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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Raphael, Max: Der Deutsche Stil
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0482

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Der deutsche Stil.

zufällig hie und da herausgegriffen wirken; es
fehlt vor allem diesen Begriffen selbst an der-
jenigen wissenschaftlichen Bestimmtheit, in der
sie genau umschriebene Vorstellungen be-
zeichnen. Wie schwankend ist selbst noch die
Bestimmung des Irrationalen als „eines Über-
schusses von Energie, die über den Zweck
hinausgeht" , wenn man bedenkt, daß damit
Phantasie und Kunst in ihrer völkischen Eigen-
art festgehalten werden sollen.

Alle Tätigkeit der Phantasie, vor allem jedes
schöpferische und künstlerische Tun stellt
gegenüber den in der Welt der realen Zwecke
befangenen Handlungen einen Überschuß an
Energie dar. Da nun aber das Wesen der Kunst
in dem Schaffen eines Körpers besteht, der die
Inhalte der Phantasie zum Ausdruck bringt, so
muß sich jede, auch die weitschweifendste
Phantasie ein Ziel setzen, einen Zweck, ohne
den sie völlig im Leeren verpuffen würde. Die
nationale Eigenart der Phantasie wird sich erst
durch die Art des Zieles bestimmen und dieses
wiederum von dem Ausgangspunkt der Phan-
tasie abhängig sein. Da ist es nun bezeichnend,

daß der Deutsche mehr als ein anderer aus der
Welt der inneren Vorstellungen, aus dem see-
lischen Leben zur Kunst fortschreitet, während
der Romane, vor allem der Italiener von der
sinnlichen Welt, den Dingen außer ihm ausgeht.
Für den Deutschen hat diese Unterscheidung
immer eine Wertbetonung zu Gunsten des
Seelischen. Der Kampf unserer klassischen
Schöpfer: Schiller, Goethe, Kant, der aus reiner
Opposition sogar zu der Behauptung kam,
,,daß innere Erfahrung selbst nur mittelbar und
nur durch äußere möglich ist", ist völlig frucht-
los geblieben, und die folgende Generation der
Romantiker und Schopenhauers vertrat offen-
bar den nationaleren Standpunkt als Goethe,
der behauptete, „daß sich das Sittlich-höchste
nur im Sinnlich-höchsten offenbaren könne".
Von hier aus bestimmt sich das Ideal der Kunst,
das der Deutsche der Wirklichkeit gegenüber-
stellt, ja seine Auffassung vom Wesen der Kunst
überhaupt. Ausgehend von dem seelischen Er-
lebnis, bedeutet ihm die Steigerung, nicht die
Versinnlichung desselben die Befriedigung
seiner höchsten Ansprüche. Selbst Dürer, der

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