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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Hinkel, G.: Leichtigkeit und Zierlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0473

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margarethe von brauchitsch-münchen. »nadelkissen mit kurbelstickerei«

LEICHTIGKEIT UND ZIERLICHKEIT.

Man darf nicht etwa glauben, Leichtigkeit
und Zierlichkeit seien nur „leichte"
Eigenschaften, ernsten Strebens nicht wert!
Man könnte über diesen Punkt Äußerungen
einer großen Reihe von Künstlern anführen, die
sich dahin aussprechen, daß es gar nicht so
einfach sei, einem Werke den Anschein der
Leichtigkeit zu geben. Man muß nur bedenken,
daß Leichtigkeit durchaus nicht gleichbe-
deutend zu sein braucht mit Stofflosigkeit oder
Inhaltlosigkeit; Leichtigkeit im ästhetischen
Sinne bedeutet unendlich viel mehr, näm-
lich: Aktive Überwindung der Schwere,
dieser ursprünglichsten Hemmung, dieser ur-
alten Erbsünde des Stoffes! Und insofern liegt
in der Leichtigkeit und Zierlichkeit doch eben-
falls Kraft, so gewiß als solche Überwindung
der Schwere Kraft voraussetzt. Leichtigkeit
als ästhetische Eigenschaft im besonderen ist
eine ausgesprochen geistige und göttliche Qua-
lität. —- Wenn man den ästhetischen Haupt-
unlerschied zwischen Dingen der Natur und

Menschenwerk (also künstlichem) mit einem
Worte bezeichnen wollte, so könnte man sagen:
Die Dinge, die der Mensch erdacht und gemacht
hat, haben stets eine gewisse irdische Dichtig-
keit und Schwere; sie sind gleichsam undurch-
sichtig und trübe, und in ihnen überwiegen die
stofflichen, ungeistigen Bestandteile, selbst
wenn sie dem Gewichte nach noch so leicht
und duftig sein mögen. Die Dinge der Natur
hingegen haben alle einen wunderbaren Auf-
trieb in sich, eine göttliche Leichtigkeit, die der
Mensch in seinem Werk niemals erreichen kann.

Es läßt sich viel Gutes zum Preise der Leich-
tigkeit, der Zierlichkeit und all dieser in unseren
„monumentalen" Zeiten so wenig geachteten
und geschätzten Dinge sagen und besonders
zum Lobe der Nadelkünste, die so viel mit der
göttlichen Eigenschaft der Leichtigkeit zu tun
haben, von der Stickerei angefangen, die eine
nichtssagende Stoff-Fläche zu einem reizvollen
Farbenbeet umdeutet, bis zur Spitze, die nur
Geist, Laune, Spiel verkörpert. — g. hinkel.

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