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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Raphael, Max: Der Tastsinn in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0179

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Der Tastsinn in der Kunst.

KUNSTGEWERBESCHULE MAGDEBURG.

»DEKORATIVE FÜLLUNG« FACHKLASSE FIEBIGER.

Für mich hat jeder Sinn seine eigene, und so-
weit er überhaupt fähig ist, einen Gegenstand
genügend zu bestimmen, eine vollwertige Be-
deutung. Aber diese geht nicht über seinen
eigenen Kreis hinaus. Der Leitsatz, dessen
Präzise Formulierung ich Schiller entnehme:
HWirkungskreis der Poesie ist das Total der
menschlichen Natur", muß dahin gewahrt wer-
den, daß keine Fähigkeit ausgeschlossen oder
auch nur eingeengt wird, aber auch dahin, daß
sie in ihrem Rahmen bleibt. Das Getast hat
dieselben Werte wie Ohr und Auge, aber es
kann ebensowenig wie diese allein, ohne Bei-
hilfe aller anderen menschlichen Fähigkeiten
Kunst schaffen. Darum bleibt der Kunstwissen-

schaft aus doppelten Gründen die wichtige
Aufgabe gestellt, wie jene Distanz des Werkes
zur Wirklichkeit zustande kommt. Ihre Lösung
resultiert nicht aus einer so einfachen Annahme,
sondern aus der schöpferischen Bewegung und
dem Umfang des Bewußtseins überhaupt. Da-
rum kann hier nicht der Ort sein, ein solches
Problem andeutend zu behandeln. Hier genügt
die Behauptung, daß die Ausschaltung des Tast-
sinnes aus dem schöpferischen Akt den Schein
des Kunstwerkes nicht nur nicht garantieren,
sondern geradezu unmöglich machen würde,
weil seine erkenntnistheoretische Bedingung
die Totalität und Harmonie aller menschlichen
Kräfte im Schöpfungsakte ist.

MAX RAPHAEL.

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