PROFESSOR O. ZWINTsCHER DRESDEN.
»ERINNERUNG AN ARKONA« (1913).
VON DEN PROBLEMEN DER MALEREI.
Nach dem Waldbrand, wenn das mächtige Ge-
wölbe der alten Bäume niedergebrochen,
schießt in wenig Wochen ein neues, seltsames,
vielfältiges Leben aus dem sonnenüberstrahlten
Erdreich. Es quellen Millionen Keime, die seit
Jahren und Jahrzehnten verborgen ruhten, still,
unscheinbar, sie wachen alle plötzlich auf,
saugen sich voll an den fruchtbaren Säften, die
nun müßig sind, und schießen mit all ihrer jungen
strotzenden Kraft ans Licht. Längst ausge-
storbene Arten erwachen so zu neuem Dasein,
die Landschaft ändert vollständig ihr Gesicht.
Auch unsere Malerei hat in den letzten Jahren
sich von Grund auf erneuert. Ein gewaltiges
Auflodern war der Brand des Impressionismus,
im Feuerwind heißer Leidenschaft hat er die
alte Malerei, aber auch sich selbst verzehrt.
Ein krachender Sturz — und ein sprühender
Funkenregen, und eine Weile schien alles tot.
Nirgends ein Schritt vorwärts, die Malerei hat
sich erschöpft in ihrem Entwicklungsgang — so
lautete die bange Rede in den Ausstellungen
um 1910. Kein Kritiker ahnte das jetzt mit
plötzlicher Gewalt und Überfülle erfolgende
Auferstehen einer neuen Malerei, deren Keime
doch schon, schwellend und gärend, aber stets
zurückgedrängt und so kaum noch gefühlt, unter
der Vegetation vorhanden waren.
Nun hat es ein wildes Ins-Kraut-Schießen ge-
geben ! Es ist schier unmöglich, die tausend-
fältigen Neuerscheinungen zu ordnen, zu er-
fassen, zu deuten. Alle Enlwicklungskeime sind
ja mit einem Male ans Licht getreten, sie haben
alle Wurzel gefaßt in dem Erdreich junger Ta-
lente, wer soll sie da in der Eile klassifizieren,
ihre Herkunft erkennen oder ihre Existenz-
fähigkeit beurteilen? Da sind die seltsamsten
Arten aufgetreten, Ichthyosauren der Malerei,
deren Lebenskraft in heutiger Kultur man nie
für möglich gehalten hätte. Wenn früher noch
eine gewisse einheitliche Entwicklungslinie in
der Malerei herauszulösen war, obschon in
mehrere Stränge gespalten, so herrschte nun
absoluteste Zersplitterung. Vordem unterschie-
den sich die einzelnen Künstler mehr durch
Temperament und Handschrift, jetzt pflegte fast
jeder eine andere Gattung Malerei oder graphi-
scher Kunst, die kaum noch irgend eine Ver-
wandtschaft zwischen sich erkennen lassen.
— Die Grenzen der Künste scheinen gesprengt,
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»ERINNERUNG AN ARKONA« (1913).
VON DEN PROBLEMEN DER MALEREI.
Nach dem Waldbrand, wenn das mächtige Ge-
wölbe der alten Bäume niedergebrochen,
schießt in wenig Wochen ein neues, seltsames,
vielfältiges Leben aus dem sonnenüberstrahlten
Erdreich. Es quellen Millionen Keime, die seit
Jahren und Jahrzehnten verborgen ruhten, still,
unscheinbar, sie wachen alle plötzlich auf,
saugen sich voll an den fruchtbaren Säften, die
nun müßig sind, und schießen mit all ihrer jungen
strotzenden Kraft ans Licht. Längst ausge-
storbene Arten erwachen so zu neuem Dasein,
die Landschaft ändert vollständig ihr Gesicht.
Auch unsere Malerei hat in den letzten Jahren
sich von Grund auf erneuert. Ein gewaltiges
Auflodern war der Brand des Impressionismus,
im Feuerwind heißer Leidenschaft hat er die
alte Malerei, aber auch sich selbst verzehrt.
Ein krachender Sturz — und ein sprühender
Funkenregen, und eine Weile schien alles tot.
Nirgends ein Schritt vorwärts, die Malerei hat
sich erschöpft in ihrem Entwicklungsgang — so
lautete die bange Rede in den Ausstellungen
um 1910. Kein Kritiker ahnte das jetzt mit
plötzlicher Gewalt und Überfülle erfolgende
Auferstehen einer neuen Malerei, deren Keime
doch schon, schwellend und gärend, aber stets
zurückgedrängt und so kaum noch gefühlt, unter
der Vegetation vorhanden waren.
Nun hat es ein wildes Ins-Kraut-Schießen ge-
geben ! Es ist schier unmöglich, die tausend-
fältigen Neuerscheinungen zu ordnen, zu er-
fassen, zu deuten. Alle Enlwicklungskeime sind
ja mit einem Male ans Licht getreten, sie haben
alle Wurzel gefaßt in dem Erdreich junger Ta-
lente, wer soll sie da in der Eile klassifizieren,
ihre Herkunft erkennen oder ihre Existenz-
fähigkeit beurteilen? Da sind die seltsamsten
Arten aufgetreten, Ichthyosauren der Malerei,
deren Lebenskraft in heutiger Kultur man nie
für möglich gehalten hätte. Wenn früher noch
eine gewisse einheitliche Entwicklungslinie in
der Malerei herauszulösen war, obschon in
mehrere Stränge gespalten, so herrschte nun
absoluteste Zersplitterung. Vordem unterschie-
den sich die einzelnen Künstler mehr durch
Temperament und Handschrift, jetzt pflegte fast
jeder eine andere Gattung Malerei oder graphi-
scher Kunst, die kaum noch irgend eine Ver-
wandtschaft zwischen sich erkennen lassen.
— Die Grenzen der Künste scheinen gesprengt,
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