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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

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Heft 20 (2. Juliheft 1917)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0093

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unter Schmähungen und Verdäch--
tigungen gegen unsre Sozialisten
ab. Schließlich schien es ihnen doch
gewagt, unvertreten zu bleiben. Aber
dieses Nachgeben geriet die ganze
Welt mitsamt unsern eigenen Sozia«
listen in Rührung. Das hat denn
der französischen Regierung den
Mut gegeben, das Stück zu wie«
derholen, indem sie vorläufig die
Pässe verweigert. Von Anerken»
nung der deutschen tzaltung habe
ich nichts gefunden, wohl aber so
etwas wie Reinigungseide vom Ver«
dacht der Anerkennung.

Vor den Augen der ganzen Welt
verhandelt jetzt England darüber,
wie es die russischen Friedensbe-
dingungen am geschicktesten so aus«
legen könne, daß alle Ententeanne-
xionen als Nicht«Annexionen son-
dern Restitutionen, und alle Entschä»
digungen als Mcht-Entschädigun-
gen sondern „Ersatz" hineingehen.
Ia, daß alle Bestandteile des öster«
reichischen und des türkischen Misch-
staats als unterworfene Völker be-
freit werden müßten, aber Irland,
Gibraltar, Malta, Korsika, Nizza
und alle die in blutigen Kriegen
erst kürzlich annektierten Kolonien
der Ententestaaten als bereits be-
freite Völker zu beglückwünschen
seien, während das deutsche Elsaß
seiner Befreiung sehnsüchtig harre.
And Politiker in der Schweiz spre«
chen derweil wie die Basler „Na-
tionalzeitung^ vom „mangelnden
Mut der deutschen Machthaber" ge«
gen die deutschen Annexionisten oder
sordern mit Fr. W. Förster, daß
ausgerechnet die deutsche tzetzklique
„stärker und lauter desavouiert" wer»
den müsse, als bisher geschehen sei.
Sie wird sehr genügend bei uns
desavouiert und ist stets und auch
von der Regierung desavouiert wor»
den, während in den Ententevöl-
kern die Regierungen selbst krieg-
hetzend und Eroberung fordernd auf-
treten.

Man nehme eine kleine Weile
an, deutsche Parteien, geschweige
deutsche Minister erklärten die deut-
schen Teile von Osterreich oder der
Schweiz für unter Fremdjoch, von
dem man sie erlösen müsse! Wohl:
wenn Italien, Rumänien, Serbien
das tun, so dünkt es alle rechl
und billig, scheint's. Was ist der
Unterschied? Dies: daß wir Misch«
staaten, wie Osterreich und die
Schweiz, für höchst glückliche Ver-
suche zu künftiger Völkereinigung
ansehen und sie deshalb im eignen
Interesse lieber stärken als schwächen.
Aber die tzerren finden an dieser
Auffassung der eignen Interessen
nichts anzuerkennen, an der Itali-
ens, Rumäniens, Serbiens nichts
auszusetzen.

Die Welt war verteilt, als
Deutschland sich von den verhee-
renden Kriegen, welche unsre Nach--
barn auf unsrem Boden durch Iahr-
hunderte führten, soweit erholt hatte,
daß es zwei bescheidene Stücke der
großen Verluste wieder einbringen
und sich nach Platz für seinen
Volksüberschuß umsehen konnte. Es
gelang ihm nicht, welchen zu fin-
den. Er wurde ihm systematisch ver-
wehrt. Es geriet schließlich auf den
einzigen friedlichen Ausweg, der
noch übrig war, und der den Vor-
zug HLtte, im Fall seiner Aner-
kennung nicht nur Deutschland, son-
dern auch allen andern wachsenden,
aber in feste Grenzen gebannten
Völkern den Gewaltweg zu erspa-
ren: die Politik der offnen Tür. Es
wird auf die Besitztitel verzichtet,
und der Volksüberschuß arbeitet in
fremdem Land. Es gehörte viel zu
dieser Entsagung; denn wir verzich-
teten nicht nur auf die Steuern
der Arbeit unsrer Volksgenossen,
sondern auch auf die Unterbrin-
gung unsrer Intelligenz in der Ver-
waltung und Erziehung der minder-
jährigen Völker. Damit war ein
allgemeines Friedensprogramm auf-

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