378#0152

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EINE ALTGRICHISCHE THRONENDE GÖTTIN IM BERLINER ALTEN MUSEUM

wenn man die neue Göttin mit den Koren der Akropolis vergleicht, fällt es auf, wie
viet perfönlicher alles an diefer Statue ift, abgefehen von der unvergleichlich höheren
künftlerifchen Qualität. Die Göttin fteht zu den Koren, wie die Freiplaftik eines großen
Bildhauers zu den dekorativen Baufkulpturen tüchtiger Werkmeifter. Das Verhältnis
ift ja auch tatfächlich ähnlich. Außerdem aber entftand die Figur der Göttin in einem
Augenblick des Überganges. Nirgends vor den erhaltenen Werken fpürt man fo ftark,
wie fich die Kunft vom archaifch Strengen zum perfönlich Lebendigen zu wenden fucht.
Es handelt fich um ganz winzige Verfchiebungen, und man muß fehr genau zufehen,
um die Freiheiten zu erkennen, die fich der Künftler genommen hat. Und man muß
die iangfame und fchulmäßige Entwicklung der griechifchen Plaftik bedenken, die Be-
deutung des Typus, um zu erkennen, welche Selbftändigkeit und welcher Fortfehritt in
diefen kleinen, fcheinbar unbedeutenden Abweichungen fteckt. Daß die Arme nicht die
gleiche Höhe einhalten, daß der linke Fuß allein fich ein wenig über den Rand der
Fußbank hervorwagt, daß die fenkrechten Mittelfalten zwifchen den Knien fich nach
dem rechten Knöchel zu ein wenig nach innen biegen, die ungleich hohen Abfchlüffe
der Zickzack-Plättfalten auf den Unterfchenkeln, alles das fpricht für eine feibftändig-
entfehiedene Perfönlichkeit als den Schöpfer des Werkes. Am ftärkften aber doch der
Kopf. Hier ift das archaifche Lächeln zum erften Mal befeelt. Es ift nicht etwa ge-
fällig, fondern immer noch göttlich-wiffend, unberührbar-heilig. Aber es hat Seele,
und die wundervolle Belebung der Gefichtsflächen, die außerordentliche Sicherheit der
organifchen Bildung in Kopf und Hals, die Überzeugungskraft der Formen ftimmen zu
dem Bilde, das wir uns nach diefem Lächeln von dem Meifter machen.
So ift fie nicht ganz ohne Widerfprüche, diefe Figur. Im Seelifchen, in der Be-
lebung der Form geht fie weit über die Akropolismädchen hinaus. Und in der
Differenzierung der Gliedmaßen unterwirft fie fich ftrenger den Gefet^en der vorher-
gehenden Meifter. Ehrfurcht vor der Überlieferung und freifchweifende Schöpferkraft
haben fich in ihr verbunden und ein Werk gefchaffen, wie wir es unter den koftbarften
Gütern griechifcher Kunft bisher nicht kannten.
Eine Abbiidung des Bildwerkes wird eines der nächften Hefte diefer Zeitfchnft enthalten.
Die Schriftieitung.

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