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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Georgi, Walter: Krieg, Kultur und Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0216

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Krieg, Kultur und Kunst.

neue Entwicklungsmöglichkeiten auftauchen
oder alte aus eignerMacht sich wieder aufraffen.
Wer aber auf schwachen Füßen steht, den wirft
ein solcher Stoß rücksichtslos zu Boden. Wie
eine alttestamentarische Abrechnung bricht das
Gericht über die Schwachen herein. Der Sturm
zerstreut die Spreu in alle Winde, nur das
schwerwiegende Korn bleibt zurück.

Entwicklungen, die vorher sich und anderen
Werte vorzutäuschen wußten, die nicht im
innersten Empfinden einer Zeit wurzelten, fallen
in einem solchen Sturm zusammen wie Karten-
häuser. Wir haben es in diesen Tagen erlebt,
in einer Ungeheuerlichkeit, wie man es zuvor
nicht zu ahnen wagte. Manche Welt ging in
Trümmer, in der wir seither gelebt, gekämpft
und gelitten hatten. Ihre Steine zerbröckelten
wie billiger Mörtel. Wie manchem fehlte die
strenge Kritik gegen sich selbst und gegen die
Gesamtheit. Neben Ehrlichem machte sich nicht
selten ein großsprecherischer Snobismus breit,
der selbst bis zu den Wurzeln der Kunst hinab-
stieg und an Stelle kraftvoller Entfallung ein
kümmerliches Wachstum hervorbrachte. Seien
wir offen! Wie wenige Kunst- und Lebens-
formen, die man uns in den letzten Jahren mit
anmaßenden Gebärden schenkte, sind den Weg
einer gesunden natürlichen Entwicklung ge-
gangen. Neuen Sensationen opferten viele
widerstandslos ihr ernstes Schaffen. Ich will
nicht mit einzelnen Hinweisen brandmarken,
aber ich bin sicher, es gibt nur wenige, die nicht
das gleiche Gefühl mit mir teilen. Es liegt eine
Zeit hinter uns, die Entwicklungen forciert
hat, geistige Hetzjagden auf absurden Gefilden
veranstalten zu müssen glaubte, um mit ihrer
Beute Kunst und Kultur zu bereichern. Wo
blieben oft die stillen Pfade, die von dem Un-
bewußten zum Bewußten führten? Indem man
stets das Gegenteil versicherte, setzte man das
Bewußte und den Willen an den Anfang, ver-
suchte jedes Machwerk mit demZeichen
höchster Inspiration zu krönen und ver-
langte von der Allgemeinheit, sich diesem
Homunkulus zu beugen. Aus dem Vorwurf der
Rückständigkeit flocht man sich die Peitsche,
mit der man jeden zurücktrieb, der zu warnen
wagte. Und viele beugten sich ihr. Bei
vielen aber war es nur eine grenzenlose Nach-
sicht, da sie umsonst das Große suchten und
dennoch nicht an ihrer Zeit verzweifeln wollten.

Es war fast unmöglich, aus diesem Hexen-
sabbath die gesunden Kräfte herauszufinden,
um sie zu schützen und der Gesamtheit nutz-
bar zu machen, damit sie mit ihren hellen Stim-
men Führer des Volkes werden sollten. Eine
erdrückende Schwüle nährte die Nervosität des

Einzelnen, einerlei ob er sich gegen die künst-
lerische Wirrnis wehrte oder sich ihr preisgab.
Es mußte ein Gewitter kommen, um die Atmo-
sphäre zu reinigen, nicht nur die politische Welt
war reif dazu. — Es brach los, wenn auch nicht
vom Künstlerischen ausgehend. Die Welt er-
zitterte in ihren Grundfesten, fast alle Daseins-
bedingungen gerieten ins Wanken. Nur das
Echte, Wahrhafte und Große hielt den gewal-
tigen Stoß aus. Vieles, was uns vor kurzem
noch als Wert deuchte, zerfiel in Nichts. Es
wurde alles in einer neuenWage g e -
wogen und garmanches als zu leicht
befunden. Ein Besinnen auf die gesunde
Kraft hat über Nacht jegliches Krankhafte und
Schwächliche unerbittlich gezeichnet, denn alles
drängt in diesen Tagen nach Stärke, und mit
tausendfach kritischeren Augen als früher hat
man zu sehen und zu schätzen gelernt. Nur das
Echte in jeglicher Schöpfungsart behielt seinen
Wert. Es allein gilt heute als Maß im künstle-
rischen und kulturellen wirtschaftlichen Leben.

Wie aus einem schweren Traum ist mancher
in diesen Tagen erwacht. Noch steht die Ge-
genwart im Banne der Kämpfe, die der Krieg
mit sich bringt. Aber unser Gewissen hat sich
geschärft, als sollte auch es in diesem Kriege
als Waffe dienen, doch gegen einen anderen
Feind. Fort mit aller ästhetischen Haarspalterei,
mit ermüdenden Sophismen und leichtgläubiger
Selbsttäuschung aus dem innerlichsten Leben
des Volkes, aus der Kunst! Es ist, als ob das
Schicksal in dieser Stunde selbst zur Besinnung
gerufen hätte, daß nicht die leichtfertige Ab-
sicht und der ehrgeizige Wille Einzelner oder
einer Gruppe von Menschen eine Kultur baue,
sondern das Schicksal selbst als Welt-
gefühl, das sich Menschen nach freier
Wahl dazu ausersieht. Das ist allein
die Kraft, auf die wir bauen können.

Wie auch der Ausgang dieses Krieges sein
mag, den Ernst und die Schärfe wird er uns
nicht rauben können, mit dem er uns die Spreu
von dem Weizen zu unterscheiden gelernt
und unseren Willen zum Kampfe gegen alles
Schwächliche und Krankhafte gestärkt hat.
Jene Zeiten müssen endgültig vorbei
sein, in denen geschickte Jongleure
und gehaltlose Biedermänner verlangen
durften, daß man ihr Spiel dem zähen
Ringen reifer Menschen nach tiefster
Lebensweisheit in der Kunst gleich-
stelle! Aus den schweren Stunden der Prü-
fung soll uns dies eine Verheißung auf die
harmonische Fortentwicklung des gesamten
künstlerischen und kulturellen Strebens und
ihrer Erfolge in der Zukunft sein!.....

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