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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Lüthgen, Eugen: Erziehung zum Kunstgewerbler
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0446

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Erziehung zum Kunstgewerbler.

K. ALBIKER-
ETTLINGEN.

geht, was ein geschickter Kunstliebhaber zu
schaffen pflegt. So wird notwendig das Gefühl
für das, was Kunst sei, hinuntergeschraubt.

Zum andern: da man mit dieser Wiedergabe
des Wirklichen demnach einen unmittelbaren
Zweck zu erreichen bestrebt ist, wird so frisch
wie irgend möglich auf eine bewußte Stilisierung
hingearbeitet. Voreingenommen werden die
Formen der Wirklichkeit in bestimmte Gesetz-
mäßigkeiten gefaßt. Allzubald sieht man nicht
mehr die Natur, sondern errechnet nur die Mög-
lichkeit, wie man ein Naturbild in die Gesetze
des Flächenhaften, des Körperlichen, des Räum-
lichen übersetzen könne. Auf diese Weise wird
endgültig der Weg abgeschnitten, jemals wie-
der zu einem sachlich - unvoreingenommenen
Natureindruck zu kommen. Die Auffrischung
und Belebung, die die Natur den stilisierten
Formen des Kunstgewerbes bieten soll — nach
der Meinung der Kunsterzieher — ist damit
endgültig tot und begraben.

Es sind sonach nicht geringe Gefahren, die
der überreichen Zahl der dem eigentlichen
Kunstgewerbe vorhergehenden Möglichkeiten
rein künstlerischer Gestaltung und Erziehung
inne wohnen.

Geschichtlich und erzieherisch betrachtet
stellt der jetzt übliche Weg in der Tat alles auf
den Kopf. Der Kunstgewerbler war durch Jahr-
hunderte hindurch Handwerker, d.h. ein Mensch,
der in einem bestimmten Fache reiche fachliche
Kenntnisse und Fähigkeiten besaß. Aus der
fortgesetzten Beschäftigung mit seinem Stoffe,
aus der unbedingten Hingabe an gewisse Hand-
fertigkeiten erwuchs ihm die innere Überein-
stimmung mit den Möglichkeiten der Form-
gestaltung, der Oberflächenbehandlung, des
inneren Aufbaues, der Gliederung und der
Zweckbestimmtheit der handwerklich zu be-
arbeitenden Stoffe. Nur der war Künstler, der
infolge eigener schöpferischer Vorstellungsgabe
die Grenzen der üblichen Formgebung über-
schritt, um eigene Formen zu schaffen. Der
Nicht-Künstler aber, in die feste Gesetzmäßig-
keit der handwerklichen Überlieferung einge-
spannt, war dennoch befähigt, gute Arbeit in
technisch wie künstlerischem Sinne zu liefern.

Es versteht sich von selbst: wer eine Tätig-
keit erlernen will, der beginne zuerst mit den
einfachsten Handgriffen. Das Geistige als das
Schwerere und nur selten Verliehene mag
darnach geschult und gekräftigt werden.

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