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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1917)
DOI Artikel:
Hoffmann, Paul Theodor: Theodor Storm: zu seinem hundertsten Geburtstage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0267

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liebe, längst vergangene Gesichter dich grüßen und dir eine jener seltenen
vollbringenden Stunden bereiten, die zu dir mit einem Dichterworte sagt:
„Komm und sei der einzige Gast meinem einsamen Fest." Solch innere
lösende Ruhe mag dich befallen, wenn du in das Reich Theodor Storm
wanderst. Vielleicht bist du seine Wege schon oft gegangen. Aber wann
wärest du ihrer müde geworden? Müde wohl Höchstens im Sinne jener
wohligen beseligenden Müdigkeit, welche die Seele überkommt, die sich
vollgesogen hat vom Sonntag, der in diesen Dichtungen liegt, und die nun
Verlangen trägt, den in ihr eingeströmten Segen in Kraft zu wandeln für
den fröhlichen Kampf des kommenden Morgen.

Iene Welt der Ruhe, das ist die eine Sphäre der Stormschen
Werke. In ihr ist es, als sei aller wilde Schmerz abgewellt, als lege die
Vergangenheit einen bräunlich goldenen Ton über Menschenfreude und
Leid. Da steigt der Duft alter Zeiten auf, aus dem festgefügten Patrizier«
haus mit den Schätzen von Urgroßmutters Iugend her, mit all dem
sicheren Glück einer guten, von den Gnkeln treu bewahrten Kultur. Der
Wind weht vom Meere und mischt sich mit dem tzeideruch. And eine
Welt grenzenloser Weite tut dir Storm dabei auf. Er läßt dich in die
breiten Einsamkeiten der tzallig schauen, er läßt dich wandern über die
flache, mit Heidekraut und spärlichem Gesträuch geschmückte Flur und läßt
dich achten auf das Herzklopfen der Natur, auf den seltsamen Hall deiner
Schritte. Rnd dann wieder ist es eine Welt der Güte, Zartheit
und Vornehmheit, welche den Menschen dieses Reiches einen be«
stimmten tzauch verleihen: Das Sinnig-Träumerische der heranwachsenden
Iungfrauen, die leichte Melancholie gutartiger Iünglinge, die warme
Mütterlichkeit reifer Frauen und die herzliche Sorglichkeit treuer Dienst--
boten, die Resignation sonderlicher Naturen, alter Iunggesellen und
stiller Musikanten. Das äußere Leben ist oft „unbedeutend^. Storm
nimmt seine Gestalten nicht aus den Bezirken der Könige und derer, welche
die Welt steuern. Lr nimmt sie aus der guten Bürgerlichkeit, in die
Adel und Künstlertum hineinragen. Aber der tzauptinhalt seiner Dichtungen
ist tzauspoesie im besten Sinne des Wortes. Das innere Leben seiner
Menschen breitet er reich und bunt aus: vom einfachsten stillen Dasein bis
zur herbsten Tragik. Wie „alltäglich" sind etwa die Begebenheiten der
Geschichte „Rnter dem Tannenbaum", und doch, wie hat Storm hier die
ganze Süße des Christfestes mit seinen holden Äberraschungen für Kind
und Eltern dargestellt! Rnd dann wieder das tief erschütternde tzerze«
leid, wie raubt es uns den Atem in der Erzählung „Aquis submersus"!
Aber auch das Seltsame, das Besondere, Bedenkliche und Nachdenkliche
webt in manchen Lrzählungen wie im „Waldwinkel", wo die Liebe des
alternden Iunggesellen zur schönen, nur zu jungen Franzi der Kata-
strophe entgegenführt. Neben fester erdengesättigter Wirklichkeit finden
wir die blühende Phantastik des Märchens, die sich liebenswert heiter
breitet nach Kellers Art, so in der „Regentrude", aber sich auch in nächt-
lich-grausigen Zauberspuk und barocke Verschnörkelungen auswachsen kann,
an L. T. A. Hoffmanns Kunst gemahnend, so in „Bulemanns tzaus^.
Dann wieder bricht frohes Lachen und frischer tzumor herein, bald in
derberer Seidelscher Weise, wie bei dem als Apfeldieb ertappten Iungen,
bald in feinerer, Mörike sich nahender Manier, wie in der Maikätzchen-
geschichte.

Aber am liebsten weilt Storm doch in seinem tzeimatgau, den auszu-
 
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