Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

DOI Artikel:
Behne, Adolf: Ungerechte Selbstvorwürfe
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0071

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ungerechte Selbstvorwürfe.

PROFESSOR EMANUEL V. SE1ÜL—MÜNCHEN. GUTSHOF MERBERICH. »VORPLATZ UND TREPPENHAUS«

scheinung des Archaismus, d. h. der bewußten
und absichtlichen Nachahmung früherer Kunst-
formen. In unseren Tagen Archai'sten zu fin-
den, brauchte vielleicht den Kritiker unserer
Kultur nicht wunderzunehmen, aber Archaisten
kennen wir aus den blühendsten Zeiten der
antiken Skulptur, ja der Begriff stammt aus
der Antike, die doch stets als Muster einer
naiven und unverbildeten Kunst gefeiert wird.
Das Forum Romanum wurde in der Kaiserzeit
mit allen Mitteln in seinem alten ursprüng-
lichen Stil erhalten, dem sich benachbarte Neu-
bauten anzupassen hatten. Der schiefe Turm
zu Pisa wurde um 1350 vollendet, d. h. in der
Blütezeit der Gotik. Er wurde aber roma-
nisch , unter genauer Anpassung an die alten
Teile zu Ende geführt, die fast 200 Jahre früher
gebaut waren. Ähnliches zeigt die Apsis des
Luccheser Domes, der 1322 mit romanischen
Rundbogen dekoriert wurde. In alten Akten
findet sich gelegentlich bei Nennung von er-
neuerten Stücken die ausdrückliche Bemerkung
tiCome i primi", und daß man in der Tat in
diesem Sinne gehandelt hat, läßt sich hier und
da an Stellen erkennen, bei denen Erneue-

rungen fraglos stattgefunden haben, der alte
Stil aber dennoch unversehrt geblieben ist.
— Mit einer gewissen Emphase, die überall
Rücksichtslosigkeit für ein Zeichen von Ge-
sundheit, ja recht eigentlich für die Schönheit
und Gesundheit selbst zu halten geneigt war,
pflegte man zu betonen, daß alle künstlerisch-
schöpferischen Zeiten egoistisch und rücksichts-
los gegen das Frühere gewesen seien, was sich
u. a. darin geäußert habe, daß sie nicht restau-
riert hätten.

Auch diese Behauptung ist falsch.

Das bereits erwähnte Festhalten am roma-
nischen Rundbogen bei der Fertigstellung des
Pisaner Campanile geschah doch aus keinem
anderen Grund, als um das ehrwürdige Ge-
samtbild des Domplatzes möglichst zu erhalten,
es war letzten Endes ein Akt der Denkmal-
pflege. Rücksichtnahme auf das Werk der Väter
stand höher, als der Drang, unter allen Um-
ständen neu zu schaffen. Wir können in weit
frühere Zeiten zurückgehen. Im Jahre 411 er-
läßt Theodosius II. ein Gesetz zur Erhaltung
dessen, was die Vorfahren gebaut hatten.
Theoderich der Große, dem man nicht gut ein

55
 
Annotationen