Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1917)
DOI Artikel:
Rauh, Sigismund: Sentimentalität, Romantik und deutsche Zukunft
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0148

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Gefühl ist das Weibliche im Menschen. Groß im Opfer und heilig als
der Mutterleib alles Werdens. Aber wehe, wenn es sich sträubt, über--
zugehen, unterzugehen, sich zu opfern, zu gebären. Wehe, wenn dies
Weib im Menschen sich als Selbstzweck setzt, als Genügsamkeit, als Ziel,
wehe, wenn es hysterisch wird. Gebären ist immer Schmerz. So ist es
auch ein Schmerz, aus dem sanften Fluß des Gefühls in den heftigen
Entschluß des Wollens und die Derbheit der Tat zu steigen; so ist es
auch ein Schmerz, aus den poetischen Schleiern des Fühlens in die
grelle Nüchternheit der Erkenntnis emporzutauchen. Es ist so wohlig, sich
in den weichen Flaum seines Gefühls zu kuscheln und vor sich hinzu--
träumen. Und so wird, was Tat werden sollte, Genuß, was Zuknnft
werden sollte, Gegenwart — nur Gefühl.

tzier haben wir das Wesen des Sentimentalen, des Gefühligen. Der
Antrieb des Gefühls wird nicht zum Emporsteigen genützt, sondern in
stetigem Selbstaufpeitschen verzehrt; so richtet solch verkrüppelter und
entarteter Willensvorgang das Denken auch nicht auf die Außenwelt, sie
zu b e greifen, um zu ergreifen, er richtet es nach innen, es wird zur
Selbstbespiegelung. Zusammengerollt liegt das Gefühl in den SLrahlen
des Lichts und „sonnt sich". Es kommt sich viel stärker und schöner, viel
besser und lieblicher vor als die Tatgefühle der andern, die sich selbst
alsbald aufbrauchen, um Mütter zu werden, um Taten zu gebären. Iene
haben keine Zeit, an sich selbst Wohlgefallen zu finden, sie sind Aber--
gang und Rntergang. Aber dieses unfruchtbare Gefühl hat Ieit, viel
Zeit; es wird fett und glänzend, es prankt und protzt einher. Schamhaft
verbergen gebärende Gefühle die heilige Dürftigkeit ihres Leibes vor
zudringlichen Blicken; sie schicken ihre Kinder, die Taten, in die Welt
hinaus, daß sie von ihnen zeugen. Und wenn sie undankbar es nicht
tun — ach, wie viele Kinder sind voll Andank! —, so ist ihnen der Kinder
Dasein Zeugnis genug. Aber die wohlgenährten Gefühle, die Nur-Ge-
fühle, die lassen es nicht einmal dabei bewenden, sich selbst zu bespiegeln,
sie wollen auch von anderen beachtet und gelobt sein. Denn was sich
Achtung erzwingt, die Tat, ist ihnen versagt; so gehen sie, um Schmei-
cheleien zu betteln.

Wer kennte sie nicht, die Gefühligen, die Zur-Schau«Steller ihres
„guten tzerzens", die „untröstlichen" tzinterbliebenen, die „guten" Eltern
und die von Dank triefenden Kinder? Wären sie nur echte tzeuchler!
So würde doch hinter ihrer Lüge eine entgegengesetzte Wahrheit lauern,
eine Tat überhaupt. Aber sie sind verlogene Lügner; sie spielen sich selbst
wie den anderen Theater vor, und im Theaterspielen erschöpft sich ihre
Lebensbetätigung. Nnnütze! Nnfruchtbare!

Das ist der Nnwert der Gefühligkeit. Sie vernichtet Taten. Darum
verdient sie den Tod. Ihr Tod aber ist der Spott. Echtem Gefühl schadet
der Spott nichts; er mag wohl ärgern, aber auch der Arger wird diesem
ein Stachel und Ansporn zur Tat, zum Selbsterweis der Tat. Aber alles,
was sich aufpeitscht und an großen Worten berauscht, alle träge Gefühlig-
keit, die aus der Schwelgerei in sich selbst nicht heraus will, verdient „be-
geifert^ zu werden, ganz gleich, welch edlen Namen ihre Gefühle führen.
„Edel" ist nur ein Tatgefühl.

Gefühle anregen ist notwendig, Gefühle anregen ist einziges Mittel
aller Erziehungskunst an Kleinen wie an Großen. Aber man muß Vor-
sicht üben. Gewöhnt sich ein Gefühl daran, nur immer gehätschelt und
 
Annotationen