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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Rothe, Richard: Die Kinder und der Krieg
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0478

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Die Kinder und der Krieg.

AUSSTELLUNG: »WIENER KINDERZEICHNUNGEN.« STURM DER ÖSTERREICHER AUF DIE RUSSISCHEN STELLUNGEN

Die Kinder denken nicht, sie schließen nicht
und rechnen nicht, aber sie wissen. Aus dem
Quell instinktmäßigen Fühlens fließt all ihr Tun.
Unter ihnen gibt es keine „Miesmacher". Die
Truppen, die sie ins Feld führen, sind die
besten, die es jemals gab: sie siegen immer!

Was sie auf ihren Zeichenblättern zum Aus-
druck bringen, sind ihre Träume und Wünsche.
Diese müssen ungemein lebendig vor ihrem
geistigen Auge stehen, denn pausenlos, beinahe
in einem Zuge schreiben sie ihre Bilder hin.

Die Kinder haben einen sehr starken Trieb,
die Phantasie mit lebhaften Bildern zu füllen
und sie müssen, um von einer beschwerenden
Empfindung frei zu werden, innerlich starke
Erlebnisse irgendwie zum Ausdruck bringen.

Sehr interessante und intime Züge werden
offenbar, am stärksten aber drängen sich die
Vergleiche mit der Kunst primitiver Völker vor.
Andere Arbeiten erinnern an die alten Assyrer
oder Ägypter, einige zeigen ganz japanischen
Vortrag, auch Unterschiede in der Nationalität
der Kinder machen sich bemerkbar. — Was
aber allen gemeinsam ist, ist die große Liebe

zum einigen Vaterlande, die ausnahmslos überall
zum Durchbruche kommt. Diese Zeichnungen
sind wie Volkslieder aus alten Tagen, die uns den
Begriff Vaterland in einem anderen viel helleren
Lichte erstrahlen lassen. Sie sind der Ausdruck
der Jugend einer großen Zeit, die unter Schlach-
tenstürmen heranwächst, wie sie noch niemals
über unsere Erde fegten.

Dieses kindliche Fabuliervermögen, dieser
epische Drang, lebt nur wenige Jahre und stirbt
an dem Tage, an dem die Kinder wissend werden.

Sobald es ihnen bewußt wird, daß sie „ein
Bild malen", das nach Farbe, Form und Rhyth-
mus gewertet wird, sind sie Dilletanten, die
durch straffe Erziehung über das gefährliche Alter
hinaus zur Gesundung geführt werden müssen.
Talente entwickeln sich von selber. Die ande-
ren kommen über ihr kindliches Können zeit-
lebens nicht hinaus. In dieser Ansicht wurde ich
bestärkt, als ich letzthin in einem Militärspitale
mit einer größeren Zahl genesender Soldaten
verschiedener Nationen zeichnete: sie arbeiten
ganz ähnlich den Kindern, wohl mit größerer
Sachlichkeit aber mit gleichen Symbolen. —

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