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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Joseph, Mely: Eine "Deutsche Mode"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0116

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Ein Grundzug der aus Paris kommenden Mode ist ihre Kurzlebigkeit. Es kommt
vor, daß nach einem Vierteljahr eine Mode ins Entgegengesetjte umschlägt. Wirklich
gutes Material können sich deshalb nur die Vermögendsten leisten. Sagen wir uns
von diesem Prinzip los! Verwerten wir nur gute Ware! Verlangen wir, daß ein
Kleidungsstück auch längere Zeit getragen werden kann, ohne defekt und unleidlich zu
werden. Es entspricht dies unserer Volksseele besser: sie ist ja fürs Echte und Stete!

Soll aber ein Kleid längere Zeit getragen werden können, so muß es, gleich
unseren heutigen Möbeln schlicht und einfach sein. Dieses Begrenztsein hat seine
Vorzüge: Bedingtheit bringt stets schneller einen Stil zustande.

Der Ausfall der Industrie, der aus dieser Maßnahme resultieren könnte, wäre
anderwärtig zu decken: Eine deutsche Frau, ein deutsches Mädchen geht gar manchen
Beschäftigungen nach. Sie betätigt sich in der Wirtschaft; sie treibt Sport; sie
besucht Vorträge, geht Besorgungen machen und empfängt Besuche. — Die Witte-
rung unterliegt bei uns größeren Schwankungen. — Wir reisen viel. — Manchmal
leben wir in der Stadt — dazwischen auf dem Lande. - Wir müßten Bekleidungen
haben — und zwar durchaus stets die geeigneten Kleidungen — für alle diese Fälle!
Und der Industrie bietet sich ein weites Feld. Ein sogen, „gutes" Kleid aufzu-
tragen, verstößt gegen den guten Geschmack; Tanzschuhe sind keine Hausschuhe und
ein Federhut putjt keineswegs eine Sportbluse heraus. Ein derartiges Unwesen ist
bei uns leider recht verbreitet. Aber es wird erst dann anders werden, wenn das
Hasten und Drängen aus der Mode verschwunden sein wird! Dann nämlich
wird auch die nicht sosehr Vermögende im Stande sein, sich die passende Kleidung
anzuschaffen. —

Ohne ins Kunstgewerbliche zu verfallen, mag die deutsche Mode vom Kunst-
gewerbe ihren Ausgang nehmen. Ich denke dabei nicht an die wenig glücklichen
Eigenkleider, wie sie eine Zeitlang als „künstlerisch" getragen wurden. Ich denke aber
z. B. an Jackenkleider. Ich denke daran, daß all die unnütjen Fältchen und Kräuschen
wegfallen könnten, die nichts bedeuten — all die Knöpfe, die ohne zum Knöpfen zu
sein, angenäht werden. Ich denke daran, daß ein Blusenrock auch ein Blusenrock
sein sollte und kein verstümmelter Torso im Augenblick, wo man die Jacke auszieht.
Vielleicht wird ein solcher Rock vorn mit Knöpfen geschlossen werden, weil ja Bluse
und Jacke auch vorn zugehen und dadurch eine gewisse Einheit zustande kommt.
Vielleicht wird man auch wieder Gürtel dazu tragen, weil - - ja, weil ja eigentlich
kein rechter Grund dagegen spricht. Vielleicht wird man auch hohe Stiefel dazu
tragen, sintemal ja ein Jackenkostüm - zumal, wenn es aus dickem Stoff ist, ein
Kleidungsstück zum Strapazieren vorstellt. Vielleicht werden auch die Röcke unten
etwas weiter werden, weil ja die großen deutschen Damen gar keine so unendlich
kleinen Füßchen haben, und ein großer Fuß zu einem engen Rock gar nicht so wunder-
schön aussieht.

Ein wenig, ein klein wenig möchte ich an die englische Kleidung mahnen!
Ich befürworte ja nicht etwa ein einfaches Nachahmen. Die deutschen Architekten
haben sich auch die englischen Landhäuser genau angesehen, ehe sie uns zu einem
neuen Baustil für deutsche Villen und Landhäuser verhalfen. Ein Kapitel übrigens,
das in England z. B. sehr schlecht und stiefmütterlich behandelt wird, ist das des
Gesellschaftskleides. Gesellschaftskleider werden bei uns ja momentan wenig nötig
sein in dieser ernsten Zeit. Wenn man sie aber wieder gebrauchen wird, so müssen
sie sich gründlich verwandelt haben!
 
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