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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Servaes, Franz: Lebendige Kunst und tote Sammlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0034

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Lebendige Kunst und tote Sammlungen.

aber ausgewählte Kunstwerke haben soll und
vor allem solche, zu denen man in ein reelles
Freundschaftsverhältnis gekommen ist oder
doch mit einiger Sicherheit gelangen kann. Es
hieße indes Vogelstrauß-Politik treiben, wenn
man sich verhehlen wollte, daß der Zug der Zeit
in der Regel nach entgegengesetzter Richtung
geht. Nicht zu intimen Freunden will man
Kunstwerke haben, sondern zu galonnierten La-
kaien, die man spaliermäßig auf den Stufen
einer Prunktreppe aufstellt, damit sie verblüffen
und repräsentieren. Ich übertreibe, aber umso
besser wird man mich verstehen. Und vielleicht
braucht man nicht bloß an gewisse Amerikaner
zu denken um herauszufinden, daß unsere Zu-
stände manchmal so sind. Es ist heute bis zu
einem gewissen Grade guter Ton und jedenfalls
äußerst feudal, schwer-teuere Kunstwerke anzu-
kaufen und prunkhaft an die Wände zu hängen,
als glänzende Etiketten und Zeugen des Bil-
dungs-Reichtums. DasTief-Bedauerte ist gewiß
manchmal, daß man den Ankaufspreis nicht
darunterhängen kann. Aber bei einer guten

Zigarre, nach dem Diner, kann man ihn dem
neiderfüllten „Interessanten" ja gönnerhaft ins
Ohr tuscheln. Schade, daß ausgestopfte Bestien
noch nicht denselben Marktwert haben wie die
Kunstschöpfungen gutlancierter Maler älterer
und neuerer Zeit. Sie wären in solchen Häusern
jedenfalls weit besser am Platz als irgend ein
Rubens oder Rembrandt, Manet oder Leibi.
Ausgestopfte Bestien sind tot und dürfen tot
bleiben. Kunstwerke aber sollen lebendig sein
und Leben spenden. Sie sind in Häusern, wo
sie lieblos zusammengeschachert und seelenlos
zur Schau gehängt wurden, leider so tot wie
eine krepierte Klapperschlange oder wie die
verwitterte Mumie eines hindostanischen Groß-
fürsten. Sie können vielleicht durch den Blick
eines vereinzelten verstehenden Besuchers
blitzartig zum Leben erweckt werden, aber es
ist tausend gegen eins zu wetten, daß der Gast
gar bald sich mit Grauen wenden wird, und
daß dann die trauernden Königskinder an den
marmorstarrenden Wänden wieder in ihren
bleiernen Totenschlaf zurücksinken werden.

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