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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

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Heft 23 (1. Septemberheft 1917)
DOI Artikel:
Oehlerking, H.: Vom Harmonium, 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0221

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nium in ernstgesinnten Kreisen von Musikliebhabern, Musikern und Fach-
leuten Beachtung, Verehrung und neue Freunde zu gewinnen und zu
erhalten, so lag das, nach meinen langjährigen, aufmerksamen Beobach-
tungen in einer rheinischen, sehr musikfreudigen Großstadt, wo seit langer
Zeit auffallend viel Harmonium in den Hausern und Familien gespielt
wird, wesentlich mit an der Minderwertigkeit, der Unvollkommenheit der
benutzten Instrumente. Da hat nun während der letzten zwei Iahrzehnte
deutscher Fleiß, Scharssinn und gründliche Technik Verbesserungen ge-
troffen, die in ungeahnter Weise Wandel schufen. Man kann heute schon
für 500 bis 650 Mark ein in sich vollkommenes tzarmonium erstehen (also
billiger als ein Pianino oder ein Flügel, die jetzt kaum unter (200 bis
1800 Mark zu erwerben sind!), das allen Anforderungen einer ersprieß-
lichen häuslichen Musikpflege entspricht. Einige Bemerkungen über den
Kunstfleiß, die Erfindungen und Erfolge auf dem Gebiete deutschen Harmo«
niumbaues mögen nun dartun, daß Deutschland die Führung in der ge-
samten Harmoniumindustrie hat.

Die Firma Mannborg baut ein Instrument, das „Orchestral^, eine Ver«-
bindung des amerikanischen Saugluftsystems mit der deutschen „Expres-
sion". Wunderbar schön klingende Stimmen weist das Kunstharmonium
mit Doppelexpression auf: die geheimnisvoll tönende Aolsharfe; die sanfte,
dunkel gefärbte Musette; den der menschlichen Stimme ähnlichen Bari-
ton; ein Ialousiewerk zur Klangveränderung der Stimmen; Forte ex-
pressiv, hebt durch den Spielwind die Schallklappen und vermehrt dadurch
die Steigerungsfähigkeit; Prolongement, bewirkt selbsttätiges Liegenblei-
ben und gegenseitiges Auslösen gewisser Tasten; Perkussion, ein Hammer-
werk, das klavierartig die Zungen zum Klingen bringt und man dadurch
Triller, Läufe und dergleichen sauber, schnell und klangrein wiedergeben
kann; Fortes fixes, zwei Kniedrücker zur Aufhellung von Ton und Klang.
Das bisher vollkommenste deutsche Erzeugnis ist das 6spielige Kunst-
harmonium nach dem Drnckluftsystem, mit 2-, ^-, 8- und (6füßigen Stim-
men, wobei die 8-, (6- und 32füßigen Register zur tzervorhebung der
Melodie, die sanfte, zarte, 2füßige Aolsharfe zur feinsinnigsten Beglei-
Lung bestimmt sind.

Im Iahre (y(0 überraschte die Leipziger Firma Popper L Co. mit
einer ungeahnten Aeuheit: einem Harmonium mit Doppelexpression, dem
Künstlerrollen wie bei der Phonola und dergleichen eingelegt werden
können zur automatischen Verwendung. Diese Aotenrollen des auf den
sehr bezeichnenden Bamen „Mystikon" getauften Instrumentes halten das
Spiel eines tzarmoniumkünstlers wie O. Bie, S.. Karg Elert, K. Kämpf
charakteristisch fest und geben es jederzeit getreulich wieder. Das fast
Anglaubliche hat das (905 erfundene „Tellharmonium" geleistet, nämlich
die auf diesem Instrument gespielte Musik in die Ferne zu übertragen.

Genial ist auch eine Erfindung, die von der Firma Karin L Fritsche
in den Handel gebracht wurde; sie ließ sich den „Double-expression-Apparat^
patentieren, eine Doppelexpression, die sich in jedes Instrument einbauen
läßt. Den Klangcharakter verbesserte Fritsche durch neue Windladen, die
nach besonderen, akustischen Gesichtspunkten hergestellt werden. Zugleich
führte er den doppelten Tastenfall ein. Durch sanften Tastendruck ge-
langen die hinteren Register, durch stärkeren Anschlag die übrigen Stim-
men zum Erklingen. Derselbe gedankentiefe Kopf erfand das automatische
Prolongement, das auf die nicht völlig niedergedrückten Tasten der Oktave

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