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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1917)
DOI Artikel:
Schairer, Erich: Deutsche Gemeinwirtschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0039

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uneingedenk der alten Lehre, daß sie nun erst, mit falschem Prunk be«
hängt, zu schäbigem Schund entarteten. Ersatzmittel, Lrzeugnisse des
Spargeistes, waren von der Sucht befallen, als echt zu gelten, statt sich
als Zeugen einer wissenschaftlichen Technik, die die Not erfinderisch ge-
macht hatte, stolz zu bescheiden. Die guten und echten Dinge wiederum
versteckten sich aus falscher Bescheidenheit unter Zeichen fremder Her-
kunft, als wären sie dann ansehnlicher und besser verkäuflich; mancher
deutsche Händler war geradezu geknickt, als die Gesetzgebung in England
das Versteckspiel verhinderte. Das emsige Bemühen um Warenabsatz,
an sich schon der menschlichen Würde nicht gerade zuträglich, kleidete sich
in eine Art von Höflichkeit, die einer zudringlichen Anmaßung zum Ver-
wechseln ähnlich sah.

Inneres Chaos

^-icht mehr, vielleicht sogar weniger als die Organe anderer privater
-^^Wirtschaften, fühlten die Deutschen sich als Glieder eines Organis-
mus. Städt kämpft gegen Land, Verbraucher gegen Erzeuger, Fabrikant
gegen Händler, Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer, Wettbewerber gegen
Wettbewerber, der Private gegen den Fiskus, und umgekehrt, jeder gegen
jeden. Wieviele Arbeit wurde abseits von den günstigsten Vorbedingungen
dort verrichtet, wohin Kundenfang oder Geschäftsbeziehung den Auftrag
zufällig spülte! Wieviele Stunden des deutschen Tages verstrichen er-
tragslos im Äberwinden deutscher Widerstände! Wie schändlich verwahr-
losten so seltene Schätze wie das deutsche Kali nur um der lieben kleinen
Geschäfte willen, die den Gesamterlös zernagten! . . .

Es gab keinen geschäftlichen Gemeinsinn, und wer ihn predigte, wurde
belächelt. '

Geschäftsdeutsch und Geschästsmoral

«vras sprach unsre Wirtschaft für eine Sprache! Ein Kauderwelsch von
^^stillosen Verschwommenheiten und Verbindlichkeiten; langatmig schiefe
Sätze und milde doppelzüngige Worte (wobei man bemerken konnte, daß
die Fremdwörterei der einstigen Preußenkönige viel deutscher klang als
die Deutschtümelei des heutigen Geschäftsbriefes). Als Gott eines Tages
verlangte: „Eure Rede sei ein Ia für Ia und Nein für Nein; was
darüber ist, das ist vom Abel", da antwortete der Mensch des zwanzigsten
Iahrhunderts: „Wer sagt denn heutzutage noch das alte Ia und Nein?
Was dazwischen liegt, Iain, das ist mein Geschäft." Rnd der Teufel
grinste: „Sie haben mich übertrumpft. Ich lüge strafbar, Nein für Ia
und Ia für Neia. Diese aber sind mit ihren Kniffen stubenrein." Es
war in keinem Gesetz verboten, und es galt durchaus nicht als unanständig,
im sogenannten freien Austrag eines Geschäftes die Grenzen der Wahr-
haftigkeit zu überspringen. Klugheit, Schlauheit, Gerissenheit thronten
als die obersten Tugenden über der Wirtschaft.

Das freie Spiel der Kräfte

g^er gemeinsame Götze war das freie Spiel der Kräfte. Es wurde an-
^gebetet als der Bürge von Gelegenheiten, Geld zu verdienen. Der
Erwerbtrieb galt als stärkster Ansporn und der Besitz als höchstes Gut,
und zwar so selbstverständlich, daß man kaum verstand, wie noch immer
in den Schulen, Kirchen, Büchern behauptet werden konnte, es hätte nie-
mals in der Welt der Erwerbtrieb Großes vollbracht und der Besitz Glück-
seligkeit verbreitet. Das freie Spiel der Kräfte schien doch so unbestreitbar

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