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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1917)
DOI Artikel:
Gurlitt, Cornelius: Deutsche und französische Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0030

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von Verdun an Karl den Kahlen fiel? Ist doch dieser Vertrag und sind
die sogenannten Straßburger Eide, die ältesten Denkmäler französischer
Sprache, vom selben Iahr 8H3, erst ein Iahrhundert nach Karl des Großen
anregender Tätigkeit im Schaffen deutschen Schrifttums und einer eigen«
artigen deutschen Baukunst entstanden. Und so fragt man sich: Ist Karls
Werk, das Münster in Aachen, deshalb deutsch, weil es bei Teilung seines
Staates nicht mit dem Westen vereint wurde? Und waren die Bach«
bildungen des Münsters in Wallonien belgisch, in Westfalen preußisch,
im Elsaß seit s87s deutsch, Vorher französisch? Oder vor Ludwig XIV.
wieder deutsch? Das Münster in Aachen wie die Kirche von S. Riquier
sind eben fränkisch, germanisch^, d. h. älter als das französische Volk.
Ia, wenn Mäle einen einzigen gallischen Kirchengrundriß nachweisen
könnte, in dem derselbe Baugedanke sich ausdrückte. Aber er kennt so
wenig einen wie ich und wie andere. Auf der einen Seite steht auf seit
mehr als einem Iahrtausend deutschen Boden der gewaltige Speyrer Dom
in seiner deutschen Eigenart, auf der andern die durch nichts erhärtete
Vermutung, daß vielleicht für ihn ein Urbild in Gallien bestanden
haben könne.

Und hätte es bestanden! War nicht der Kirchenbau der ganzen Welt
abhängig von dem des Orients und Italiens: Basilika wie Zentralbau!
Zogen nicht die großen Gedanken über die Völker dahin? War das
Christentum etwa gallisch, weil es im südlichen Frankreich früher Anhänger
fand als im östlichen Deutschland?

Es kommt mit dem endenden zwölften Iahrhundert eine Zeit der Aber«
legenheit Frankreichs, der reichen Gotik. Frankreich war ein Staat ger-
manischer Verfassung geworden und schuf aus diesem Zustande heraus seine
Kunst. Mäle zieht französische Schriftsteller an, die die Bedeutung der
deutschen Kunst verstanden — Schriftsteller aus der Zeit vor s870 — und er
bringt Stellen aus Dehio und v. Bezold, die der französischen Kunst das
Abergewicht zusprechen. Freilich verallgemeinert er die Aussprüche der
Deutschen dort, wo sie ihm in den Kram passen. Aber er verbirgt dabei,
daß kein Deutscher es unterließ, gerecht zwischen französischem und deut-
schem Verdienst abzuwägen, d. h. zwischen dem, was in jetzt fran-
zösischem und jetzt deutschem Gebiet geleistet wurde. Es gab also da
gar nichts für Mäle zu entdecken, namentlich keine deutschen Gelehrten
zu widerlegen. Er schrieb deutsche Itrteile aus, nicht aber, um deren
Objektivität, sondern um deren „Lingeständnis" hervorzuheben. Die Unter-
suchung endet mit dem ^6. Iahrhundert, in dem Italiener und Nieder-
länder, letztere ripuarische Franken, Germanen, die ganze französische
Kunst über den tzaufen rannten, vom s7. Iahrhundert, in dem Palladio
und Bernini die französische Architektur, Niederländer die Ornamentik und
Malerei beherrschten, der tzof Ludwigs XIV. von Ausländern wimmelte,
Lebrun das Schloß von Versailles mit verwässerten Nachahmungen nach
Pietro da Eortonas Ausschmückungen der Palazzo Pitti erfüllte, der
Wallone Watteau der französischen 'Malerei die Richtung wies, während
in Deutschland ein eigenartiges, kräftiges Barock blühte, das deshalb
nicht minder wertvoll ist, weil es die Franzosen bis heute noch nicht zu
würdigen verstehen, die Franzosen, die mit dem endenden s8. Iahrhundert
wieder in platte Rachahmung von Alt-Rom verfielen — um mit Rolland
zu sprechen —, eine Kunstrevolution machten, „bei der es erst eines Meisters
aus anderer Rasse" — hier des Deutschen Schinkel — bedurfte, damit
 
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