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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Poeschel, Erwin: In Memoriam Anselm Feuerbach: Gestorben 4. Januar 1880
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0275

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ANSELM FEUERBACH.

»DANTE UND DIE FRAUEN«

IN MEMORIAM ANSELM FEUERBACH.

GESTORBEN 4. JANUAR 1880.

In einer Juninacht des Jahres 1855 glitt eine
Gondel mit zwei jungen deutschen Malern
vom Bahnhof her durch die Kanäle Venedigs.
Schwarz stiegen die trauernden Paläste aus dem
Wasser, über das die spärlichen Lichter zitternde
Bänder legten.

Die beiden Maler waren Anselm Feuerbach
und Victor von Scheffel. Damals gelobte sich
der junge Anselm, daß er in dieser Stadt der
Toten Lebendiges schaffen wolle.

Fast zweieinhalb Jahrzehnte darnach kehrte
er wieder nach Venedig zurück. Vor seiner
Abreise von München schrieb er noch: „Was
ich sehe, geht mich nichts mehr an, ich habe
meine Rechnung geschlossen ". Diese Rechnung
aber barg die reichste Erfüllung jenes zukunfts-
freudigen Gelöbnisses. —

In einer Nacht des Januar 1880 glitt wieder
ein Boot die Kanäle entlang, schattenhaft,
fremd, mit einem fremden Fährmann, ohne Laut
und ohne Ruf. Und als dann der Morgen heiter
aus dem Meere stieg, da war der Meister zu fer-
nen, noch helleren Ufern gefahren. — Aus vol-
lem Schaffen war er hinweg gegangen. In seinem
Atelier bei San Giovanni Evangelista standen
„Prometheus", „Venus Gäa" und „Uranus", und

ganz vorne auf der Staffelei sein letztes Bild
„das Konzert". Von ihm schrieb er an die
Mutter: „Ich kann es nicht anders ausdrücken,
aber das Bild wirkt wie die Verklärung einer
Malerseele". Zwei Wochen vor seinem Tode
sagte er diese Worte und sie ergreifen uns wie
ein Vermächtnis. Wenn sich auch in jedem
Werke eines Künstlers sein Welt- und Lebens-
gefühl ausprägt, seine Seele verklärt, so scheint
es uns doch, als ob Feuerbach in diesem „Kon-
zert" besonders schlackenlos sein Künstlertum
und seine seelische Grundstimmung gestaltet
habe. Das Bild ist nur Wohlklang und Eu-
rythmie, ist erfüllt von der Lust an der Har-
monie des Organischen; es zeigt eine Wieder-
geburt der Kunst der Renaissance in der etwas
schwermütigen Seele eines deutschen Malers.
Das ahnten damals nur wenige und Feuerbach
selbst hat die Tragik seines Künstlertums auch
deutlich erkannt. So sagte er von dem deut-
schen Künstler seiner Zeit, erbenütze die Natur
nur, um seinen Gedanken, der ihm höher dünke
als alles äußere Gegebene, auszudrücken, wäh-
rend bei ihm selbst immer zuerst die Gestalten
da waren, bevor er einen Namen für sie ge-
funden. Er sah zuerst die Form, er fühlte sich

1915. IV. 1.

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