Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 8.1916
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https://doi.org/10.11588/diglit.26378#0250
DOI issue:
Nr. 11/12
DOI article:Freund, Frank E. Washburn: Die Sammlung Stransky, 1: ein Vorposten deutscher Kunst in Amerika
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DIE SAMMLUNG STRANSKY
Whiftlers Frauen- und Männer-
Porträtsfder „Mutter" und dem „Car-
lgle"). Das zeichnerifche Element
in ihnen ift nämlich von auffallen-
der Ähnlichkeit und beruht auf dem
ebenfo intereffanten wie [Emulieren-
den Gegenfaß der geraden, fcharf
zu rechten Winkeln [ich zufammen-
findenden, dadurch ein Feftes, Un-
veränderliches fuggerierendenLinien
zu den weichen, beweglichen,
fließendes Leben in [ich tragenden
Kurven des dargeftellten Körpers.
Uhde, für den zu jener Zeit die
Zeichnung eben noch von hoher
Bedeutung war, läßt diefen Gegen-
faß fogar noch zu einem eigent-
lichen Zufammenprall und zugleich
einer Verföhnung der zwei geg-
nerifchen Linienwelten werden, in-
dem er dem Mädchen das große,
geöffnete Bilderbuch in die Hand
gibt; es wirkt zwar wie ein Ein-
fall der Geraden in das feindliche
Bereich, hat jedoch durch den er-
weiterten Winkel von feiner Starr-
heit viel verloren. Sonft aber be-
achte man, wie Uhde in feiner
Darftellung dem Weichen, Rund-
lichen des Kinderbildes auch da-
durch Rechnung trägt, daß er das
Mädchen auf einen Stuhl mit ge-
fchweifter Lehne feßt und links am
Fenfter einen Vorhang weich fich
baufchen läßt. Malerifch beruht der
Abb. 23. HUGO VON HABERMANN, Schloß Unsieben. Rgjz Werkes vor allem auf
Uhdes eigenartiger Lichtführung,
die ihre Quelle hinter dem dargeftellten Gegenftand hat und diefen mit einer Fülle
reinften Lichtes überflutet. Und wie fchön find die vom Fußboden ausftrahlenden Licht-
reflexe — auch ein beliebtes Uhdefches Darftellungsmittel — und wie hell klingen die
Farben, die das Gefühl köftlicher Jugendiichkeit noch bedeutend verftärken!
Erwähnt feien noch Zügels feiner „Hirt und Herde", ein frühes Werk; eine
„Fernficht" von Toni Stadler; ein köftlicher „Eremit" von Oberländer, der fich fehr
wohl unter dem Spißweg behaupten kann, und ein im Gefamtwerke F. A. von Kaul-
bachs wohl faft einzig daftehender, an den beften Böcklin gemahnender, wenn auch
im Gefamlton viel kühlerer, in Aufbau wie Tongebung gleich fchöner und edler
„Italienifcher Garten" (Abb. 26). Das Bild läßt es wahrlich bedauern, daß Kaulbach
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Whiftlers Frauen- und Männer-
Porträtsfder „Mutter" und dem „Car-
lgle"). Das zeichnerifche Element
in ihnen ift nämlich von auffallen-
der Ähnlichkeit und beruht auf dem
ebenfo intereffanten wie [Emulieren-
den Gegenfaß der geraden, fcharf
zu rechten Winkeln [ich zufammen-
findenden, dadurch ein Feftes, Un-
veränderliches fuggerierendenLinien
zu den weichen, beweglichen,
fließendes Leben in [ich tragenden
Kurven des dargeftellten Körpers.
Uhde, für den zu jener Zeit die
Zeichnung eben noch von hoher
Bedeutung war, läßt diefen Gegen-
faß fogar noch zu einem eigent-
lichen Zufammenprall und zugleich
einer Verföhnung der zwei geg-
nerifchen Linienwelten werden, in-
dem er dem Mädchen das große,
geöffnete Bilderbuch in die Hand
gibt; es wirkt zwar wie ein Ein-
fall der Geraden in das feindliche
Bereich, hat jedoch durch den er-
weiterten Winkel von feiner Starr-
heit viel verloren. Sonft aber be-
achte man, wie Uhde in feiner
Darftellung dem Weichen, Rund-
lichen des Kinderbildes auch da-
durch Rechnung trägt, daß er das
Mädchen auf einen Stuhl mit ge-
fchweifter Lehne feßt und links am
Fenfter einen Vorhang weich fich
baufchen läßt. Malerifch beruht der
Abb. 23. HUGO VON HABERMANN, Schloß Unsieben. Rgjz Werkes vor allem auf
Uhdes eigenartiger Lichtführung,
die ihre Quelle hinter dem dargeftellten Gegenftand hat und diefen mit einer Fülle
reinften Lichtes überflutet. Und wie fchön find die vom Fußboden ausftrahlenden Licht-
reflexe — auch ein beliebtes Uhdefches Darftellungsmittel — und wie hell klingen die
Farben, die das Gefühl köftlicher Jugendiichkeit noch bedeutend verftärken!
Erwähnt feien noch Zügels feiner „Hirt und Herde", ein frühes Werk; eine
„Fernficht" von Toni Stadler; ein köftlicher „Eremit" von Oberländer, der fich fehr
wohl unter dem Spißweg behaupten kann, und ein im Gefamtwerke F. A. von Kaul-
bachs wohl faft einzig daftehender, an den beften Böcklin gemahnender, wenn auch
im Gefamlton viel kühlerer, in Aufbau wie Tongebung gleich fchöner und edler
„Italienifcher Garten" (Abb. 26). Das Bild läßt es wahrlich bedauern, daß Kaulbach
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