Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Die Neuen Inhalte
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0430

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die neuen Inhalte.

MAX BURI BRIENZ.

GEMÄLDE »STILLEBENc

Zeichenstiftes und des Pinsels jene pathetischen
Elemente zurückzuerobern, auf die man vor-
längst freiwillig verzichtet hatte. Hatte die
Malerei bisher nur die Sprache des lyrischen
Gedichtes oder des feinen Essais oder der
Novelle gesprochen, so wurden nunmehr wieder
die dramatischen Töne hervorgesucht. Das
Größte läßt sich jetzt wieder in angemessener
Rede sagen, das Ungestümste an Leiden und
Lust, aber auch das Gültigste und Tiefste an
Lebensgefühl.

Betrachtet man aber die junge Malerei, prüft
man ihre Hervorbringungen auf diese neuen
Inhalte, so entsteht eine gewisse Verlegenheit.

Gewiß: der junge Maler von heute drückt
sich anders aus als sein Vorgänger. Aber drückt
er etwas wesentlich Anderes aus als dieser?
Entspricht der neu erkämpften athletischen
Sprache auch eine wirkliche Überwindung der
geistigen Dürre? Man hat mit großem Bemühen
einen neuen stattlichen Tempel errichtet. Aber

wie steht es mit dem Gotte, der das Heiligtum
bewohnen soll?

Es ist wahr: seit dem Eindringen der neuen
Tendenzen zeigen die Ausstellungen mancherlei
neue und eigenartige Erscheinungen. Man sieht
große Gesten, man sieht Zusammenballungen
von Gestalten, in denen jedenfalls ein anderer
Lebens-Sinn liegt als der Impressionismus in
seiner geflissentlichen geistigen Selbstbe-
schränkung aufzubringen vermochte. Man sieht
Linien, in denen irgend etwas Düsteres aus
der Tiefe Wort werden will. Man begegnet
hocharchitektonischen Ausdeutungen der Land-
schaft, deren Gemüts-Inhalte nichts mehr mit
dem sensualistischen Behagen oder der fein-
nervigen Lyrik der vorhergehenden Land-
schaftskunst gemeinsam haben. Man spürt
allenthalben: die Künstlerschaft ist sich durch-
aus bewußt, daß sie nun aus jenen breiteren
und tieferen Lebensströmen zu schöpfen hat,
die aus menschlicher Geistigkeit fließen; daß

408
 
Annotationen