Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 8.1916
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https://doi.org/10.11588/diglit.26378#0415
DOI Heft:
Heft 19/20
DOI Artikel:Lübbecke, Friedrich: Die Sammlung Ullmann zu Frankfurt a. M., [1], Die mittelalterliche Plastik: Friedrich Lübbecke
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.26378#0415
D!E SAMMLUNG ULLMANN ZU FRANKFURT AM MAIN
Vor der befeelten Statue des Jacobus
wird man am meiften an Zeitblomfche Typen
erinnert. Die Verwandtschaft in der Biidung
des Gewandes und vor aiiem des Kopfes
im Profit etwa mit dem Kaifer, vor dem
der heilige Valentin die Abfchwörung feines
Glaubens verweigert (Kgl. Galerie zu Augsburg) \ ift nicht zu verkennen. Die gleiche
etwas moros über den breiten Mund herabhängende Nafe mit dem markanten
Höcker, diefelben in faltigen Säcken ruhenden Augen (diefe Partie ift bei dem Augs-
Abb. 22.
Zirbelholz
Gottvater. Tiroüfdi um 1480—90.
Höhe 98 cm
engeren Syrlitikreifes, der Madonna von
Bingen\ im Kopftypus zeigt fie mit den Figu-
ren des Lauterner Altars ^ nahe Verwandtfchaft.
Nur, daß fie in allem feiner und geiftiger ift
als beides. Sollte man fich entfchließen, das
Werk Jörg Syrlin d. J. zu geben, fo würde
die Kunft des Meifters um eine wefentliche
Note bereichert werden. Jedenfalls fteht es
ihm nach dem heutigen Stand der Forfchung
äußerlich am nächften, innerlich bleibt es vor-
läufig eines der vielen befeligenden Rätfel der
deutfehen Kunftgefchichte.
Syrlins d. J. handfefter Werkftattsart ent-
fprechen die leider abgelaugten Figuren eines
Sebaftians und einer heiligen Birgitta(?)'\ die
in der etwas dürren Falten- und Haarbehand-
lung und dem ftumpfen Stehen den Figuren
des Ochfenhaufener Altars (1496—99) jet$t in
der Pfarrkirche zu Bellamont *, nahe verwandt
find. Im Vergleich mit ihnen wird man die
einzigartige Durchbildung des vorher gewürdig-
ten Stückes befonders empfinden. Stehen die
beiden lebten zeitlich an der Wende des Jahr-
hunderts, fo wird jenes nicht nach 1485 ent-
ftanden fein, wofür auch die Strenge des
Körperlichen fpricht, in dem fich noch nirgends
die fpätere Tendenz der Ulmer Schule zu
malerifcher Breite verrät. Ihr huldigen bereits
die folgenden vier Werke, ein heiliger Jacobus
major, zwei weibliche Heilige — Katharina
und Barbara — in der Art des Daniel Mauch
und eine fchreitende Anna Selbdritt (Abb. 15
bis 18).
*- Abb. Baum, Die Ulmer Piaftik, Taf. 24 und 27.
- Abb. Die Württembergifchen Kunftdenkmäier. Oberamt Blaubeuren. Taf. 12.
" Die Kerze ift ergänzt.
' Abb. Baum, Die Ulmer Piaftik, Taf. 26.
3 Abb. Heidrich, Die altdeutfche Malerei. Jena 1909. Abb. 56.
Der Cicerone, VHI. Jahrg., Heft 19/20
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Vor der befeelten Statue des Jacobus
wird man am meiften an Zeitblomfche Typen
erinnert. Die Verwandtschaft in der Biidung
des Gewandes und vor aiiem des Kopfes
im Profit etwa mit dem Kaifer, vor dem
der heilige Valentin die Abfchwörung feines
Glaubens verweigert (Kgl. Galerie zu Augsburg) \ ift nicht zu verkennen. Die gleiche
etwas moros über den breiten Mund herabhängende Nafe mit dem markanten
Höcker, diefelben in faltigen Säcken ruhenden Augen (diefe Partie ift bei dem Augs-
Abb. 22.
Zirbelholz
Gottvater. Tiroüfdi um 1480—90.
Höhe 98 cm
engeren Syrlitikreifes, der Madonna von
Bingen\ im Kopftypus zeigt fie mit den Figu-
ren des Lauterner Altars ^ nahe Verwandtfchaft.
Nur, daß fie in allem feiner und geiftiger ift
als beides. Sollte man fich entfchließen, das
Werk Jörg Syrlin d. J. zu geben, fo würde
die Kunft des Meifters um eine wefentliche
Note bereichert werden. Jedenfalls fteht es
ihm nach dem heutigen Stand der Forfchung
äußerlich am nächften, innerlich bleibt es vor-
läufig eines der vielen befeligenden Rätfel der
deutfehen Kunftgefchichte.
Syrlins d. J. handfefter Werkftattsart ent-
fprechen die leider abgelaugten Figuren eines
Sebaftians und einer heiligen Birgitta(?)'\ die
in der etwas dürren Falten- und Haarbehand-
lung und dem ftumpfen Stehen den Figuren
des Ochfenhaufener Altars (1496—99) jet$t in
der Pfarrkirche zu Bellamont *, nahe verwandt
find. Im Vergleich mit ihnen wird man die
einzigartige Durchbildung des vorher gewürdig-
ten Stückes befonders empfinden. Stehen die
beiden lebten zeitlich an der Wende des Jahr-
hunderts, fo wird jenes nicht nach 1485 ent-
ftanden fein, wofür auch die Strenge des
Körperlichen fpricht, in dem fich noch nirgends
die fpätere Tendenz der Ulmer Schule zu
malerifcher Breite verrät. Ihr huldigen bereits
die folgenden vier Werke, ein heiliger Jacobus
major, zwei weibliche Heilige — Katharina
und Barbara — in der Art des Daniel Mauch
und eine fchreitende Anna Selbdritt (Abb. 15
bis 18).
*- Abb. Baum, Die Ulmer Piaftik, Taf. 24 und 27.
- Abb. Die Württembergifchen Kunftdenkmäier. Oberamt Blaubeuren. Taf. 12.
" Die Kerze ift ergänzt.
' Abb. Baum, Die Ulmer Piaftik, Taf. 26.
3 Abb. Heidrich, Die altdeutfche Malerei. Jena 1909. Abb. 56.
Der Cicerone, VHI. Jahrg., Heft 19/20
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