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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Behne, Adolf: Geh. Baurat Otto Wagner, Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0405

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ARCH. KARL JOH. MOSSNER — BERLIN. HERRENZIMMER: EINGEBAUTE BÜCHERSCHRÄNKE. AÜSF. ANTON POSSEN BACHER.

populär werden möchten, aber er weiß, daß das
wahre Kunstwerk nur langsam und allmählich
volkstümlich werden kann. Er schmeichelt
uns nicht, sondern beruft sich, wie jeder wahre
Künstler, auf seine bessere Erkenntnis, die im
Laufe der Jahre oder Jahrzehnte die Allgemein-
heit zwingen und bilden wird.

Ein Künstler von der Art und von dem Range
Otto Wagners ist stets ein kultureller Pionier.
Nicht, weil er neue Formen verwendet — die
Formen entscheiden nicht. Entscheidend ist,
daß jeder schöpferische Architekt für ein neues
Lebensgefühl, für eine neue Gesinnung, für
eine neue Gesittung arbeitet. Deshalb ist Otto
gner in seinem Wirken ein Angreifer, und
was ist natürlicher, als daß der konservativ ge-
richtete Teil des Publikums sich gegen ihn wehrt?
Es ist also gar kein Wunder, daß Otto Wagners
beste Arbeiten Entwürfe geblieben sind. Dar-
über zu klagen, wirkt auf die Dauer ungebühr-
lich sentimental und ist ganz gewiß nicht im
Sinne Otto Wagners. Man sollte nicht immer
das Schicksal des Künstlers als den „tragischen

Kampf des Giganten gegen Pygmäen" besingen.
Die Arbeit des Künstlers ist ein geistiger Kampf,
der als solcher durchaus nicht tragisch ist,
denn der Sieg gehört stets dem Künstler (die-
sen Sieg nach Möglichkeit zu beschleunigen, ist
dabei die Aufgabe der Kritik).

Jenes neue Lebensgefühl, für das Otto Wagner
schafft, sehe ich am deutlichsten, wenn ich mich
auf die ausgeführten Bauten beschränke, in der
Halle der Postsparkasse und in der Steinhofer-
kirche. Hier wirkt eine feine und befreiende
Geistigkeit, gegensätzlich zu allem Materialis-
mus, und, wie jedes große Kunstwerk, mit einem
Klang des Metaphysischen.

Nichts ist ja mißverständlicher, als Otto
Wagner, wie das häufig geschieht, zum Vater
der Zweckmäßigkeits- und Nutzkunst zu er-
nennen. Gewiß, Otto Wagner hat stets mit
Leidenschaft alle neuen Errungenschaften der
Technik und alle Fortschritte unserer Baustoffe
ausgenutzt und hängt mit Liebe an schönen,
kostbaren und unvergänglichen Materialien.
Aber aus keinem anderen Grunde, als weil

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